Es geht hier um weit mehr als bloß um eine Rockband. Es geht um den Umgang mit Heimat und Geschichte, um Wertefragen und ideologische Kämpfe. Um: Was muss man noch sagen dürfen? Und was soll man eben nicht mehr sagen dürfen? Es geht um Deutschland.
Und doch gibt es zwei ganz einfache Versionen dieser Geschichte. Die erste besagt, dass die Südtiroler Band „Frei.Wild“ völkisches, nationalistisches Gedankengut befördert und in ihren Songs auch Gewalt verherrlicht. Sie bewegt sich damit mindestens in der Grauzone zu dem, was Rechtsrock heißt. Diese Sicht hat dazu geführt, dass die Band heftig angegriffen und 2013 nach Protesten anderer Musiker von der Echo-Verleihung ausgeladen wurde, zu der sie sich aufgrund ihrer Verkaufserfolge qualifiziert hatte.
Rechts oder nicht? Deutschrocker "Frei.Wild" lösen Kontroverse aus
Die andere Version besagt: Das alles ist eine Hetzkampagne, ideologisch geifernd, realitätsblind. „Frei.Wild“ machen druckvollen Deutschrock. Sie sind nicht rechts, sondern betont gegen Nazis und Faschisten. Und dass sie zu ihrer Heimatliebe stehen, zeigt, dass sie an ihrer Wahrheit festhalten. In dieser Sicht vereinen sich immer mehr Menschen als Fans, als „Frei.Wild-Familie“. Dank ihr ist das neue Album sofort wieder auf Platz eins der deutschen Hitparaden eingestiegen, dank ihr war auch die Kemptener BigBox zum Abschluss einer gefeierten Deutschland-Tournee am Samstagabend mit über 6200 Zuschauern seit Monaten ausverkauft.
Was stimmt also? Rockstars von Rechts oder verleumdete Deutschrock-Helden? Klaus Farin hat eine Antwort darauf gefunden. Er hat das Archiv der Jugendkulturen in Berlin aufgebaut, ist einer der profiliertesten Kenner der extremeren deutschen Szenen. Und er hat sich über zwei Jahre hinweg mit „Frei.Wild“ beschäftigt, die Band begleitet, mit Kritikern gesprochen, hat andere Musiker befragt und in Zusammenarbeit mit einer Universität auch über 4000 Fans. Eben weil dieses Phänomen so viel über die deutsche Gesellschaft erzählt. Farins Credo: „Wen nach Eindeutigkeit verlangt, der darf nicht auf die Wirklichkeit schauen.“ Seine Antwort also ist keine der einfachen Versionen, ist differenziert und umfassend, ein 400 Seiten starkes Buch. Es heißt „Frei.Wild – Südtirols konservative Antifaschisten“. Übrigens: Klaus Farin ist bekennend links.
"Frei.Wild": Südtirols konservative Antifaschisten?
Nun aber Auftritt Philipp Burger. Er ist Sänger der Band und Texter, ihr Motor. Bald zwei Stunden hat er in Kempten bereits ins Publikum gegrölt, die Fans angeheizt zu immer noch mehr Hingabe. Dabei ist hier eine ohnehin eingeschworene Gemeinschaft am Feiern. Auf dem Fanbus steht „Eine Freundschaft. Eine Liebe. Eine Familie“, und auf den Fan-Shirts beim Konzert in extremer Dichte ein Glaubensbekenntnis ums andere: „Frei.Wild – Feinde Deiner Feinde“, „Wir sind die Deutschrock-Armee“ und schlicht „Ihr könnt uns am Arsch lecken“. Auch, sich Slogans der Band tätowieren zu lassen, ist unter Anhängern beliebt, etwa den Songtitel „Sieger stehen da auf, wo Verlierer liegenbleiben“. Philipp Burger weiß sich also unter Freunden – und geschützt vor prekären Situationen. Denn die Sicherheitskräfte am Einlass haben strenge Anweisungen, keinen in die Halle zu lassen, der nach Neonazi aussieht.
