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Bundestagswahl 2021: Nach den Landtagswahlen: Für Söder wächst die Kanzler-Versuchung

Bundestagswahl 2021

Nach den Landtagswahlen: Für Söder wächst die Kanzler-Versuchung

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    Ständig ist da der Mann im Hintergrund: CDU-Parteichef Armin Laschet (rechts) wird permanent mit Markus Söder verglichen.
    Ständig ist da der Mann im Hintergrund: CDU-Parteichef Armin Laschet (rechts) wird permanent mit Markus Söder verglichen. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Am Tag nach den Landtagswahlen herrscht Katerstimmung bei der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands. Die Wahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg haben der CDU nicht den Absturz gebracht. Den erlebten die Christdemokraten Ende Oktober 2019 in Thüringen, als sie um fast 13 Prozentpunkte einbrachen. Doch die Stimmverluste am Wahlsonntag erschüttern die Parteispitze. Eigentlich sollte es mit Armin Laschet als neuem CDU-Vorsitzenden frisch vorangehen, in Wahrheit geht es gerade zurück.

    Die schlechten Ergebnisse haben eine neue Verletzlichkeit der CDU aufgezeigt, sie haben die Geister geweckt, die Laschet schon besiegt wähnte. Friedrich Merz und sogar Norbert Röttgen, seine Kontrahenten bei der Wahl zum Parteivorsitzenden, rücken wieder in den Fokus. Vor allem befeuern die Wahlergebnisse das Fernduell mit CSU-Chef Markus Söder. Der bayerische Ministerpräsident sieht das offenbar genauso, er schießt jedenfalls an diesem Montag aus München einige Pfeile in Richtung Berlin.

    CDU sehnt sich nach charismatischen Spitzenpolitikern

    „Hätten wir doch auch bloß so charismatische Spitzenpolitiker“, stöhnt ein CDU-Präsidialer am Telefon und benennt damit das Hauptproblem, an dem sie im Konrad-Adenauer-Haus gerade verzweifeln. Laschet kann nichts für die Maskenaffäre. Für den bisher schleppenden Impfverlauf kann er auch nur teilweise verantwortlich gemacht werden.

    Er kann auch nichts dafür, dass seine CDU-Spitzenkandidaten in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg gegen die Ministerpräsidenten Malu Dreyer und Winfried Kretschmann nicht den Hauch einer Chance hatten. Aber deren Erfolg zeigt der CDU schmerzhaft auf, was ihr fehlt: Ein Gesicht, das praktisch alleine Wahlen entscheidet, so wie es bei der SPD-Landeschefin Dreyer und ihrem grünen Amtskollegen Kretschmann der Fall war.

    Sein Erfolg bringt Christdemokraten ins Grübeln: Winfried Kretschmann (Grüne).
    Sein Erfolg bringt Christdemokraten ins Grübeln: Winfried Kretschmann (Grüne). Foto: Marijan Murat, dpa

    Laschet ist in den gut 50 Tagen seit seiner Wahl zum CDU-Chef erstaunlich blass geblieben. Unterschiedliche Rankings verordnen ihn auf verschiedenen Plätzen, aber stets liegt er hinter Kanzlerin Angela Merkel, hinter Markus Söder und sogar hinter Jens Spahn, obwohl der Bundesgesundheitsminister gerade selber nicht gut dasteht.

    Die Wahlstrategen in der CDU-Zentrale sind verzweifelt. Sie haben schon längst auf dem Zettel, was vielen Bürgern landauf, landab noch nicht vollständig ins Bewusstsein gerückt ist: Bei der nächsten Bundestagswahl tritt Angela Merkel nicht mehr an. Und Armin Laschet ist in seiner aktuellen Form nach Einschätzung der Parteizentrale nicht in der Lage, in dieses Vakuum vorzustoßen und es zu füllen.

