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Nachruf: Walter Scheel ist tot: Alt-Bundespräsident hat "Großes geleistet"

Nachruf

Walter Scheel ist tot: Alt-Bundespräsident hat "Großes geleistet"

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    Altbundespräsident Walter Scheel.
    Altbundespräsident Walter Scheel. Foto: Patrick Seeger, dpa (Archiv)

    In Erinnerung blieb er als der singende Präsident. Auch lange nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Bundespräsidenten im Jahre 1979 verband sich mit Walter Scheel sein Auftritt mit zwei Männergesangsvereinen am 6. Dezember 1973 in der Fernsehshow  "Drei mal Neun". Zugunsten der Behindertenorganisation "Aktion Sorgenkind" sang er das Volkslied "Hoch auf dem gelben Wagen" und landete damit, noch als Außenminister der sozialliberalen Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD), einen beispiellosen Hit.

    Allein bis zum Frühjahr 1974 wurde die Schallplatte über 300.000 Mal verkauft und rückte bis auf Platz fünf der Verkaufscharts, Scheel erhielt eine Goldene Schallplatte und später eine aus Platin. So genoss der FDP-Politiker, im Ausland auch als "Mister Bundesrepublik" gerühmt, bei der Bevölkerung hohes Ansehen und große Popularität, als er am 15. Mai 1974 in der Bundesversammlung mit den Stimmen von SPD und

    Alt-Bundespräsident Walter Scheel und seine Frau Barbara 2013 in Bad Krozingen.
    Alt-Bundespräsident Walter Scheel und seine Frau Barbara 2013 in Bad Krozingen. Foto: Patrick Seeger, dpa (Archiv)

    Am Mittwoch ist Scheel im Alter von 97 Jahren nach langer schwerer Krankheit in seinem Alterssitz in Bad Krozingen gestorben, wo er die letzten Jahre unter Demenz leidend verbracht hatte. Politiker aller Parteien würdigten ihn als großen Staatsmann, der sich um die Bundesrepublik verdient gemacht hatte. Sein Nachfolger im Amt, Bundespräsident Joachim Gauck, sagte, Scheel habe "Großes geleistet" und sich "bleibende Verdienste für die Verständigung und Versöhnung auf unserem Kontinent erworben".

    Walter Scheel gehört zu den Vätern der neuen Ostpolitik

    Sein Gesangstalent, seine rheinische Fröhlichkeit sowie sein damals oft kritisierter luxuriöser Lebensstil mit großen Abendgesellschaften und geselligen Runden rückten dagegen in den Hintergrund, dass Scheel der bis dahin wohl politischste Präsident war, den Deutschland hatte, zudem ein begnadeter Redner. Immer wieder mischte er sich aktiv in die Bundespolitik ein und hielt als Staatsoberhaupt einen engen Kontakt zu SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt, mit dem er sich bestens verstand. Beide waren fast gleich alt, waren in der Weimarer Republik groß geworden und hatten den Zweiten Weltkrieg als Oberleutnant erlebt und erlitten - das verband sie.

    FDP-Chef Walter Scheel und Bundesaußenminister Willy Brandt 1968 bei einem Gespräch in Bonn.
    FDP-Chef Walter Scheel und Bundesaußenminister Willy Brandt 1968 bei einem Gespräch in Bonn. Foto: Peter Popp, dpa (Archiv)

    Zudem verfolgten beide einen pragmatischen Politikansatz. Nicht zuletzt hatten beide maßgeblich mit Willy Brandt zur Bildung der ersten sozialliberalen Koalition 1969 beigetragen - Scheel als Vizekanzler und Außenminister, Schmidt erst als Verteidigungs-, dann als Finanzminister. Die Bundestagswahl 1969 war eine Zäsur von historischem Ausmaß; sie beendete nicht nur die 20-jährige Regierungszeit der CDU, die bis dahin mit Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger auch die Kanzler stellte, sondern leitete auch eine grundlegende Wende in der Außen- wie Gesellschaftspolitik ein.