So schaut Burger nun, nach fast zwei Stunden Konzert und damit zum Abschluss vor den Zugaben, siegesgewiss in die schwitzende Menge und ruft: „Ihr wisst, was jetzt kommt.“ Es ist das Lieblingslied der meisten Fans, das im Kern eine Botschaft trägt: „Das ist das Land der Vollidioten / Die denken, Heimatliebe ist gleich Staatsverrat / Wir sind keine Neonazis und keine Anarchisten / Wir sind einfach gleich wie ihr, von hier“. Später heißt es: „Wir tanzen keinen Adolf Hitler / tanzen keinen Mussolini“ und: „Kreuze werden aus Schulen entfernt, aus Respekt / Vor den andersgläubigen Kindern“. Das Fanvolk rastet aus.
Weite Teile der Songs, die diesen Abend ausmachen, sind Bekenntnislyrik – auch in Sachen Freundschaft und Liebe, vor allem aber immer wieder zur Haltung von „Frei.Wild“. Zum Beispiel: „Wir sind und bleiben für immer / Das was wir wirklich sind / Männer, die zu ihrem Wort stehen / Eine Band, die Wahrheit bringt.“ Und natürlich in „Südtirol“, Klassiker ihrer Heimatlieder: „Kurz gesagt, ich dulde keine Kritik / An diesem heiligen Land, das unsre Heimat ist / Darum holt tief Luft und schreit es hinaus / Heimatland wir geben dich niemals auf“.
Viel Kritik an der Band "Frei.Wild"
Dazu gibt’s auf dem aktuellen Album „Opposition“ heftige Kritikerkritik, etwa in „Akzeptierter Faschist“: „Jedes Mal die gleiche Frage / Jedes Mal der gleiche Scheiß / Seid ihr nicht die, die, die? / Komm, lass stecken, ich weiß / Wir fragen uns: Bist du nur bescheuert / Oder auch taub und blind? / Arme Sau, siehst du nicht / Dass hier nur Deutschrock-Fans sind?“ So ist die einfache Version der Geschichte zugleich hauptsächliches Band-Programm. Dass die Übertragung funktioniert, beweist auch Klaus Farins Fan-Studie, in der sehr häufig davon die Rede ist, dass die Band für „die Wahrheit“ einstehe.
Zur Wirklichkeit gehört aber auch die Vergangenheit. Die zeigt Burger vor 15 Jahren als Frontmann der Band „Kaiserjäger“, mit kahl geschorenem Schädel, als Rudelführer rechter Skinheads. Sie zeigt den Song „Rache muss sein“ auf dem „Frei.Wild“-Debütalbum, gegen das wegen Gewaltverherrlichung ein Verbot beantragt wurde; zeigt Bilder von Burgers Ex-Kameraden bei einem frühen Konzert mit Hitlergruß. Zeigt ihn 2008 als Kandidat der rechtsgerichteten Partei „Die Freiheitlichen“. Zeigt eine Textstelle, in der die Band die herrschende „Political Correctness“ mit der Judenverfolgung vergleicht: „Heut gibt es den Stempel, keinen Stern mehr“. Und manche meinen, im Geweih des Band-Logos das Symbol einer SS-Truppe in Südtirol zu erkennen…
Philipp Burger und "Frei.Wild" distanzieren sich vom rechten Milieu
Wer darüber mit Philipp Burger spricht, bekommt seine dröhnende Stimme in durchaus nachdenklichen Tönen zu hören. Von seinen Anfängen habe er sich öffentlich distanziert, die Band sei erst entstanden, als die drei anderen ihm diese Distanzierung geglaubt hätten. Darum sei sie auch an seiner Aktion mit den „Freiheitlichen“ fast wieder zerbrochen. Und auch vom Song „Rache muss sein“ hätten sie sich längst gemeinsam distanziert. „Aber was da sonst noch alles so an Vorwürfen herumgeistert, das ist doch Wahnsinn.“
