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NSU-Prozess: BGH-Richter bestätigen Höchststrafe für NSU-Terroristin Zschäpe

NSU-Prozess

BGH-Richter bestätigen Höchststrafe für NSU-Terroristin Zschäpe

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    Der Bundesgerichtshof hat die Revision von Beate Zschäpe seit Januar überprüft.
    Der Bundesgerichtshof hat die Revision von Beate Zschäpe seit Januar überprüft. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Die NSU-Terroristin Beate Zschäpe entgeht nicht der Höchststrafe. Der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigte die Verurteilung der 46-Jährigen als Mittäterin an der rassistisch motivierten Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds". Damit bleibt es bei der Strafe, die das Oberlandesgericht (OLG) München 2018 verhängt hatte: lebenslange Haft bei besonderer Schwere der Schuld. Wie der BGH am Donnerstag weiter mitteilte, sind auch die Verurteilungen der NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben und Holger G. rechtskräftig. Über die Revisionen im Fall des mitangeklagten André E. soll im Dezember in Karlsruhe verhandelt und entschieden werden. (Az. 3 StR 441/20)

    NSU-Prozess: Es gibt keinen Beweis, dass Zschäpe an einem der Tatorte war

    Über Zschäpes Revision hatten die obersten Strafrichterinnen und -richter ohne Verhandlung am 12. August per schriftlichem Beschluss entschieden. Die Entscheidungen zu Wohlleben und G. wurden nicht begründet. Damit ist das NSU-Verfahren, was die zentralen Personen angeht, abgeschlossen - im zehnten Jahr nach dem Suizid von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt und dem Auffliegen des Trios.

    Zschäpe hatte mit Mundlos und Böhnhardt fast 14 Jahre im Untergrund gelebt. In dieser Zeit verbreiteten die Rechtsterroristen des NSU unerkannt Angst und Schrecken: Zwischen September 2000 und April 2007 ermordeten die Männer acht türkischstämmige und einen griechischstämmigen Kleinunternehmer sowie eine Polizistin. Wer hinter der Serie von Morden, Anschlägen und Raubüberfällen stand, wurde erst bekannt, als sich Mundlos und Böhnhardt 2011 das Leben nahmen, um der Festnahme zu entgehen. Zschäpe zündete die gemeinsame Wohnung an, verschickte ein Bekennervideo und stellte sich.

    Die größte Frage war, ob das OLG München Zschäpe zu Recht für all diese Taten als vielfache Mörderin mitverantwortlich gemacht hat. Denn es gibt keinen Beweis, dass sie selbst an einem der Tatorte war.

    Nach BGH-Urteil: Zschäpe kann sich jetzt ans Bundesverfassungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden

    Der 3. Strafsenat des BGH hatte das OLG-Urteil monatelang geprüft - und hat "im Ergebnis keine rechtlichen Bedenken". Zschäpe habe "in hierfür ausreichendem Maße sowohl Tatherrschaft als auch Tatinteresse" gehabt. Ihre Rolle, sich vorwiegend im Umfeld der gemeinsamen Wohnung aufzuhalten, sei zwar nicht mit "Schmierestehen" vergleichbar. Zschäpe habe aber alle Taten mitgeplant, die Abwesenheit ihrer Komplizen gedeckt und für die Veröffentlichung des wichtigen Bekennervideos bereitgestanden. "Sie übte daher eine wesentliche Funktion aus, von der das Gelingen des Gesamtvorhabens abhing", heißt es in dem 31-seitigen Beschluss.

    Die Richterinnen und Richter strichen lediglich eine Einzelstrafe. Auf das Strafmaß hat dies keine Auswirkungen, es bleibt auch bei der vom OLG festgestellten besonderen Schwere der Schuld. Damit ist eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren rechtlich zwar möglich, in der Praxis aber so gut wie ausgeschlossen. Zschäpe sitzt bislang in der Justizvollzugsanstalt Chemnitz in Untersuchungshaft, dorthin war sie im Februar 2019 von München-Stadelheim verlegt worden. Sie dürfte nun in eine Abteilung für Strafgefangene verlegt werden.

    Zschäpe-Verteidiger Wolfgang Heer kritisierte die Entscheidung. Ihr Vertrauensanwalt Mathias Grasel teilte mit: "Ich werde die Entscheidung des Revisionsgerichts zeitnah mit meiner Mandantin besprechen und wir werden anschließend gemeinsam überlegen, ob hiergegen weitere rechtliche Schritte unternommen werden sollen." Denkbar wäre jetzt nur noch, sich an das Bundesverfassungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu wenden. Beides dürfte nicht allzu aussichtsreich sein.

    Urteil zu NSU-Unterstützer André E. soll im Dezember verkündet werden

    Anwältin Seda Basay-Yildiz, die im Münchner Prozess Opfer-Angehörige vertreten hatte, sagte der dpa, nun sei das Urteil Gott sei Dank rechtskräftig. Auch ihre Mandanten seien darüber erleichtert.

    Wohlleben und Holger G. waren wegen der langen Dauer des Verfahrens zwischenzeitlich aus der U-Haft entlassen worden. Die Bundesanwaltschaft muss nun prüfen, ob beziehungsweise wie lange sie noch in Haft müssen. Das OLG hatte Wohlleben als Waffenbeschaffer wegen Beihilfe zum Mord zu zehn Jahren Haft verurteilt, G. wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu drei Jahren Haft.

    Große Prozesse gegen Rechtsextremisten in Deutschland

    Dem Prozess im Mordfall Walter Lübcke gingen zahlreiche Gerichtsverfahren gegen Rechtsextremisten in Deutschland voraus. Wichtige Urteile im Überblick: 

    Der "Bückeburger Prozess": 1979 werden erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Rechtsextremisten wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Vier Angeklagte aus dem Umfeld des Hamburger Neonazis Michael Kühnen erhalten wegen Überfällen und Anschlagsplänen zwischen acht und elf Jahre Haft. 

    "Wehrsportgruppe Hoffmann": Karl-Heinz Hoffmann, der Gründer der 1980 verbotenen Wehrsportgruppe, wird 1986 wegen verschiedener Delikte zu über neun Jahren Haft verurteilt. Vom Doppelmord an einem jüdischen Verlegerpaar wird er vor dem Nürnberger Schwurgericht jedoch freigesprochen. 

    Kay Diesner: 1997 wird der Neonazi wegen Mordes an einem Polizisten und versuchten Mordes an einem weiteren Polizisten sowie einem linken Buchhändler zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Lübecker Landgericht wirft ihm «menschenverachtende Verblendung» vor.

    "Gruppe Freital": Das Oberlandesgericht Dresden verhängt 2018 gegen die rechtsextreme «Gruppe Freital» Haftstrafen zwischen vier und zehn Jahren. Die acht Angeklagten werden unter anderem wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung und versuchten Mordes verurteilt.

    NSU-Prozess: Die Rechtsterroristin Beate Zschäpe wird 2018 wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Über fünf Jahre wurden am Oberlandesgericht München die rassistischen Morde des sogenannten «Nationalsozialistischen Untergrunds» (NSU) zwischen 2000 und 2006 sowie der Mord an einer Polizistin verhandelt. 

    Anschlag von Halle: Voraussichtlich ab Juli 2020 muss sich Stephan B. nach dem versuchten Anschlag auf eine Synagoge und dem Mord an zwei Menschen vor dem Oberlandesgericht Naumburg verantworten. B. hatte im Oktober 2019 versucht, in der Synagoge ein Blutbad unter den dort versammelten Gläubigen anzurichten. (dpa)

    Dass der Fall von André E. am BGH verhandelt wird, war abzusehen. Denn seine Verurteilung zu einer überraschend milden Strafe wird als einzige auch von der Bundesanwaltschaft angefochten. Die Verhandlung soll am 2. Dezember stattfinden, das Urteil am 15. Dezember verkündet werden. E. hatte den NSU-Terroristen mehrere Bahncards besorgt und ein Wohnmobil angemietet, mit dem sie für einen Bombenanschlag nach Köln fuhren. Das OLG hatte ihn aber nur wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt.

    Eine fünfte Verurteilung war schon länger rechtskräftig. Carsten S. hatte seine Revision zurückgezogen und ist seit Mitte 2020 frei, nachdem der Rest seiner dreijährigen Jugendstrafe wegen Beihilfe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Er hatte gestanden, dem NSU die Pistole übergeben zu haben, mit der später neun Morde begangen wurden.

    NSU-Prozess: Seite Ende April 2020 liegt das Urteil schriftlich vor

    Der Münchner Mammutprozess war am 11. Juli 2018 nach mehr als fünf Jahren und über 400 Verhandlungstagen zu Ende gegangen. Das Urteil, das seit Ende April 2020 schriftlich vorliegt, ist 3025 Seiten lang.

    Im Zeitraffer: Zentrale Verhandlungstage des NSU-Prozesses

    Es war eine akribische, oft zähe Suche nach der Wahrheit im Münchner NSU-Prozess. Sie dauerte mehr als fünf Jahre und mehr als 430 Verhandlungstage. Die wichtigsten davon im Rückblick:

    6. Mai 2013: Der Prozess gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe und die vier Mitangeklagten Ralf Wohlleben, André E., Carsten S. und Holger G. beginnt. Am 14. Mai wird die Anklage verlesen.

    4. Juni 2013: Carsten S. beginnt seine Aussage. Er räumt ein, eine Waffe für den «Nationalsozialistischen Untergrund» besorgt zu haben. Zwei Tage später räumt Holger G. ein, dem NSU geholfen zu haben.

    1. Oktober 2013: Der Vater des Mordopfers Ismail Yozgat tritt als Zeuge auf: Er wirft sich auf den Boden, um die Position seines sterbenden Sohns zu beschreiben. Am Tag darauf appelliert dessen Mutter eindringlich an Zschäpe, zur Aufklärung beizutragen.