    Hinter den Kulissen ruft Laschet zum Kämpfen auf

    Hinter den Kulissen des Berliner Politikbetriebs gibt Laschet den Gestalter und macht allenthalben deutlich, dass er sich die Kanzlerkandidatur von Söder nicht nehmen lassen will. In der Videokonferenz der Parteispitze am Montag gibt er, berichten Teilnehmer, die Parole aus, dass man jetzt kämpfen müsse. Vor den Kameras indes lässt Laschet in den Augen vieler CDU-Abgeordneter, die um ihre Sitze im nächsten Parlament fürchten, diesen Kampfgeist vermissen. „Wir fragen uns, wann er endlich angreift“, sagt einer, der dem konservativen Flügel der CDU angehört.

    Als solches Angriffssignal wäre es verstanden worden, wenn Laschet die Klärung der K-Frage vorgezogen hätte. Er hätte als mutiger Macher gegolten, doch Laschet will das Wagnis nicht eingehen. Der Zeitplan dafür sei mit Söder verabredet, betont er: „Zwischen Ostern und Pfingsten, daran hat sich nichts geändert“. Auch die Forderung von Söder, ein Kompetenzteam zu bilden, will er erst besprechen, wenn „die Personalfragen geklärt sind“.

    Malu Dreyer siegt in Rheinland-Pfalz für die SPD.
    Malu Dreyer siegt in Rheinland-Pfalz für die SPD. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Ob Söder der bessere Kanzlerkandidat für die Union wäre? Führende Köpfe in der CSU-Landesgruppe im Bundestag sehen das so. Eine Mehrheit in der Landtags-CSU ist dagegen nach wie vor wenig begeistert von der Idee, Markus Söder im Herbst ins Rennen zu schicken – schon gar nicht, wenn es dabei nur darum ginge, für die schwächelnde Schwesterpartei CDU die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Das habe 1980 mit Franz Josef Strauß nicht funktioniert und sei auch 2002 mit Edmund Stoiber gescheitert.

    Dieses historische Argument wiegt schwer. Dennoch wird in der CSU neu über eine Kanzlerkandidatur des Parteichefs nachgedacht, weil einige Voraussetzungen sich geändert haben. Strauß und Stoiber traten gegen amtierende SPD-Kanzler an. Söder hätte diesen Nachteil nicht. Er könnte sich mehr als seine berühmten Vorgänger gute Chancen ausrechnen, mit der Union die Bundestagswahl zu gewinnen.

    Die CSU fährt seit 70 Jahren eine erfolgreiche Strategie

    Doch paradoxerweise ist genau dieser neue Umstand mittlerweile auch das größte Problem für die CSU: Strauß und Stoiber konnten aus einer Position der Stärke heraus agieren. Beide regierten mit absoluter Mehrheit in Bayern. Sie hatten rechts von SPD und Grünen keine Konkurrenz zu fürchten. Söder hat diesen Vorteil nicht. Er hat es knapp 20 Jahre nach Stoibers Ausflug in die Bundespolitik im bayerischen Landtag mit Freien Wählern, FDP und AfD zu tun. Der Wahlsonntag in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz hat erneut drastisch vor Augen geführt, wie locker die Wähler von hier nach da wechseln.

    Die CSU ist von ihrer einst überragenden Dominanz weit entfernt. Aktuell ist Söder in München auf einen Koalitionspartner angewiesen und er weiß nur zu gut, was eine CSU-Kanzlerschaft in Berlin für die Christsozialen in Bayern bedeuten würde: Er wäre künftig für alles verantwortlich, was im Bund schief geht und könnte Ärgerlichkeiten nicht mehr locker nach Berlin abschieben. Für die politische Konkurrenz in Bayern – allen voran Freie Wähler und FDP – wäre das ein Konjunkturprogramm.