    Walter Scheel, von 1968 bis 1974 auch FDP-Chef, gehörte zu den Vätern der neuen Ostpolitik und setzte sich maßgeblich für den europäischen Einigungsprozess ein, er suchte die Annäherung mit der Sowjetunion und der DDR und war neben Egon Bahr maßgeblich an den Verhandlungen der sogenannten Ostverträge beteiligt, die im Rückblick als Grundlage für die Wiedervereinigung Deutschlands nach dem Fall der Mauer 1990 betrachtet werden.

    In der eigenen Partei machte sich Scheel damit allerdings nicht nur Freunde, es kam zu Austritten und Protesten, die knappe Mehrheit im Bundestag schmolz dahin. "Walter Scheel hat seiner Partei und den Bürgern seines Landes viel zugemutet", schrieb sein langjähriger Nachfolger als FDP-Chef und Außenminister, Hans-Dietrich Genscher, Jahre später im Rückblick auf diese Zeit. "Damals haben viele darunter gelitten. Heute sind ihm wohl alle dankbar dafür."

    Überschattet wurde Scheels Präsidentschaft vom Terror der RAF in den späten 70er Jahren. In seiner Traueransprache für den von den

    Walter Scheel stammte aus kleinen Verhältnissen

    Altbundespräsident Walter Scheel und der FDP-Vorsitzende Genscher 1980 im Thomas-Dehler-Haus in Bonn.
    Altbundespräsident Walter Scheel und der FDP-Vorsitzende Genscher 1980 im Thomas-Dehler-Haus in Bonn. Foto: Egon Steiner/Archiv (dpa)

    Walter Scheel, am 8. Juli 1919 in Höhscheid bei Solingen geboren, stammte aus kleinen Verhältnissen und arbeitete sich mit Fleiß, Ehrgeiz und Zielstrebigkeit nach oben. Vor dem Krieg absolvierte er eine Banklehre, in der jungen Bundesrepublik arbeitete er als Geschäftsführer in der Industrie und Verbänden sowie als Unternehmer. Schon 1946 schloss er sich der FDP an und gehörte Mitte der 50er Jahre zu den sogenannten "Jungtürken" um Parteichef Erich Mende, Willi Weyer und andere, die den Wechsel der FDP von der CDU zur SPD forcierten, das "Düsseldorfer Modell" stand Pate für den Machtwechsel in Bonn 1969.

    Anfang der 70er Jahre verantwortete er als Parteichef die "Freiburger Thesen" und gab damit den Liberalen ein modernes Reformprogramm. Seit 1953 gehörte er dem Bundestag an, von 1967 bis 69 war er Vizepräsident des Parlaments. Unter Bundeskanzler Konrad Adenauer wurde er 1961 zum ersten Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit ernannt und blieb dies auch unter Ludwig Erhard. Als 1979 seine Amtszeit als Bundespräsident auslief, verzichtete er auf eine Wiederwahl, obwohl sich die Deutschen mit großer Mehrheit dafür aussprachen. Denn in der Bundesversammlung hatten SPD und FDP keine Mehrheit mehr, CDU und CSU wählten Bundestagspräsident Karl Carstens zu seinem Nachfolger.

    Die Bundespräsidenten der BRD

    Theodor Heuss (FDP): 1949 - 1959 Er war der erste Bundespräsident der BRD. "Papa Heuss", wie ihn der Volksmund liebevoll nannte, hat das Ansehen Deutschlands im Ausland maßgeblich verbessert. Der einstige FDP-Vorsitzende konnte viele seiner demokratischen Ideale im Grundgesetz verankern.

    Heinrich Lübke (CDU): 1959 - 1969 Seine Nominierung beruhte darauf, dass sich Konrad Adenauer, der eigentlich für das Amt vorgesehen war, zurückgezogen hatte. Die Presse hat ihn vielfach wegen seiner rhetorischen Ausrutscher verspottet. Er hat das Amt vorzeitig niedergelegt, als seine angebliche Nazi-Vergangenheit publik wurde.

