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Naher Osten: Algerien: Ein Land im Würgegriff der alten Macht-Elite

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Algerien: Ein Land im Würgegriff der alten Macht-Elite

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    Abdelmadjid Tebboune ist krank und wird in Deutschland behandelt. Seinem Volk setzt er mit Verhaftungen und Demonstrationsverboten zu.
    Abdelmadjid Tebboune ist krank und wird in Deutschland behandelt. Seinem Volk setzt er mit Verhaftungen und Demonstrationsverboten zu. Foto: Nacerdine Zebar, Getty

    Algerien erlebt dieser Tage ein düsteres Déjà-vu. Jahrelang hatte sich der schwer kranke Präsident Abdelaziz Bouteflika an die Macht geklammert, obwohl er kaum noch fähig war, sein Amt auszuüben. Nun ist auch Nachfolger Abdelmadjid Tebboune seit Längerem von der politischen Bildfläche verschwunden. Zwei Monate lag der 75-jährige Kettenraucher mit Covid-19 in Deutschland in der Klinik. Ende Dezember tauchte er kurz wieder auf und kehrte für ein paar Tage nach Algerien zurück. Vor wenigen Tagen flog er erneut nach Berlin.

    Tebboune gilt als Galionsfigur der alten Elite, die mit allen Mitteln versucht, die Protestbewegung zum Verstummen zu bringen. Monatelang hatten Hunderttausende eine Fundamentalreform des Staatssystems gefordert – die Entmachtung der korrupten Nomenklatura, das Ende von gefälschten Wahlen und Repressionen, von lähmender Bürokratie und staatlicher Inkompetenz. Bis das Coronavirus auftauchte. Am 25. Februar 2020 gab es den ersten Infizierten in Algerien, am 13. März waren die Massen das letzte Mal auf den Straßen, an ihrem Protestfreitag Nummer 56.

    Demonstrationen sind in Algerien derzeit verboten

    Seitdem sind öffentliche Kundgebungen verboten. Und die alten Seilschaften aus Geschäftsleuten, Politikern und Generälen haben wieder Oberwasser, auch wenn Präsident Tebboune das von ihm durchgepaukte Verfassungsreferendum am 1. November vom Krankenbett aus verfolgen musste. Das Volk aber verweigerte sich erneut. Weniger als 24 Prozent beteiligten sich, selbst in den notorisch geschönten Wahlstatistiken Algeriens ein neuer Negativrekord. Trotzdem setzte Tebboune die Pseudoreform ohne zu zögern in Kraft, während er Aktivisten und Journalisten reihenweise vor Gericht zerren lässt.

    Die dringend nötigen Reformen bleiben dagegen liegen, was die Multikrise Algeriens weiter verschärft. Durch Corona-Rezession und Ölpreisverfall dürften die nationalen Dollarrücklagen aus Öl- und Gasexporten bereits Ende 2021 aufgebraucht sein. In Panik schlug Präsident Tebboune vor, die Staatsausgaben drastisch zu kappen, um nicht beim Internationalen Währungsfonds (IWF) anklopfen und sich dessen Reformforderungen unterwerfen zu müssen. Da sich der überdimensionierte Bürokratenapparat so schnell nicht reduzieren lässt, treffen die Kürzungen vor allem soziale Ausgaben für Wohnungsbau und Infrastruktur. Lediglich das Militär unter dem Oberbefehl des ebenfalls 75-jährigen Generals Said Chengriha bleibt ungeschoren.

    Viele Algerier wollen aus dem Land fliehen

    Entsprechend ausgelaugt und hoffnungslos ist die Stimmung im Volk, was 2020 einen beispiellosen Ansturm auf Schlepperboote nach Europa auslöste. Über 11.000 algerische Migranten setzten sich in den letzten zwölf Monaten nach Spanien ab, dreimal so viele wie 2019 und mehr als jemals zuvor. „Wir Bürger haben die Nase voll von den ganzen Versprechungen“, klagte der Besitzer eines kleinen Bekleidungsgeschäfts in Algiers Stadtteil Belouizdad. „Von der alten Garde können wir keine Reformen erwarten – Algerien sucht weiter nach Demokratie.“

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