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Nach der Mailbox-Affäre: Bundespräsident Wulff stößt bei Neujahrsempfang auf Protest

Nach der Mailbox-Affäre

Bundespräsident Wulff stößt bei Neujahrsempfang auf Protest

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    Bundespräsident Christian Wulff (Mitte) und seine Frau Bettina begrüßen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Schloss Bellevue.
    Bundespräsident Christian Wulff (Mitte) und seine Frau Bettina begrüßen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Schloss Bellevue. Foto: dpa

    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist während des Neujahrsempfangs im Schloss Bellevue erstmals seit Beginn seiner Kreditaffäre öffentlich mit Bundespräsident Christian Wulff zusammengekommen. Wulff begrüßte Merkel am Donnerstagmittag mit seiner Ehefrau Bettina. Danach folgten alle Kabinettsmitglieder.

    Zuvor begrüßte Wulff den CSU-Chef und bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer. Er ist derzeit Bundesratspräsident. Der Präsident der Länderkammer vertritt gemäß dem Grundgesetz den Bundespräsidenten, wenn dieser verhindert ist. So hatte Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) nach dem überraschenden Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler 2010 als amtierender Bundesratspräsident die Amtsgeschäfte des Staatsoberhaupts geführt. Innerhalb von 30 Tagen muss die Bundesversammlung einen neuen Bundespräsidenten wählen.

    Vorsitzender des Journalistenverbands verzichtet auf Teilnahme

    Nach der Chefin der  Anti-Korruptionsorganisation Transparency International (TI) hat  auch der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbands (DJV), Michael Konken, auf die Teilnahme am Neujahrsempfang des  Bundespräsidenten verzichtet. Er protestierte damit gegen die "Desinformationspolitik des deutschen Staatsoberhaupts", erklärte Konken am Donnerstag in Berlin. Seine vor Millionen  Fernsehzuschauern gemachte Zusage, 400 Fragen zu beantworten und Transparenz herzustellen, habe Christian Wulff "noch nicht einmal  ansatzweise eingehalten".

    Wütender Wulff: Wegen diesen Fragen rief er bei "Bild" an

    Warum haben Sie dem Landtag verschwiegen, dass eine "geschäftliche Beziehung" zwischen Ihnen und der mit Egon Geerkens in Gütergemeinschaft lebenden Ehefrau Edith durch einen im Oktober 2008 geschlossenen Darlehensvertrag über 500 000 Euro besteht?

    Teilen Sie die Auffassung, dass Sie den Landtag in diesem Zusammenhang bewusst getäuscht haben?

    Wie haben Sie die 500 000 Euro erhalten? Per Überweisung aus Deutschland, der Schweiz, der USA - oder bar? Oder auf welche andere Weise?

    Warum haben Sie den im Oktober 2008 geschlossenen Darlehensvertrag wenige Wochen nach der parlamentarischen Anfrage gekündigt und durch einen Darlehensvertrag mit der BW-Bank abgelöst - obwohl der Darlehensvertrag noch bis November 2013 lief?

    Wann und in welcher Form haben Sie das Darlehen zurückgezahlt?

    Gab es vor dem Jahr 2000 geschäftliche Beziehungen zwischen Ihnen, dem CDU-Kreisverband Osnabrück, dem CDU-Landesverband Niedersachsen bzw. dem Land Niedersachsen und Herrn Egon Geerkens oder irgendeiner Firma, an der Herr Geerkens und/oder Frau Geerkens als Gesellschafter beteiligt waren?

    Am Vortag hatte auch die deutsche TI-Vorsitzende Edda Müller ihren Verzicht auf Teilnahme an dem Empfang erklärt. Im Sender n-tv kritisierte Müller, Wulff setze in seinem Umgang mit der Affäre "auf das Vergessen der Menschen". Der Bundespräsident dürfe aber "nicht einfach zur Tagesordnung übergehen" und müsse vor allem zu  dem immer noch im Raum stehenden Vorwurf Stellung nehmen, er habe  in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident gegen das  Ministergesetz verstoßen. Wulff wäre gut beraten, wenn er selbst  hierzu eine Untersuchung vor dem niedersächsischen  Staatsgerichtshof anstoßen würde, forderte Müller.