    Gustav Heinemann (SPD): 1969 - 1974 Er verstand sich selbst als "Bürgerpräsident" und gab sich volksnah. Ursprünglich gehörte er der CDU an. Heinemann verließ die Christdemokraten, weil sich die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik nicht mit seinen moralischen Überzeugungen verinbaren ließ.

    Walter Scheel (FDP): 1974 - 1979 Der ehemalige Außenminister blieb nur für eine Amtszeit Bundespräsident. Im Rahmen einer Fernsehshow gab er, bevor er sein Amt antrat, eine eigene Interpretation des Volksliedes "Hoch auf dem gelben Wagen" zum Besten. Seine politischen Ambitionen vereitelte der damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt.

    Karl Carstens (CDU): 1979 – 1984 Charakteristisch für den Konservativen aus Norddeutschland war seine ausgeprägte Wanderleidenschaft. Seine Mitgliedschaft bei der NSDAP während der Nazi-Herrschaft hat ihm heftige Kritik eingetragen.

    Richard von Weizsäcker (CDU): 1984 - 1994 Der ehemalige Bürgermeister von Berlin hat vor allem durch seine Reden Akzente gesetzt. Er machte aus dem 8. Mai, dem "Tag der Niederlage", kurzerhand den "Tag der Befreiung". Als "Gewissen der Nation" erinnerte er an die Schuld des deutschen Volkes und kritisierte scharf den Parteienstaat.

    Roman Herzog (CDU): 1994 - 1999 Herzog war vor seiner Amtzeit Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Mit seiner berühmten Berliner "Ruck-Rede" versuchte er 1997, das Volk aus seiner Passivität zu befreien. Herzog hat sich sehr für den interkulturellen Dialog eingesetzt.

    Johannes Rau (SPD): 1999 - 2004 Er bemühte sich um die Integration ausländischer Mitbürger und setzte auf das Motto "Versöhnen statt spalten". Seine Bibelfestigkeit trug ihm den Spitznamen "Bruder Johannes" ein. Vor dem israelischen Parlament bat er um Verzeihung für den Holocaust.

    Horst Köhler (CDU): 2004 - 2010 Er war der erste Bundespräsident, der nicht zum politischen Establishment zählte. Köhler kritisierte die internationalen Finanzmärkte und äußerte sich vielfach zu gesellschaftspolitischen Themen. Als er öffentlich eine Notwendigkeit militärischer Einsätze in besonderen Fällen betonte, wurde er heftig kritisiert und trat anschließend von seinem Amt zurück.

    Christian Wulff (CDU): 2010 - 2012 Als er sein Amt als Nachfolger von Horts Köhler antrat, war er mit 51 Jahren der jüngste Bundespräsident in der Geschichte der BRD. Doch dann begann das Schlamassel. Von der Inanspruchnahme eines günstigen Privatkredits über kostenlose Urlaube bei Unternehmern bis zur staatlichen Mitfinanzierung einer umstrittenen Lobby-Veranstaltung: Christian Wulff sah sich über Monate hinweg mit vielen Vorwürfen konfrontiert. Die Staatsanwaltschaft Hannover beantragte am 16. Februar 2012 beim Bundestag die Aufhebung der Immunität Wulffs, um strafrechtliche Ermittlungen einleiten zu können. Einen Tag später erklärte Wulff seinen Rücktritt.

    Joachim Gauck (Parteilos): 2012-2017 Joachim Gauck wurde 1940 in Rostock geboren. Nach dem Abitur studierte er Theologie. Von 1965 bis 1990 stand er im Dienst der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs und arbeitete viele Jahre als Pastor. Am 18. März 2012 wählte die Bundesversammlung Joachim Gauck zum elften Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland.

    In Bonn und Berlin war der Alt-Präsident über viele Jahre hinweg ein gern gesehener Gast bei Empfängen und Veranstaltungen, zudem engagierte er sich in zahlreichen Stiftungen. Gerne kokettierte er damit, "freier Mitarbeiter der Bundesrepublik Deutschland" zu sein.

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