Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

NSU-Morde: Verfassungsschutzchef Fromm räumt schwere Pannen ein

NSU-Morde

Verfassungsschutzchef Fromm räumt schwere Pannen ein

    • |
    Verfassungsschutz-Chef Heinz Fromm (links) im Gespräch mit dem Vorsitzenden des NSU-Ausschusses, Andreas Edathy.
    Verfassungsschutz-Chef Heinz Fromm (links) im Gespräch mit dem Vorsitzenden des NSU-Ausschusses, Andreas Edathy. Foto: dpa

    Der Vorgang habe "zu einem schwerwiegenden Ansehensverlust für das Bundesamt für Verfassungsschutz geführt", sagte Fromm am Donnerstag vor dem Bundestags-Untersuchungsausschuss zu der Mordserie. Das Gremium kritisierte die Praxis der Behörde bei der Vernichtung von Akten als willkürlich.

    Die Folgen der Aktenvernichtung für die Funktionsfähigkeit des Amtes seien noch nicht absehbar, sagte Fromm vor dem Ausschuss. Das Handeln des verantwortlichen Beamten könne er nicht nachvollziehen: "Ich habe keine überzeugende Erklärung anzubieten." Fromm räumte zudem erhebliche Versäumnisse bei den Ermittlungen gegen den rechtsextremen "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) ein. "Das ist eine schwere Niederlage für die deutschen Sicherheitsbehörden."

    "Falsche Spuren verfolgt"

    Der Bundesverfassungsschutz habe die rechtsextremistische Motivation bei der Mordserie lange Zeit verkannt und falsche Spuren verfolgt, sagte Fromm. Die Pannen seien eine "schwere Last", von der die Verantwortlichen auch nicht durch personelle Konsequenzen entlastet würden. Wegen der Affäre hatte Fromm zu Beginn der Woche angekündigt, Ende Juli vorzeitig in den Ruhestand zu gehen.

    Nach Angaben Fromms gehörten dem für die Mordserie verantwortlichen NSU keine V-Leute des Verfassungsschutzes an: "Nach allem, was ich weiß, kann ich das ausschließen." Nach Bekanntwerden der Aktenvernichtung hatte es Spekulationen gegeben, in die Taten könnten möglicherweise anders als bislang von den Behörden behauptet doch V-Leute verwickelt gewesen sein. Die Durchsicht der noch existierenden Verfassungsschutz-Unterlagen durch den Ausschuss am Mittwoch erbrachte dafür aber keine Hinweise. Völlig ausgeschlossen seien V-Leute beim NSU trotzdem nicht, sagte die SPD-Abgeordnete Eva Högl.

    Fromm will personellen Neuanfang

    Fromm äußerte sich erstmals öffentlich zu den Gründen seines Rücktritts. "Ich möchte einen personellen Neuanfang", sagte er. Er habe den Eindruck gehabt, dass das Ereignis "eine Reaktion von meiner Seite erfordert". Weitere Gründe für seinen Rückzug gebe es nicht. Es gebe keine weiteren Dinge, die noch kommen könnten.

    Zuvor hatte der Ausschuss den für die Aktenvernichtung zuständigen Referatsleiter vernommen. Anschließend verwies der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) darauf, dass andere Unterlagen des Verfassungsschutzes in einer konzertierten Aktion erst nach einer Frist von 15 Jahren vernichtet worden seien. Die Akten zur "Operation Rennsteig", die für die Aufklärung der Neonazi-Mordserie von Belang sind, seien hingegen nach weniger als zehn Jahren geschreddert worden. Dies bedürfe der weiteren Aufklärung, sagte Edathy.

    Kein seriösen Umgang mit Akten

    Das Neonazi-Trio und seine mutmaßlichen Helfer

    UWE MUNDLOS: Der Professorensohn gilt als intellektueller Kopf der Terrorzelle. Am 4. November tötete sich der 38-Jährige selbst in einem Wohnmobil.