    16. Januar 2014: Der Polizist Martin A., der beinahe das elfte Todesopfer des NSU geworden wäre, sagt im Prozess als Zeuge aus.

    16. Juli 2014: Das Hickhack um Zschäpes Verteidiger beginnt: Sie gibt an, sie habe kein Vertrauen mehr in ihre Pflichtverteidiger. Wenig später schmettert das Gericht ihren Antrag auf neue Anwälte ab.

    6. Juli 2015: Der Krach geht weiter - deshalb ordnet das Gericht Zschäpe einen vierten Pflichtverteidiger bei: Mathias Grasel. Ihre Alt-Verteidiger scheitern mit Versuchen, von den Mandaten entbunden zu werden. Einmal zeigt Zschäpe die drei sogar an - erfolglos.

    9. Dezember 2015: Zschäpe äußert sich erstmals vor Gericht: Am 249. Verhandlungstag verliest ihr neuer Anwalt Grasel eine Aussage. Darin räumt sie ein, von den Banküberfällen ihrer Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gewusst zu haben. Sie gesteht, die letzte Fluchtwohnung des Trios in Zwickau in Brand gesteckt zu haben. Aber von den Morden und Anschlägen will sie immer erst im Nachhinein erfahren haben.

    16. Dezember 2015: Auch Wohlleben bricht sein Schweigen. Er bestreitet, eine der Mordwaffen, die "Ceska", beschafft zu haben.

    29. September 2016: Nach dreieinhalb Jahren ergreift Zschäpe zum ersten Mal persönlich das Wort - für eine kurze Erklärung: Sie bedauere ihr «Fehlverhalten» und sie verurteile, was ihre Freunde Mundlos und Böhnhardt den Opfern «angetan haben».

    17. Januar 2017: Der Psychiater Henning Saß bescheinigt Zschäpe volle Schuldfähigkeit; sie sei möglicherweise noch immer gefährlich.

    3. Mai 2017: Der von Zschäpes Vertrauensanwälten benannte Gutachter Joachim Bauer attestiert Zschäpe verminderte Schuldfähigkeit. Doch das Gericht lehnt Bauer später wegen befürchteter Parteilichkeit ab.

    25. Juli 2017: Die Bundesanwaltschaft beginnt mit ihrem Plädoyer.

    12. September 2017: Bundesanwalt Herbert Diemer fordert lebenslange Haft und anschließende Sicherungsverwahrung für Zschäpe und teils lange Haftstrafen für die Mitangeklagten. Am 13. September erlässt das Gericht Haftbefehl auch gegen André E.

    15. November 2017: Nach zwei Monaten Stillstand wegen zahlreicher Befangenheitsanträge beginnen die Plädoyers der Nebenkläger - mit Frontalangriffen auf Zschäpe, aber auch auf die Bundesanwaltschaft.

    24. April 2018: Die Verteidiger-Plädoyers beginnen: Zschäpes Vertrauensanwälte weisen den Anklagevorwurf zurück, die heute 43-Jährige sei Mittäterin an den Morden und Anschlägen des NSU gewesen, und fordern am Ende eine Haftstrafe von unter zehn Jahren.

    3. Juli 2018: Zschäpe und drei der vier Mitangeklagten äußern sich in persönlichen Schlussworten. Zschäpe distanziert sich noch einmal von den NSU-Verbrechen. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl kündigt das Urteil für den 11. Juli an.

    11. Juli 2018: Nach mehr als fünf Jahren fällt das Urteil gegen Zschäpe. Sie wird vom Oberlandesgericht München zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Ihr Verteidiger Wolfgang Heer kündigt an, Revision gegen das Urteil einzulegen...

    ... Die Mitangeklagten bekommen ebenfalls Haftstrafen: Ralf Wohlleben wird als Waffenbeschaffer für den NSU zu zehn Jahren Haft verurteilt. Holger G. zu drei Jahren, André E. zu zwei Jahren und sechs Monaten und Carsten S. zu drei Jahren Jugendstrafe.

    Politikerinnen und Politiker äußerten sich erleichtert über die BGH-Entscheidung, forderten aber auch weitere Aufklärung. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans sagte der dpa: "Den Hinterbliebenen der Mordopfer des NSU hilft die Bestätigung des Urteils gegen eine der Hauptverantwortlichen sicher, ihren inneren Frieden zu finden."

    Der FDP-Politiker Konstantin Kuhle forderte, die Sicherheitsbehörden müssten rechtsextreme Netzwerke stärker offenlegen. Irene Mihalic, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, erklärte: "Bis heute wissen wir nicht, wie genau die unterstützende Struktur aussah, die hinter dem Terror-Trio des NSU stand.". Die Linke-Abgeordnete Martina Renner sagte, nun müssten auch die neun weiteren beschuldigten Unterstützerinnen und Unterstützer des NSU angeklagt werden. (dpa)

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