Fast zwei Jahre nach dem Urteil im NSU-Prozess gegen die Rechtsterroristin Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte geht die juristische Aufarbeitung der rassistisch motivierten Morde und Anschläge in die nächste Phase: Das Oberlandesgericht (OLG) München gab am Dienstag seine mit Spannung erwartete Urteilsbegründung ab - genau 3025 Seiten, wie das Gericht mitteilte. Nach der Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe haben die Prozessbeteiligten, die Revision eingelegt haben, einen Monat Zeit, um diese zu begründen. Dann muss der Bundesgerichtshof in Karlsruhe das Urteil überprüfen.
Zschäpe war am Ende des mehr als fünfjährigen Mammutverfahrens um die Morde und Anschläge der Neonazi-Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" am 11. Juli 2018 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Die vier Mitangeklagten erhielten ebenfalls Haft- oder Jugendstrafen.
Frist für NSU-Urteil wäre in zwei Tagen abgelaufen
Das OLG unter dem Vorsitzenden Richter Manfred Götzl hat nun gerade noch die Frist gewahrt, in der die schriftlich Begründung laut Strafprozessordnung "zu den Akten gebracht" werden muss. Diese Frist wäre an diesem Mittwoch ausgelaufen, 93 Wochen nach dem Urteilsspruch am 11. Juli 2018. Hätte das Gericht die Frist verstreichen lassen, hätte der gesamte Prozess automatisch von vorne beginnen müssen.
Zschäpe hatte fast 14 Jahre lang mit ihren Freunden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund gelebt. In dieser Zeit ermordeten die Männer in verschiedenen Städten neun Gewerbetreibende türkischer und griechischer Herkunft sowie eine Polizistin. Sie begingen Sprengstoffanschläge mit vielen Verletzten und mehr als ein Dutzend Raubüberfälle. Am Ende nahmen sich Mundlos und Böhnhardt das Leben.
Das Gericht verurteilte Zschäpe als Mittäterin an allen Verbrechen des NSU, also auch wegen zehnfachen Mordes. Zudem stellte es die besondere Schwere der Schuld fest - damit ist eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren rechtlich zwar möglich, in der Praxis aber so gut wie ausgeschlossen. Lediglich auf die Anordnung anschließender Sicherungsverwahrung verzichtete das Gericht.
Beate Zschäpe als Mittäterin des NSU verurteilt
Mit Spannung erwartet wird vor allem, wie das
Gericht
in der schriftlichen
Urteilsbegründung
die Rolle Zschäpes als Mittäterin herleitet und begründet. Denn es gibt keinen Beweis, dass
Zschäpe
an einem der Tatorte war. Die Anklage hatte ihr allerdings eine maßgebliche Rolle bei der Tarnung des NSU-Trios zugeschrieben und argumentiert,
Zschäpe
habe "alles gewusst, alles mitgetragen und auf ihre eigene Art mitgesteuert und mit bewirkt". Dieser Argumentation folgte das
Gericht
mit seinem Urteil am 11. Juli 2018 - und verurteilte
Zschäpe
als Mittäterin tatsächlich zur Höchststrafe.
Zschäpes zwei Verteidiger-Teams hatten dagegen den Freispruch ihrer Mandantin von allen Morden und Anschlägen gefordert: Diese sei keine Mittäterin, keine Mörderin und keine Attentäterin. Zschäpe hatte in schriftlichen Einlassungen geltend gemacht, sie habe von den Morden und Anschlägen ihrer Freunde immer erst im Nachhinein erfahren.
Dass der Bundesgerichtshof das Urteil überprüfen muss, ist schon lange klar: Alle Angeklagten beziehungsweise Verteidiger und auch die Bundesanwaltschaft haben Revision eingelegt, letztere aber nur im Hinblick auf das Urteil gegen den Mitangeklagten André E. Auch der Mitangeklagte Carsten S. hatte zunächst Revision eingelegt, diese aber später zurückgezogen - das Urteil gegen ihn ist rechtskräftig.
Ralf Wohlleben wurde als Waffenbeschaffer des NSU-Trios zu zehn Jahren Haft verurteilt - das Gericht sprach ihn der Beihilfe zum Mord in neun Fällen schuldig. Der Mitangeklagte Holger G. wurde wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu drei Jahren Haft verurteilt. Carsten S. erhielt wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen drei Jahren Jugendstrafe. Beim Mitangeklagten André E. blieb das Oberlandesgericht mit zweieinhalb Jahren Haft wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung weit unter der Forderung der Anklage, die auf Beihilfe zum versuchten Mord plädiert hatte.
Zschäpe war im Februar 2019 von München-Stadelheim in die Justizvollzugsanstalt Chemnitz verlegt worden. Carsten S., der seine Revision zurückgezogen hat, hat seine Strafe bereits angetreten. Die anderen befinden sich auf freiem Fuß. Die Untersuchungshaft von E. hatte das Gericht mit dem Urteilsspruch beendet. Wohlleben wurde wenig später, nach mehr als sechs Jahren U-Haft, entlassen. Die Richter sahen keine Gefahr mehr, dass Wohlleben fliehen und somit dem weiteren Verfahren fernbleiben könnte. G. befand sich ohnehin auf freiem Fuß. All das könnte sich wieder ändern, wenn das Urteil eines Tages komplett rechtskräftig ist. Doch wie lange es dauern wird, bis der BGH das Urteil überprüft haben wird, ist noch nicht absehbar.
Der BGH überprüft das Urteil ausschließlich auf formale oder inhaltliche Rechtsfehler und klärt die Sache nicht weiter auf. Es werden also beispielsweise keine Zeugen gehört. Hält das Urteil der Überprüfung stand, wird es rechtskräftig. Hat die Revision Erfolg, heben die Richter das Urteil ganz oder teilweise auf. Im äußersten Fall müsste also der gesamte Prozess nochmals neu aufgerollt werden. (dpa)