Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Neonazi-Morde: Brisantes Material

Neonazi-Morde

Brisantes Material

    • |
    Akten mit Sprengkraft: Immer wieder stößt der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Sebastian Edathy (SPD), auf kaum zu glaubende Vorgänge.
    Akten mit Sprengkraft: Immer wieder stößt der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Sebastian Edathy (SPD), auf kaum zu glaubende Vorgänge. Foto: Sebastian Kahnert, dpa

    Augsburg Kein Tag ohne neue Enthüllungen im Fall der rechtsextremistischen Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU): So soll einer ihrer Helfer von Ende 2000 bis Januar 2011 für das Berliner Landeskriminalamt als V-Mann aktiv gewesen sein. Der NSU war da längst untergetaucht. Gleich mehrfach soll der Mann Hinweise auf das Terrortrio gegeben haben – 2002, die NSU-Mordserie war in vollem Gange, sogar auf dessen möglichen Aufenthaltsort. Ende der 90er Jahre soll er dem NSU zudem ein Kilogramm TNT-Sprengstoff besorgt haben. Und ihm wird eine Liaison mit dem NSU-Mitglied Beate Zschäpe nachgesagt.

    Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Sebastian Edathy (SPD), sprach angesichts dieser Informationen von einer „neuen Qualität“. Die parlamentarischen Aufklärer erfuhren erst jetzt von ihnen. So wie von der Akte, die der Bundeswehr-Geheimdienst MAD in den 90er Jahren zu dem späteren NSU-Mitglied Uwe Mundlos angelegt hatte. Mehrere Verfassungsschutzämter und Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière wussten seit Monaten davon – die parlamentarischen Aufklärer blieben ahnungslos. Eine Personalakte über Mundlos, der Mitte der 90er Jahre seinen Wehrdienst in einer Thüringer Kaserne geleistet hatte, erreichte den Ausschuss am Donnerstagabend.

    Justizministerin:Vertrauen in den Rechtsstaat droht langfristig beschädigt zu werden

    Die FDP-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagte zu all dem Spiegel Online: „Das Vertrauen in den Rechtsstaat droht angesichts der fortlaufenden Pleiten- und Pannenserie langfristig beschädigt zu werden.“ Die Sicherheitsstruktur in Deutschland müsse grundlegend überarbeitet werden. Einen Schritt in diese Richtung kündigte das Verteidigungsministerium gestern an. Der MAD solle personell schlanker werden. Außerdem werde darüber nachgedacht, den Dienst mit Blick auf seine Aufgaben besser aufzustellen, sagte ein Sprecher.

    Die Versäumnisse haben Folgen: Mit Sachsen-Anhalts Verfassungsschutzpräsidenten Volker Limburg hat in dieser Woche der vierte führende Verfassungsschützer sein Amt aufgeben müssen. Zuvor hatten dies bereits der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz und die Länderchefs von Thüringen und Sachsen getan. Mit jeder weiteren Panne, die die NSU-Untersuchungsausschüsse von Bund und Ländern zutage fördern, steigt der Druck auf die Sicherheitsbehörden und ihre Leiter.

    In Bayern muss sich Verfassungsschutz rechtfertigen

    Vor allem Burkhard Körner, der Präsident des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz, könnte in den kommenden Wochen mit Rücktrittsforderungen konfrontiert werden. Spätestens dann, wenn der „Untersuchungsausschuss Rechtsterrorismus in Bayern – NSU“ dem Landesamt ein Versagen nachweisen kann. Davon geht der Vorsitzende des Ausschusses, der Schwandorfer SPD-Landtagsabgeordnete Franz Schindler, aus. Der Ausschuss habe bereits alle von der Staatsregierung angeforderten Akten gesichtet. „Ich habe aber nicht das Gefühl, dass uns alles mitgeteilt wurde“, sagte Schindler im Gespräch mit unserer Zeitung.

    Und weiter: „Das Ergebnis unserer Tätigkeit kann sein, dass das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz die Gefahr der Radikalisierung von Rechten in Bayern und ihr Zusammenspiel mit Rechtsradikalen in Thüringen und Sachsen sträflich vernachlässigt hat und Informationen auch nicht an die Polizei weitergegeben hat.“ Dies könnte schwer wiegen, bedenkt man, dass fünf der zehn Morde, die dem NSU vorgeworfen werden, zwischen 2000 und 2005 in Bayern verübt wurden. Körner, der zwar erst 2008 ins Amt kam, könnte dennoch Verantwortung übernehmen müssen – zumal, wenn ähnliche Pannen bekannt würden wie in Sachsen-Anhalt. Dort trat Volker Limburg zurück, weil die als verschwunden geglaubte MAD-Akte über Mundlos überraschend in seiner Behörde wieder aufgetaucht war.

    Der bayerische Untersuchungsausschuss trifft sich am 21. September zu seiner dritten Sitzung. In der wird Schindler eine Liste mit den Namen von etwa 50 Zeugen präsentieren, die vor dem Ausschuss aussagen müssen. Burkhard Körner wird auf der Liste stehen – ebenso seine Vorgänger sowie der frühere und der gegenwärtige Innenminister Bayerns, Günther Beckstein und Joachim Herrmann (beide CSU). Im Oktober soll dann mit der Anhörung der Zeugen begonnen werden. „Einen Rücktritt Körners zu fordern, ist noch zu früh“, sagte Schindler, „aber nach der Zeugenvernehmung wird eine Rücktrittsforderung kommen müssen.“ Körner begrüßte Anfang Juli die Einsetzung des Untersuchungsausschusses und versprach, dessen Arbeit „mit aller Kraft“ zu unterstützen.

    Mit Versprechungen wollen sich die Landtags-Grünen nicht länger begnügen. Sie klagen vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof gegen die Staatsregierung – um diese zu umfassenden Auskünften über die Arbeit des Verfassungsschutzes zu zwingen. (mit dpa)

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden