Gut zwei Monate nach Aufdeckung der Neonazi-Mordserie hat die Regierung am Mittwoch den Aufbau einer zentralen Datei über Rechtsextreme beschlossen. Erfasst werden sollten Extremisten, die Gewalt unterstützen, vorbereiten oder dazu aufrufen, sagte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) in Berlin. Es werde aber keine "Gesinnungsdatei" geben, betonte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP).
NSU wäre in Datei aufgenommen worden
In der neuen Verbunddatei sollen Verfassungsschutz und Polizei von Bund und Ländern sowie der Militärischer Abschirmdienst (MAD) ihre Informationen zusammenführen. Mit der Datei, die sich an der Anti-Terror-Datei zu Islamisten orientiert, reagiert die Bundesregierung auf die Ermittlungspannen bei der Ende 2011 aufgedeckten Neonazi-Mordserie. Der Gruppierung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) werden die Tötung von neun Migranten und einer Polizistin zur Last gelegt. Hätte es die Datei schon zu den Zeiten der Mordserie gegeben, wären die Tatverdächtigen darin aufgenommen worden, sagte Friedrich.
Seine Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger betonte, die Indexdatei dürfe "nicht von den offenen Strukturfragen ablenken". "Nach der beispiellosen Pannenserie muss der Verfassungsschutz in Bund und Ländern besser organisiert werden", sagte sie.
Rädelsführer, Unterstützer und Logistiker der Szene
In der Datei sollten Rädelsführer, Unterstützer und Logistiker aus der Szene erfasst werden, wie der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, im ARD-"Morgenmagazin" sagte. Auch Kontaktpersonen sollten aufgenommen werden, fügte er vor Journalisten hinzu. Reine Zufallskontakte sollten aber nicht berücksichtigt werden. Nach seinen Worten fahndet das BKA derzeit nach sieben untergetauchten Gewalttätern.
Für eine Aufnahme in die Datei kommen die knapp 10.000 gewaltbereiten Rechtsextremen in Deutschland theoretisch in Frage, wie Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm sagte. Die Frage der Aufnahmekriterien war zunächst zwischen Leutheusser-Schnarrenberger und Friedrich umstritten. Der Innenminister hatte ursprünglich die Daten "gewaltbereiter" Rechtsextremisten erfassen wollen, die Justizministerin hatte vorgeschlagen, dies enger zu fassen und sich auf "gewalttätige" Extremisten zu beschränken.
Polizeigewerkschaft fordert "niedrigere Einschreitschwelle"
Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) plädierte dafür, die "gesamte Szene" zu erhellen. Es müsse eine viel niedrigere "Einschreitschwelle" geben als zum Beispiel bei allgemeiner Kriminalität, erklärte die DpolG. Grünen-Chefin Claudia Roth begrüßte die beschlossene Datei im Grundsatz, erklärte sie aber für nicht ausreichend.
Unterdessen warnte die FDP die Landesinnenminister davor, dem Bundestag bei der Aufklärung der Ermittlungspannen die Zusammenarbeit zu verweigern. Sollten die Minister bei ihrem Informationsboykott bleiben, müsse über bundesgesetzliche Konsequenzen nachgedacht werden, sagte der FDP-Innenexperte Hartfrid Wolff der "Leipziger Volkszeitung" (Donnerstagsausgabe). Zuvor hatte das Blatt aus einem Schreiben von Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) zitiert, in dem dieser auf die "ausschließliche" Kontrollbefugnisse der Landesparlamente verweist.
Im Bundestag wird sich auch ein Untersuchungsausschuss mit den Vorgängen befassen. Auch der Thüringer Landtag will kommende Woche einen Untersuchungsausschuss zum Neonazi-Trio einsetzen. (afp, AZ)