    UWE BÖHNHARDT: Der 34-Jährige soll ein Waffennarr gewesen sein, der schnell und gerne zuschlug. Auch er wurde am 4. November tot in dem ausgebrannten Wohnmobil gefunden, wohl von Mundlos erschossen.

    BEATE ZSCHÄPE: Die 37-Jährige ist als Mittäterin wegen Mordes angeklagt. Sie stammt aus zerrütteten Verhältnissen. Aufgefallen ist die erstmal als 17-Jährige bei mehreren Ladendiebstählen. In einem Jugendclub im Jenaer Plattenbaugebiet Winzerla lernte sie Uwe Mundlos kennen. Mit Uwe Böhnhardt hatte sie später eine Beziehung. Nachdem sie am 4. November 2011 die konspirative Wohnung der Gruppe in die Luft gesprengt hatte, fuhr Zschäpe tagelang mit der Bahn tagelang kreuz und quer durch Deutschland, bevor sie sich der Polizei stellte.

    RALF WOHLLEBEN: Der ehemalige NPD-Funktionär sitzt seit dem 29. November 2011 in Untersuchungshaft. Er soll dem Terrortrio 1998 beim Untertauchen finanziell geholfen, ihnen Geld und auch die spätere Tatwaffe zukommen lassen haben. Der 37-jährige Fachinformatiker ist inzwischen zwar nicht mehr NPD-Mitglied. Dass er noch als NPD-Funktionär die NSU unterstützt hat, gilt aber als wichtiges Argument für ein mögliches neues NPD-Verbotsverfahren.

    HOLGER G.: Der am 14. Mai 1974 in Jena geborene G. war der erste mutmaßliche NSU-Helfer, den die Polizei festnahm. G. soll seit Ende der 90er Jahre Kontakt mit dem aus Thüringen stammenden Trio gehabt haben. Den Dreien soll er seinen Führerschein, eine Krankenversichertenkarte und noch im Jahr 2011 einen Reisepass überlassen haben. So soll er ihnen ermöglicht haben, weiterhin verborgen zu agieren und rechtsextreme Gewalttaten zu verüben.

    CARSTEN S.: Der 32-Jährige soll zusammen mit Ralf Wohlleben die Tatwaffe zu den Morden beschafft haben. Nachdem S. umfassend ausgepackt hatte, ließ ihn die Bundesanwaltschaft im Mai nach viermonatiger Untersuchungshaft wieder frei. S. sagte sich nach Auffassung der Ermittler glaubhaft vom Rechtsextremismus los. Außerdem war er zur Tatzeit erst 19 Jahre alt, ihm könnte nach dem milderen Jugendstrafrecht der Prozess gemacht werden.

    ANDRE E.: Dem aus Sachsen stammenden 33-Jährigen wirft die Bundesanwaltschaft Beihilfe zum Sprengstoffanschlag des NSU in der Kölner Altstadt vor. E. soll eine enge Bindung zu dem Trio unterhalten haben. Im Jahr 2006 gab er Zschäpe als seine Ehefrau aus. Er soll den Wohnort der Drei verschleiert haben und ihnen seit dem Jahr 2009 Bahncards beschafft haben. Diese waren auf ihn und seine Frau ausgestellt, jedoch mit den Fotos von Zschäpe und Uwe Böhnhardt versehen.

    Die Praxis des Verfassungsschutzes erinnere "eher an eine Lotterie" als an einen seriösen Umgang mit Akten, sagte der CDU-Vertreter im Ausschuss, Clemens Binninger. "Diese Aktion Konfetti ist noch mysteriöser, nachdem wir den Zeugen gehört haben", sagte der Grünen-Abgeordnete Wolfgang Wieland.

    Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) stellte derweil einen Beamten für die Untersuchung der Aktenvernichtung ab. Der Unterabteilungsleiter für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Engelke, wurde beauftragt, alle Sachverhalte umfassend aufzuklären, hieß es in einer Erklärung. afp

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden