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Interview: NASA-Wissenschaftler: "Die Erde ist in großer Gefahr – von außen"

Interview

NASA-Wissenschaftler: "Die Erde ist in großer Gefahr – von außen"

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    James Green ist zwar schon 68 Jahre alt, aber an den Ruhestand denkt der weltraumbegeisterte Chefwissenschaftler der Nasa noch lange nicht.
    James Green ist zwar schon 68 Jahre alt, aber an den Ruhestand denkt der weltraumbegeisterte Chefwissenschaftler der Nasa noch lange nicht. Foto: Ulrich Wagner

    James L. Green, 68, arbeitet seit 1979 für die Nasa und leitete mehrere Missionen – unter anderem die Landung des Curiosity Rovers auf dem Mars und die Entsendung mehrerer Raumsonden zum Mond. 2018 wurde er zum Chef-Wissenschaftler der

    Mister Green, Sie gehören in Ihrer Funktion als Chef-Wissenschaftler zur unmittelbaren Führungsriege der US-Raumfahrtbehörde Nasa. Diese plant, eine Raumstation in der Mondumlaufbahn zu errichten, um von dort aus zum Mars zu fliegen. 50 Jahre sind nun vergangen seit der ersten bemannten Landung auf dem Mond. Wann werden wieder Menschen auf dem Mond spazieren gehen?

    James Green: Geplant ist, dass 2024 eine bemannte Landung auf dem Mond stattfinden soll. Diesmal soll aber kein Mann, sondern eine Astronautin zuerst aussteigen – und zwar am dortigen Südpol. Insgesamt wird das Team aus vier oder fünf Astronauten bestehen – zwei oder drei auf dem Mond, einer oder zwei in der Umlaufbahn. Wer genau das sein wird, steht noch nicht fest.

    Warum wollen Sie ausgerechnet am Südpol des Mondes landen?

    Green: Wir wissen heute, dass dort unterirdisch 100 bis 200 Millionen Tonnen Wasser – defensiv geschätzt – lagern. Wasser ist dreifach für uns von Bedeutung. Erstens als Trinkwasser. Zudem kann man es in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff trennen und daraus Atemluft und Treibstoff erzeugen. Das ist ideal, wenn man weiter zum Mars fliegen will. Darum wollen wir den Südpol untersuchen. Auf dem Mars wiederum gibt es unterirdische Gletscher, die aus Milliarden Tonnen Wasser bestehen.

    Raumfahrt ist sehr aufwendig und verschlingt irrsinnige Kosten. Wozu soll das Ganze gut sein? Wir haben doch genügend Probleme hier unten auf der Erde ...

    Green: Es gibt zahlreiche Gründe, warum wir uns mit Raumfahrt beschäftigen müssen. Die Erde ist nämlich in großer Gefahr, die von außen kommt.

    Wie soll man das verstehen?

    Green: Es existieren im Sonnensystem zahlreiche Objekte wie etwa die Asteroiden, die immer wieder der Erde sehr nahe kommen. Der Einschlag eines solchen Himmelskörpers vor über 60 Millionen Jahren löschte 85 Prozent aller Lebewesen – unter anderem die Dinosaurier – aus. Diese hatten leider kein effektives Raumfahrtprogramm, um das zu verhindern. Wir haben 900 Objekte im

    Und wie sehen die aus?

    Green: 2021 wird unsere Mission „Dart“ – Double Asteroid Redirection Test – starten. Dabei geht es darum, dass eine unbemannte Sonde zum 800 Meter durchmessenden Asteroiden Didymos fliegt, der wiederum von einem kleinen Mond umkreist wird, der 150 Meter Durchmesser hat. Didymos ist weit weg und kreuzt auch nicht die Bahn der Erde, so dass Auswirkungen auf uns unwahrscheinlich sind. Die Sonde wird dann gegen diesen Mond von Didymos rasen und dort einschlagen. Dann messen wir, wie sich seine Flugbahn verändert. Ziel ist es, einen auf die Erde zurasenden Asteroiden schon in großer Entfernung zur Erde zu rammen, so dass seine Flugbahn derart manipuliert wird, dass er nicht mehr auf der Erde einschlägt. Das klingt nach dem Stoff von Science-Fiction-Filmen – ist aber inzwischen reale Planung.

    Welche weiteren Gründe gibt es dafür, Raumfahrt zu betreiben?

    Green: Jeder weiß, dass die Bevölkerung der Erde stetig wächst. Da ist es nötig, Ausweichorte zu finden. Das könnten der Mond oder der Mars sein. Aber natürlich kann nicht die ganze Menschheit umgesiedelt werden. Zugleich wird die Erde aber durch den Treibhauseffekt der Venus immer ähnlicher. Dieser Effekt entsteht durch Kohlendioxid, das wir freisetzen. Wir wissen heute, dass der Treibhauseffekt auf der Venus erst vor circa 800 Millionen Jahren begonnen hat. Wie er ausgelöst wurde, ist noch nicht geklärt. Jedenfalls herrschen dort Temperaturen von etwa 450 Grad. Ein ähnlicher Prozess droht auch der Erde. Das würde die Menschheit auslöschen.

    Wie soll das verhindert werden? Welchen Beitrag sollte die Raumfahrt dazu liefern?

    Green: Zum einen: Alle Leute reden darüber, weniger Kohlendioxid in die Atmosphäre zu blasen. Künftig werden wir uns damit beschäftigen müssen, es aus der Atmosphäre heraus zu fíltern. Nun der Beitrag der Raumfahrt: Wir müssen zum Mars, um dort zu testen, wie wir eine Atmosphäre verändern können.

    Klingt schon wieder nach Science-Fiction ...