Um nicht in Verdachtsfallen zu tappen, ohne es zu merken, lade sich die Band inzwischen Kritiker zum Vorabhören neuer Songs ein. Er gehe aus der wechselhaften Geschichte seines Zuhauses eben positiv und selbstbewusst mit dem Wort Heimat um – wie die befreundeten Musiker der Kastelruther Spatzen. Aber wegen der deutschen Empfindlichkeit davon abzurücken, „wäre ja auch krank“, sagt Burger. Und: „Wer Rock’n’Roll macht und nicht anecken will, sollte sich was anderes suchen. Früher waren es vielleicht die langen Haare oder Piercings – jetzt ist es halt ein Thema wie Heimat, das provoziert.“
Burger sieht sich damit nur insofern auf einem rechten Kurs, „weil in demokratischen Parlamenten die Konservativen nun mal rechts sitzen. Weil wertekonservativ, das sind wir natürlich schon.“ Dazu gehöre auch „Bodenständigkeit“. Alle vier Bandmitglieder sind gelernte Handwerker, Burger ist Zimmermann. Der 34-Jährige hat außerdem eine Ausbildung zum Landwirt abgeschlossen, hat Hühner, Gänse, will auch noch Schottische Hochlandrinder: „Damit meine zwei Kinder sehen, woher das Fleisch kommt. Dieses konservative Bewusstsein ist doch zum Glück eines, das immer weiter um sich greift …“
Klaus Farin beschäftigt sich in einer Studie mit der Band "Frei.Wild"
Konservativ und rechts, Südtiroler Geschichte und deutscher Heimatbegriff, Deutsch- und Rechtsrock – all das arbeitet Klaus Farin in seiner Studie auf. Er hält die Band tatsächlich für „nicht ausgrenzend, nicht rechtsextrem, nicht nationalistisch, das vor allem nicht“. Es gehe hier ja um gar keine Nation, sondern um eine Region, die historisch zudem im Kampf um die Autonomie von Italien eine ganz eigene Situation zu meistern gehabt habe. Es gehe also um „Regionalpatriotismus“, sagt der Berliner, „etwas, das dem Gefühl in Bayern gar nicht unähnlich ist“. Ansonsten beschäftige sich die Band mit so vielerlei, das für die wirklich rechte Szene überhaupt nicht anschlussfähig sei. Sie tauge gar nicht für Helden einer Gegengesellschaft, weil sie mindestens für den Mittelstand stünde. Burgers Eltern etwa sind Lehrer, zwei andere Bandmitglieder hätten sogar einen Bischof in der Familie.
Ein Freispruch ist Farins Buch dennoch nicht. Es kommen auch Kritiker zu Wort, die „Frei.Wild“ zumindest eine Offenheit hin zum Rechtspopulismus bescheinigen und einen nicht besonders durchdachten Umgang mit Worten und Öffentlichkeit. Für einen Skandal aber taugt das nicht – außer die Gesellschaft wird damit an einem wunden Punkt berührt. Hier: das Verhältnis zu Rechts und zur Heimat.
Philipp Burger von "Frei.Wild": Fans fordern klares Bekenntnis gegen Rechts
Farin sagt: „Da bietet der Fall Frei-Wild sogar eine Riesenchance. Selten lässt sich mit Jugendlichen zu einem schwierigen Thema so einfach an etwas anknüpfen wie hier.“ Man müsse nur selbst die Komplexität der Wirklichkeit zulassen können, in der es eben auch konservativen Anti-Faschismus gebe, und nicht mit Reflexen abtun. Solcherlei nennt Farin „Idiotismen der vermeintlich Kritischen“. Die führten auch dazu, dass „Frei.Wild“-Fans oft ausgegrenzt und mitunter verprügelt würden. Für Philipp Burger ist das ein Auftrag. Er sagt: „Unsere Fans fordern von uns geradezu ein klares Bekenntnis gegen Rechts – weil wir ihnen damit bei diesen Auseinandersetzungen helfen.“