    Edmund Stoiber kandidierte 2002 anstelle von Angela Merkel für die Kanzlerschaft.
    Edmund Stoiber kandidierte 2002 anstelle von Angela Merkel für die Kanzlerschaft. Foto: Franz-Peter Tschauner, dpa

    Noch kann die CSU ihre klassische Strategie, die seit rund 70 Jahren prächtig funktioniert, hemmungslos umsetzen. Diesen Montag nach den Wahlniederlagen der CDU in ihren einstigen Stammlanden Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ist das geradezu exemplarisch zu beobachten. Söder und sein Generalsekretär Markus Blume operieren in ihrer Analyse der Wahlergebnisse mit der feinsinnigen Unterscheidung zwischen der Corona-Strategie und dem Corona-Management der Bundesregierung. Die Strategie der „Umsicht und Vorsicht“ sei richtig, das Management aber sei schlecht gewesen. „Es geht um die Gesamt-Performance der Bundesregierung“, sagt Blume.

    Die Botschaft dahinter ist unüberhörbar: Söder und auch der grüne Wahlsieger Winfried Kretschmann, den die CSU-Führung hier ausdrücklich mit einbezieht, hätten den Kurs in der Pandemie-Bekämpfung im Prinzip richtig vorgegeben, aber die Bundesminister Peter Altmaier, Jens Spahn (beide CDU) und Olaf Scholz (SPD) hätten es im praktischen Vollzug vermurkst. Oder noch einmal verkürzt: Söder ist an allem Ungemach unschuldig. Kretschmann hat gewonnen, weil er bei Corona mit Söder auf einer Linie war. Dass der Wahlerfolg von Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz nicht so recht in dieses Erklärungsmuster passt – sei’s drum. Das wird dann halt mit der großen persönlichen Beliebtheit der sozialdemokratischen Amtsinhaberin erklärt.

    Dreyers Sieg bringt der SPD im Bund Selbstvertrauen

    Für die SPD auf Bundesebene wirkt Dreyers Sieg wie eine große Dosis Selbstvertrauen. Sie leitet aus den Landtagswahlen einen Machtanspruch für den Bund ab, den Laschet so eben nicht formuliert. Obwohl die Umfragen derzeit eine ganz andere Sprache sprechen, sieht SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz in den Ergebnissen das Signal, „dass wir eine künftige Bundesregierung führen und den Bundeskanzler stellen können“. Das könnte eine Ampel mit den Grünen und der FDP sein, oder auch die Kombination aus SPD, Linken und Grünen, wie sie Juso-Chef Kevin Kühnert nicht ausschließt.

    Es sei „möglich, Deutschland zu regieren, ohne dass die CDU/CSU an der Regierung beteiligt ist“, sagt Scholz im Willy-Brandt-Haus, wo sie am Montag Malu Dreyer begrüßen und endlich mal wieder wirklich Grund zum Jubeln haben. Und was macht Laschet? Der mahnt in der Gremiensitzung seiner Partei zum Entsetzen vieler, dass eine Regierung unter CDU-Führung nicht gottgegeben sei.

    Laschet muss sich da nicht wundern, dass in seinem Umfeld nicht nur der Name Söder geraunt wird, wenn es um Alternativen zu ihm als Kanzlerkandidaten geht. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen kommt wieder ins Spiel, ernster muss man die Aussagen aus dem konservativen Fanlager von Friedrich Merz nehmen. Dessen Comebackversuch als Bundestagsabgeordneter wird als jener Kampfeswille gedeutet, den sie Laschet absprechen. Eine Spitzenkandidatur von Merz, während Laschet Parteichef bleibt – diese Kombi ist auf einmal wieder eine Alternative. Immerhin will Laschet das „Modernisierungsjahrzehnt“ aktiv anpacken. Unter anderem müsse es darum gehen, Lösungen für die Probleme zu finden, die nach der Pandemie zu erwarten seien, sagt er. Bereits am 26. März will Laschet deshalb mit allen Kreisvorsitzenden der CDU Deutschlands zusammenkommen, um am Wahlprogramm seiner Partei zu arbeiten.

    Nützt die Zeit Laschet im Duell mit Söder?