    Zeitungen entbinden Wulffs Anwälte von Schweigepflicht

    Im Streit um die Veröffentlichung der Anfragen zu der Affäre um Bundespräsident Christian Wulff haben mehrere Zeitungen dessen Anwälte von ihrer Schweigepflicht befreit. Wie die Berliner Zeitung und die Frankfurter Rundschau am  Donnerstag in ihren Online-Ausgaben berichteten, entbanden sie Wulffs Anwalt Gernot Lehr in einem Schreiben mit sofortiger Wirkung  von der Verschwiegenheitspflicht.

    Alle Anfragen der FR und der Berliner Zeitung zu Wulffs  Privatdarlehen, zu seinem BW-Bank-Kredit, zu Zinskonditionen und  Urlaubsreisen, zu Unternehmerfreundschaften, Grundbucheinträgen,  Sicherheiten, zu eventueller Steuerhinterziehung, zu Überweisungen,  Daueraufträgen und Tilgungen dürften gerne veröffentlicht werden,  heißt es den Berichten zufolge in dem Schreiben. Die Zeitungen  begründeten ihren Schritt damit, Wulff "jetzt bei der Herstellung  der von ihm versprochenen Transparenz" zu helfen. Auch die  Welt-Gruppe stimmte der Veröffentlichung ihrer Fragen und der  Antworten zu.

    Chronologie der Affäre Wulff

    25. Oktober 2008: Christian Wulff, damals Ministerpräsident von Niedersachsen, bekommt von der Unternehmergattin Edith Geerkens einen Privatkredit über 500.000 Euro zum Kauf eines Hauses.

    18. Februar 2010: Wulff antwortet auf eine mündliche Anfrage im niedersächsischen Landtag, dass es zwischen ihm und dem Unternehmer Egon Geerkens in den vergangenen zehn Jahren keine geschäftlichen Beziehungen gegeben habe.

    12. Dezember 2011: Wulff versucht, Bild-Chefredakteur Kai Diekmann zu erreichen, um einen Bericht zur Finanzierung seines Privathauses zu verhindern oder zu verschieben. Auf der Mailbox droht er "Krieg" mit Springer an, falls die Geschichte erscheint.

    13. Dezember: Die "Bild"-Zeitung berichtet erstmals über Wulffs Hauskauf-Finanzierung.

    14. Dezember 2011: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht Wulff ihr Vertrauen aus.

    15. Dezember 2011: Der Bundespräsident bricht sein Schweigen: "Ich erkenne an, dass hier ein falscher Eindruck entstehen konnte. Ich bedauere das", heißt es in einer Mitteilung. In der Sache habe er nichts zu verbergen.

    19. Dezember 2011: Wulffs Anwalt legt Unterlagen zum Kredit und eine Liste mit Urlauben vor, die sein Mandant als Regierungschef bei befreundeten Unternehmern verbracht hat. Zudem wird bekannt, dass der Unternehmer Carsten Maschmeyer 2007 im niedersächsischen Landtagswahlkampf eine Anzeigenkampagne für ein Interview-Buch mit Wulff bezahlt hat.

    20. Dezember 2011: Wulffs Anwalt betont, sein Mandant habe von den Zahlungen nichts gewusst.

    22. Dezember: Der Bundespräsident entschuldigt sich öffentlich für die entstandenen Irritationen. Zugleich entlässt er seinen Sprecher Olaf Glaeseker.

    2. Januar 2012: Bei der Staatsanwaltschaft in Hannover gehen elf weitere Strafanzeigen gegen Wulff ein. Die Zahl der Strafanzeigen gegen Wulff liegt nun bei insgesamt 20.

    4. Januar 2012: Wulff gibt ARD und ZDF ein Interview, in dem er den Anruf bei Diekmann als «schweren Fehler» bezeichnet und volle Transparenz bei allen Fragen ankündigt. Am Folgetag veröffentlicht sein Anwalt aber nur eine zusammenfassende Stellungnahme.