    Green: Das Ganze heißt Terraforming, also den Mars erdähnlicher zu machen. Wie geht das nun? Auf dem Mars herrscht mit sechs Millibar ein viel zu niedriger Luftdruck – das ist nur ein Bruchteil des Luftdrucks, der auf der Erde herrscht. Wenn wir dort ohne Druckanzug herumlaufen würden, würde unser Blut wegen des niedrigen Drucks zu kochen beginnen und wir würden sterben. Die dünne Atmosphäre rührt daher, dass der Mars durch den sogenannten Sonnenwind – das sind geladene Teilchen, die ständig von der Sonne in alle Richtungen strömen – Atmosphäre verliert. Die Erde ist durch ihr Magnetfeld vor dem Sonnenwind geschützt. Der Mars hat aber kein entsprechendes Magnetfeld. Man muss also sozusagen vor dem Mars eine große magnetische Struktur schaffen, um ihn vor dem Sonnenwind zu schützen. Wir nehmen heute an, dass der Luftdruck dann schnell um mindestens das Zehnfache steigen wird.

    Was passiert dann?

    Green: In der Folge gelangt unter anderem immer mehr Kohlendioxid etwa aus den Polkappen – die bestehen aus gefrorenem Kohlendioxid – in die Atmosphäre, die auch jetzt schon aus viel Kohlendioxid besteht, aber eben zu dünn ist. Ist dieser Prozess angestoßen, könnte ein Treibhauseffekt auf dem Mars entstehen und ihn erwärmen. Zur Zeit ist er ziemlich frostig: Die Temperaturen erreichen zwar in Äquatornähe etwa plus 20 Grad Celsius am Tag, sie sinken aber nachts auf minus 85 Grad. Die mittlere Temperatur des Planeten liegt bei etwa minus 55 Grad. Am Ende dieses Terraforming-Prozesses könnte der Mars eine zweite Erde sein.

    Wie lange soll dieser Prozess dauern?

    Green: Ich habe mich eingehend mit diesem Thema befasst und darüber geschrieben. Ich gehe von mehreren Jahrzehnten bis Jahrhunderten aus. Also in Relation zur Geschichte der Menschheit eine kurze Zeitdauer.

    Bevor Sie Terraforming betreiben, müssen Sie erst einmal zum Mars hinfliegen. Wann werden Menschen auf dem Mars landen? Es gibt auch viele andere Nationen, die Raumfahrt betreiben: Russland, Europa, Israel, Indien, Japan, nicht zuletzt China und noch einige mehr. Haben Sie Angst, dass etwa die Russen die USA überholen könnten auf dem Weg zum Mars?

    Green: Nein, davor habe ich keine Angst. Ich gehe ohnehin davon aus, dass die Marsmission eine internationale Mission der Menschheit wird. Schon jetzt spielen politische Gräben, die es hier auf der Erde gibt, etwa auf der Raumstation ISS keine oder kaum eine Rolle. Ich denke, dass Ende der 30er oder Anfang der 40er Jahre erstmals Menschen auf dem Mars landen werden. Vorher müssen wir viele Dinge, die die Astronauten auf der Marsoberfläche brauchen werden, erst einmal mit unbemannten Missionen dorthin bringen.

    Gibt es Leben auf dem Mars?

    Green: Wir haben bislang keinen Hinweis auf Leben dort. Wir konzentrieren uns in den nächsten Jahren auf dieses Thema. Von 4700 in Frage kommenden Mineralien gibt es 300, die ohne den Einfluss von Mikroben nicht entstehen könnten. Also schauen wir darauf. Ich persönlich glaube, dass es – letztlich einfaches – Leben auf dem Mars gibt, aber unterirdisch. Eine Analogie: Auch auf der Erde gibt es unterirdisch mehr Leben als auf der Oberfläche. Und: Da, wo Wasser ist, gibt es Leben. Davon bin ich überzeugt.

    Glauben Sie an intelligentes Leben in der Milchstraße?

    Green: Noch vor 50 Jahren wusste man nicht, ob es überhaupt Planeten in anderen Sonnensystemen gibt. Heute kennt man Tausende von sogenannten Exoplaneten außerhalb des Sonnensystems. Die meisten davon sind keine Gasriesen wie Jupiter, sondern „Supererden“, also Planeten mit fester Oberfläche, die aber bis zu zehnmal so groß sind wie die Erde. Dort wäre Leben denkbar. In der Milchstraße gibt bis zu 300 Milliarden Sternensysteme. Angesichts dieser unfassbar großen Zahl sage ich: Es gibt auf jeden Fall intelligentes Leben in unserer Galaxis.

    Wie wollen Sie das feststellen?

    Green: Wir werden technisch in zehn bis 20 Jahren in der Lage sein, Atmosphären der Exoplaneten von hier aus zu analysieren. Weist eine Atmosphäre Fluorchlorkohlenwasserstoffe auf, muss es dort intelligentes Leben geben. Denn diese Stoffe können nur künstlich entstehen – durch jemanden, der technisch relativ weit entwickelt ist.

    Sie waren gerade zu Gast an der Universität Augsburg. Warum?

    Green: Weil dessen Institut für Mathematik unter anderem im Bereich bestimmter Berechnungen optimaler Flugbahnen von Raumfahrzeugen weltspitze ist. Dieses Wissen nutzen wir. Zudem arbeitet ein Ex-Kollege der Nasa derzeit dort.

    Fühlen Sie sich in Deutschland wie auf einem anderen Planeten?

    Green: Keineswegs: Ich bin seit 1984 immer wieder hier, meist in Darmstadt, wo sich das europäische Raumflugkontrollzentrum der Esa befindet. Außerdem kommen viele meiner Vorfahren aus Deutschland.

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