    CDU-Spitzenpolitikern wie Andreas Jung kommt das gerade recht. „Wir müssen als Konsequenz aus den Landtagswahlen jetzt die inhaltliche Aufstellung und Erneuerung angehen“, sagt der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende im Bundestag unserer Redaktion. „Das eine ist: Wir kommen wir aus der Krise raus? Das andere: Wie kommen wir gut in die Zukunft?“ Jung erinnert daran, dass die CDU bei ihren wichtigen Arbeiten an einem neuen Grundsatzprogramm von Corona unterbrochen wurde und dies nun auch „im Zeitraffer“ erledigen müsse. Der Konstanzer lenkt den Blick auf die Klimapolitik, bei der die Union vieles erreicht habe, nun aber konkreter werden und draufsatteln müsse. Für Laschet, den Chef aus dem Industrieland Nordrhein-Westfalen, kann das ein wichtiges Betätigungsfeld werden.

    Die Zeit könnte dem 60-Jährigen zupass kommen. Bis zur Bundestagswahl am 26. September dürfte die Erinnerung an ein mäßiges Corona-Management verblasst sein, wenn die Masse der Menschen geimpft und von Pandemie-Beschränkungen befreit ist. Bei der CDU mutmaßen Laschet-Unterstützer zudem, dass weiterhin mäßige Umfrageergebnisse dem Nordrhein-Westfalen eher nützen könnten. Ihre Argumentation: Je schlechter die Siegchancen für CDU und CSU sind, desto eher verlieren Söder oder auch Merz die Lust, sich in den Wahlkampf zu werfen und eine Niederlage zu riskieren.

    In Bayern will sich CSU-Generalsekretär Markus Blume nicht mehr damit aufhalten, was zuletzt für die Union alles schief gelaufen ist. Er plädiert für den „Blick nach vorne“, redet von der Geschlossenheit und Entschlossenheit der CSU und schaltet in den Wahlkampfmodus. Die SPD macht ihm dabei keine Sorgen: „Der Scholz-Zug ist bisher nicht aus dem Bahnhof herausgekommen.“

    "Maskenaffäre hat sich in den Wahlergebnissen noch gar nicht niedergeschlagen"

    Der wuchtige Auftritt der CSU-Führung am Tag nach den Doppelwahlen passt freilich nicht so recht zu der durchaus zwiespältigen Stimmung, die nach Aussagen von Teilnehmern am Montag in der Sitzung des CSU-Vorstands herrscht. „Ich habe das Gefühl, dass viele von uns den Ernst der Lage noch gar nicht erkannt haben“, sagt ein Vorstandsmitglied nach der Sitzung.

    Die Union insgesamt stecke in einer Vertrauenskrise und die CDU könne von Glück reden, dass viele Briefwähler in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz schon gewählt hatten, bevor die Maskenaffären um die aus CSU und CDU mittlerweile ausgetretenen Bundestagabgeordneten Georg Nüßlein und Nikolaus Löbel ruchbar wurden. „Das hat sich in den Wahlergebnissen noch gar nicht niedergeschlagen.“ Eines allerdings hätten die beiden Wahlergebnisse vom Wochenende unzweifelhaft gezeigt: „Es kommt mehr denn je auf die Personen an.“

    Womöglich entpuppt sich Armin Laschet als Marathonläufer mit Qualitäten für die lange Strecke. Einmal hat er sich so schon als erster ins Ziel gebracht. Laschet habe mit seinem NRW-Wahlkampf bewiesen, erinnert der Konstanzer CDU-Abgeordnete Andreas Jung, dass man mit inhaltlicher Positionierung eine Wahl auch gegen starke Gegner durchaus gewinnen könne.

    Und Söder? Dass er der Versuchung erliegen könnte, wenn er die Möglichkeit hätte, nach der Kanzlerkandidatur zu greifen, denken jedenfalls immer mehr in der CSU. Wie sagt es doch ein Teilnehmer der Vorstandssitzung: „Ich glaube, er war heute wieder ein Stück näher dran.“

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