Noch nie habe sie so viel Angst um ihr Leben gehabt, berichtete die libysche Aktivistin Montaha Nattah aus der Hauptstadt Tripolis. Der Artilleriebeschuss auf die Stadt durch die Truppen des Rebellengenerals Khalifa Haftar in den vergangenen Tagen sei fürchterlich gewesen, sagte Nattah unserer Redaktion. Jeder in der Stadt habe sich an die Bomben gewöhnt. Doch die Angriffe in der Nacht zum Mittwoch waren selbst für Tripolis außergewöhnlich: "Viele sagen, es sei die bisher schlimmste Nacht überhaupt gewesen."
Vereinten Nationen hatten zur weltweiten Waffenruhe aufgerufen
Der Aufruf der Vereinten Nationen, weltweit in allen Konflikten die Waffen ruhen zu lassen, damit sich die betroffenen Staaten auf die Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie konzentrieren können, verhallt in Libyen ungehört. Haftars Truppen versuchen weiter, die von der UNO anerkannte Einheitsregierung in Tripolis zu stürzen und das ölreiche Land in Nordafrika unter ihre Kontrolle zu bekommen. Zur Abwehr des Angriffs startete die Einheitsregierung mehrere Gegenangriffe. Die Gesundheitsvorsorge für die Bevölkerung spielt bei den Überlegungen der Kontrahenten keine Rolle. Ähnlich sieht es bei anderen Konfliktherden im Nahen Osten aus.
So ist auch im Jemen die Logik des Krieges ungebrochen. Schon jetzt sind 80 Prozent der rund 30 Millionen Einwohner des Landes auf humanitäre Hilfe angewiesen. Ein Ausbruch des Coronavirus wäre für das zerstörte Gesundheitssystem nicht zu verkraften. Viele Jemeniten können selbst die einfachsten Vorsorgemaßnahmen nicht umsetzen: Mehr als 15 Millionen Menschen im Land haben nach Angaben des Roten Kreuzes keinen verlässlichen Zugang zu sauberem Wasser und können sich deshalb nicht regelmäßig die Hände waschen.
Fünf Jahre nach dem Beginn des Krieges einer von Saudi-Arabien geführten Allianz gegen die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen im ärmsten Land der arabischen Halbinsel haben sich die Konfliktparteien zwar grundsätzlich auf eine Feuerpause geeinigt, um eine Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. Doch die Kämpfe dauern trotzdem an. Am Freitag meldete Saudi-Arabien den Abschuss von zwei Drohnen der Huthis; die Rebellen berichteten, sie hätten einen saudischen Luftangriff auf die Hauptstadt Sanaa abgewehrt. Die USA fahren ihre Hilfe für die Menschen im Machtbereich der Huthis herunter, weil die Rebellen keinen Zugang für Hilfsorganisationen gewähren.
Würde sich das Coronavirus unter den Flüchtlingen in Idlib ausbreiten, droht eine Katastrophe
In Syrien gibt ebenfalls kaum Hoffnung, dass die Pandemie den seit neun Jahren anhaltenden Bürgerkrieg entschärfen kann. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete Artilleriefeuer der syrischen Armee auf mehrere Kleinstädte in den Provinzen Idlib, Aleppo und Latakia. Zudem habe es Auseinandersetzungen zwischen zwei mit der Türkei verbündeten Rebellengruppen gegeben.
Präsident Baschar al-Assad sprach vor wenigen Tagen mit dem russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu in Damaskus über die militärische Situation. Eine türkisch-russische Waffenstillstandsvereinbarung hat Assads Offensive auf die Rebellenhochburg Idlib zunächst gestoppt, doch mussten gemeinsame türkisch-russische Militärpatrouillen auf der wichtigen Fernstraße M4 wegen Protesten gegen die russischen Soldaten vorzeitig abgebrochen werden. Zudem hat Assad mehrfach angekündigt, er wolle Idlib von den Aufständischen zurückerobern. Sollte sich das Coronavirus unter den hunderttausenden Flüchtlingen in Idlib ausbreiten, droht nach Einschätzung von Hilfsorganisationen eine humanitäre Katastrophe.
Gekämpft wird auch im Irak, der zum Schlachtfeld des Konfliktes zwischen den USA und dem Iran geworden ist. Am Donnerstag schlugen zwei Raketen in der schwer gesicherten Grünen Zone in der Hauptstadt Bagdad ein. Pro-iranische Milizen hatten vor zwei Wochen einen Militärstützpunkt bei Bagdad mit mehr als einem Dutzend Raketen angegriffen und dabei zwei Amerikaner und eine britische Soldatin getötet. Die USA reagierten mit Luftangriffen auf Stützpunkte pro-iranischer Milizionäre im Irak und in Syrien.
Im Nordirak wachsen unterdessen die Spannungen zwischen der kurdischen Terrororganisation PKK und der türkischen Armee. Bei einem Granatwerferangriff der PKK auf eine türkische Militärstellung kamen am Mittwoch zwei türkische Soldaten ums Leben. Die Türkei griff daraufhin Stellungen der PKK an, die im Nordirak ihr Hauptquartier unterhält.
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