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Nach Putsch-Versuch: Ausnahmezustand in der Türkei: Steinmeier fordert baldiges Ende

Nach Putsch-Versuch

Ausnahmezustand in der Türkei: Steinmeier fordert baldiges Ende

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    Präsident Erdogan kündigte am Mittwochabend den Ausnahmezustand für die Türkei an.
    Präsident Erdogan kündigte am Mittwochabend den Ausnahmezustand für die Türkei an. Foto: Archivbild, Turkish Presidental Press Office (dpa)

    Nach dem gescheiterten Putsch hat die türkische Führung den Ausnahmezustand im Land verhängt. Dieser gelte für drei Monate, verkündete Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan in der Nacht zum Donnerstag nach einer Sondersitzung des Nationalen Sicherheitsrates und des Kabinetts in Ankara. Unter dem

    Ausnahmezustand soll nicht das Volk betreffen

    Vize-Ministerpräsident und Regierungssprecher Numan Kurtulmus erklärte in der Nacht laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu, vor allem die Befugnis zur Erlassung von Dekreten solle genutzt werden. Kurtulmus bezog sich auf eine "Parallelstruktur", einen Begriff, den die Regierung für die Gülen-Bewegung benutzt. "Der Ausnahmezustand wird nur dazu genutzt, die Parallelstruktur zu bekämpfen", sagte Kurtulmus. Der Ausnahmezustand betreffe nicht das Volk, sondern den Staat. Das alltägliche Leben der Bürger werde nicht beeinflusst. Auch die Arbeit des Parlaments bleibe unberührt.

    Erdogan begründete den Ausnahmezustand mit Artikel 120 der Verfassung. Dieser erlaubt den Schritt bei "weit verbreiteten Gewaltakten zur Zerstörung der freiheitlich-demokratischen Ordnung" oder bei einem "gravierenden Verfall der öffentlichen Ordnung". Der Beschluss muss im Amtsanzeiger veröffentlicht und ans Parlament übermittelt werden. Das Parlament kann die Dauer des Ausnahmezustands verändern, ihn aufheben oder ihn auf Bitte des Kabinetts verlängern. Noch am Donnerstag soll sich das Parlament mit der Maßnahme befassen.

    Erdogan will Gülen-Anhänger weiter verfolgen

    Erstmals seit dem Putschversuch war am Mittwoch der Nationale Sicherheitsrat unter Erdogan zusammengekommen. Anschließend tagte das Kabinett unter dem Vorsitz des Präsidenten, um über neue Maßnahmen im Kampf gegen die Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen zu beraten. Erdogan macht Gülen für den Umsturzversuch aus den Reihen des Militärs mit mehr als 260 Toten verantwortlich.

    Über die Anhänger Gülens sagte Erdogan: "Egal wohin sie fliehen, wir sind ihnen auf den Fersen." Der Präsident forderte von den USA erneut die Auslieferung Gülens.

    Steinmeier fordert den Ausnahmezustand zu begrenzen

    Außenminister Frank-Walter Steinmeier forderte die Türkei auf, den Ausnahmezustand auf möglichst kurze Zeit zu begrenzen. Er müsse "auf die unbedingt notwendige Dauer beschränkt und dann unverzüglich beendet" werden, sagte Steinmeier am Mittwochabend (Ortszeit) bei einem Besuch in Washington. "Alles andere würde das Land zerreißen und die

    Steinmeier sagte weiter, mit der Verhängung des Ausnahmezustands werde deutlich, welch "tiefe Spuren" nach dem gescheiterten Putsch durch Politik und Gesellschaft in der Türkei gingen. Zugleich mahnte er: "Bei allen Maßnahmen, die der Aufklärung des Putschversuchs dienen, müssen Rechtsstaatlichkeit, Augenmaß und Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben."

    Spitzenpolitiker: Ausnahmezustand soll Pressefreiheit nicht beeinflussen

    Türkische Spitzenpolitiker versuchten zu beruhigen: Vize-Ministerpräsident Mehmet Simsek teilte via Twitter mit, der Ausnahmezustand werde weder die Pressefreiheit noch die Versammlungs- oder die Bewegungsfreiheit einschränken. Es handele sich nicht um die Ausrufung des Kriegsrechts wie unter der Militärdiktatur 1980. Das Leben gewöhnlicher Menschen werde nicht beeinträchtigt. Geschäfte würden normal weiterlaufen. "Wir sind der Marktwirtschaft verpflichtet." Die türkische Lira stürzte nach der Verhängung des Ausnahmezustands weiter ab.

    Auch Ministerpräsident Binali Yildirim teilte über Twitter mit, der nach dem Putschversuch verhängte Ausnahmezustand sei nicht gegen das alltägliche Leben der Menschen gerichtet. Erdogan versuchte nach der Verkündung des Ausnahmezustands gleich in mehreren nächtlichen Ansprachen ans Volk, mögliche Bedenken zu zerstreuen. 

    Erdogan will mit Ansprachen ans Volk beruhigen

    "Habt keine Sorge", sagte Erdogan. "Es wird im Ausnahmezustand definitiv keine Einschränkungen geben. Dafür garantieren wir." Der Ausnahmezustand sei zum Schutz der Bevölkerung und "definitiv nicht gegen Rechte und Freiheiten" gerichtet. Ziel sei es, die Demokratie und den Rechtsstaat wiederherzustellen. "Wir werden von der Demokratie keinen Schritt abweichen."

    Erdogan wies Kritik aus der EU an seinem Kurs zurück. Mit Blick auf Frankreich sagte er, auch europäische Länder hätten bereits bei weniger gravierenden Anlässen den Ausnahmezustand verhängt. "Sie haben definitiv nicht das Recht, die Türkei zu kritisieren." Zur Niederschlagung des Putsches sagte Erdogan: "Wir als türkisches Volk haben ein Heldenepos geschrieben." 

    Seit dem Putsch-Versuch greift Erdogan in der Türkei hart durch

    Seit dem Putschversuch geht die Regierung mit harter Hand gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger vor. Zehntausende Staatsbedienstete wurden suspendiert, mehr als 8500 Menschen festgenommen. 

    Unter dem Ausnahmezustand können die Behörden beispielsweise Ausgangssperren verhängen, Versammlungen untersagen und Medien-Berichterstattung kontrollieren oder verbieten. Zuletzt war in der Türkei in den mehrheitlich kurdischen Provinzen Diyarbakir und Sirnak Ende 2002 der Ausnahmezustand aufgehoben worden, der auch nur über einzelne Provinzen verhängt werden kann. 

    Im Sicherheitsrat sind neben Erdogan und Ministerpräsident Binali Yildirim auch Kabinettsmitglieder und Militärführer vertreten, darunter Armeechef Hulusi Akar. Akar war von den Putschisten aus den Reihen des Militärs gefangen genommen und später befreit worden. dpa

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