Durchbruch für einen schnelleren Ökostrom-Ausbau: Im Schatten der Corona-Krise ist in der schwarz-roten Koalition nach langen Verhandlungen eine Einigung bei wichtigen Fragen erzielt worden.
Die Energiewende soll nun mehr Fahrt aufnehmen, damit Klimaziele nicht in Gefahr geraten. Der größte Zankapfel war ein Mindestabstand von Windrädern zu Wohnhäusern, darüber gab es seit langem Streit.
"Wir freuen uns, dass wir heute eine Einigung bei zentralen energie- und wirtschaftspolitischen Fragen erzielt haben", sagten die federführenden Verhandler, die Fraktionsvizes Carsten Linnemann (CDU) und Matthias Miersch (SPD), am Montag der Deutschen Presse-Agentur. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sprach von einem guten Tag für die Energiewende und den Klimaschutz. Die Ergebnisse sollten zügig umgesetzt werden. Altmaier hatte bereits vorgeschlagen, dass es für Kommunen mit Windrädern Geld geben soll und günstigen Strom für Anwohner. Ein Überblick über die wichtigsten Punkte:
WARUM ES ZU WINDRÄDERN STREIT GAB
Der Ausbau vor allem der Windkraft an Land ist ins Stocken geraten. Dieser ist eine zentrale Säule der Energiewende - also des Umbaus weg von fossilen Energieträgern wie Öl hin zu erneuerbaren Energiequellen aus Sonne und Wind. Grund für den stockenden Ausbau sind lange Genehmigungsverfahren, zu wenig ausgewiesene Flächen und viel Widerstand vor Ort gegen neue Windräder.
Im vergangenen September hatte die Koalition in Eckpunkten für ein Klimaschutzprogramm vereinbart, dass künftig bis zu einem Mindestabstand von 1000 Metern keine neuen Windräder errichtet oder repowert werden sollen - das bedeutet, alte durch neue Anlagen zu ersetzen. Das Ziel: die Akzeptanz erhöhen. Das hatte einen Proteststurm der Windkraftbranche ausgelöst, die fürchtete, es könnten zu wenig Flächen ausgewiesen werden. Für noch mehr Zündstoff sorgten Vorschläge zur Umsetzung aus dem Haus von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Diese sahen vor, dass der 1000-Meter-Abstand schon gelten solle, wenn mindestens sechs Wohngebäude zusammenstehen. Die Regierung konnte sich dazu nicht einigen.
WIE DIE EINIGUNG IN DER KOALITION AUSSIEHT
Konkret soll nun eine Länderöffnungsklausel im Baugesetzbuch eingeführt werden. Diese soll den Ländern die Möglichkeit einräumen, einen Mindestabstand bis zu 1000 Metern in ihre Landesgesetze aufzunehmen. Der Abstand soll gelten bis zur nächsten "bezeichneten zulässigen baulichen Nutzung" zu Wohnzwecken.
Umstritten war lange, ob der Abstand bundesweit gelten soll, und welche Möglichkeiten die Länder dann haben - es ging um eine Opt-out-Regel oder eine Opt-in-Regel. Im ersten Fall hätten Länder, die das nicht wollen, beschließen müssen, die Regel nicht anzuwenden, was die SPD kritisch sah. Nun soll eine Opt-in-Regelung kommen: Zwar wird der 1000-Meter-Abstand im Baugesetzbuch festgeschrieben, dies kann als Erfolg für die Union gewertet werden. Ob dies aber genutzt wird, sollen die Länder entscheiden können - sie sollen dann auch Einzelheiten festlegen. Dies kann als SPD-Erfolg gewertet werden.
Eine Länderöffnungsklausel gab es schon einmal vor ein paar Jahren, genutzt hat sie aber nur Bayern. In den Ländern herrschen unterschiedliche Regelungen oder Empfehlungen zum Abstand. Diese reichen von Entscheidungen im Einzelfall über Empfehlungen eines 100-Meter-Abstands bis hin zur scharfen bayerischen Regelung - die von der Einigung unberührt bleibt. Die "10-H-Regelung" in Bayern sieht vor, dass der Abstand eines Windrades von Wohnsiedlungen mindestens zehn Mal so groß sein muss, wie die Anlage hoch ist.
WIE ES MIT SOLARANLAGEN WEITERGEHT
Der Förderdeckel für neue Solaranlagen soll wie von der Regierung zugesagt unverzüglich aufgehoben werden. Im Jahr 2012 war aus Kostengründen die Förderung bei einer installierten Solarkapazität von 52 Gigawatt gedeckelt worden. Die Förderkosten zahlen die Verbraucher über den Strompreis. Dieser ist zuletzt weiter gestiegen. Der Förderdeckel ist nach Branchenangaben bald erreicht. Der Bundesverbandes Solarwirtschaft befürchtete einen Einbruch beim Ausbau und zeigte sich nun erleichtert.
WIE DIE PLÄNE ZU INVESTITIONSVORHABEN AUSSEHEN
Investitionsvorhaben sollen beschleunigt werden, so Linnemann und Miersch. Dies sei auch vor dem Hintergrund der Corona-Krise dringend nötig. "Deshalb streben wir eine grundlegende Modernisierung der Beteiligungs-, Planungs- und Genehmigungsprozesse an." Kerninhalte sollten deren konsequente Digitalisierung, eine frühzeitigere Beteiligung von Bürgern und beteiligten Kreisen sowie die Verkürzung des Instanzenweges um eine Instanz sein. Schnellere Planungsverfahren sind seit langem in der politischen Debatte, damit die Infrastruktur in Deutschland schneller ausgebaut werden kann. Dies könnte ein wichtiger Punkt sein beim geplanten Konjunkturprogramm der Regierung.
WAS NOCH GEPLANT IST:
Künftig sollen Bund und Länder gemeinsam immer wieder prüfen, wie weit der Ausbau von Wind- und Solaranlagen gekommen ist, wo es hakt und ob die Politik nachsteuern muss. Das soll sicherstellen, dass der Ökostrom-Anteil am Stromverbrauch bis 2030 von derzeit über 40 auf 65 Prozent steigt. Dieses Ziel der Bundesregierung sehen viele Experten wegen des schleppenden Ausbaus der Windkraft in Gefahr. Deutschland steigt aber bis Ende 2022 aus der Atomkraft aus, bis spätestens 2038 soll die Kohleverstromung beendet werden.
WELCHE REAKTIONEN ES GIBT
Bei Branchenverbänden herrschte Erleichterung. Der Präsident des Bundesverbands Windenergie, Hermann Albers, sagte, die Branche stehe bereit für mehr Investitionen und mehr Beschäftigung. Es sei gut, dass es keine bundesgesetzlich geregelten Mindestabstände geben solle. Auch die IG Metall begrüßte die Einigung. Vorstandsmitglied Wolfgang Lemb sagte: "Mit der Einigung bekommen die Beschäftigten in der Branche endlich wieder eine Perspektive." (dpa)
Eckpunkte Klimaschutzprogramm vom Herbst 2019