    19. Januar 2012: Wegen Korruptionsverdachts lässt die Staatsanwaltschaft Haus und Büros von Wulffs entlassenem Sprecher Olaf Glaeseker durchsuchen. Die Fahnder verschaffen sich auch Zugang zu Räumlichkeiten des Eventmanagers Manfred Schmidt, der zu Wulffs Zeit in Niedersachsen enge Kontakte zur Staatskanzlei in Hannover gehabt haben soll.

    16. Februar 2012: Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Immunität des Bundespräsidenten aufzuheben, um gegen ihn ermitteln zu können.

    17. Februar 2012: Christian Wulff tritt zurück.

    18. Februar 2012: Die Staatsanwaltschaft nimmt die Ermittlungen gegen Wulff wegen des Verdachts der Vorteilsnahme, bzw. Vorteilsgewährung auf.

    29. Februar 2012: Das Bundespräsidialamt teilt mit, dass Christian Wulff den Ehrensold bekomme - jährlich rund 200.000 Euro bis an sein Lebensende.

    9. März 2012: Wulff wird mit dem Großen Zapfenstreich der Bundeswehr in Berlin verabschiedet. Die Feier wird von Protest begleitet.

    9. Oktober 2012: Die Flitterwochen des damaligen Ministerpräsidenten Christian Wulff und dessen Frau Bettina im italienischen Haus eines Versicherungsmanagers rechtfertigen keine Ermittlungen wegen Vorteilsnahme im Amt. Das teilt die Staatsanwaltschaft Hannover mit.

    9. April 2013: Wulff lehnt ein Angebot der Staatsanwaltschaft ab, die Korruptionsermittlungen gegen Zahlung von 20 000 Euro einzustellen.

    12. April 2013: Die Staatsanwaltschaft Hannover erhebt gegen Wulff Anklage. Auch der Filmmanager David Groenewold wird angeklagt.

    14. November 2013: Der Prozess gegen Wulff wegen Vorteilsnahme beginnt. Es geht um rund 700 Euro, die Groenewold für Wulff gezahlt haben soll - angeblich, damit dieser sich im Gegenzug für ein Filmprojekt Groenewolds engagiert.

    9. Dezember: Der Prozess gegen Wulffs ehemaligen Pressesprecher, Olaf Glaeseker, beginnt ebenfalls in Hannover. Glaeseker geht auf Distanz zu seinem ehemaligen Chef.

    19. Dezember: Der Richter Frank Rosenow regt an, den Wulff-Prozess im Januar einzustellen. Der Grund: Mangelnde strafrechtliche Relevanz der Vorwürfe. Wulff selbst ist aber gegen die Einstellung des Verfahrens.

    27. Februar 2014: Christian Wulff wird in seinem Korruptionsprozess freigesprochen und damit vom Vorwurf der Vorteilsannahme entlastet. (dpa)

    Wulffs Anwalt Gernot Lehr hatte am Mittwoch mitgeteilt, seine  Kanzlei sei "aus Rechtsgründen daran gehindert", die im  Zusammenhang mit Wulffs Kreditaffäre gestellten Fragen und die dazu  gehörigen Antworten zu veröffentlichen. Eine Veröffentlichung würde "das Recht der jeweils anfragenden Journalistinnen und Journalisten  am eigenen Wort und an dem Schutz ihrer Rechercheergebnisse oder  -ziele verletzen", hatte der Anwalt erklärt.

    Der Bundespräsident hatte in der vergangenen Woche in einem  Fernsehinterview versprochen, er wolle in der Transparenz "neue  Maßstäbe" setzen. "Ich gebe Ihnen gern die 400 Fragen, 400  Antworten". Stattdessen veröffentlichten die Anwälte aber nur eine  sechsseitige Zusammenfassung mit Erläuterungen zu den verschiedenen  Vorwürfen. dpa/AFP/AZ

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