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Musik: Andreas Bouranis Traum

Musik

Andreas Bouranis Traum

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    Der gebürtige Augsburger Andreas Bourani wollte immer Popmusik machen und davon leben.
    Der gebürtige Augsburger Andreas Bourani wollte immer Popmusik machen und davon leben. Foto: Jens Kalaene dpa

    Es war der 15. Juli 2014: der Tag des Unfassbaren. Bis zu 400.000 Menschen waren zur Rückkehr der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, die in Brasilien gerade Weltmeister geworden war, am Brandenburger Tor in Berlin versammelt. Eine unüberblickbare Menge an glücklichen Gesichtern, klatschenden Händen, schwingenden Fahnen. Und unmittelbar, bevor die Helden samt Pokal ausgiebig gefeiert wurden, als letzter Stimmungsbringer, sang ein junger Mann auf der Bühne ein Lied, das er sich ein Jahr zuvor im Stillen ausgedacht hatte. Eine Hymne auf die Freundschaft, für sein zweites Album, mit dem er den Erfolg seines späten und hart erkämpften Debüts irgendwie fortzusetzen hoffte. Nun, vor dieser Bühne, stimmten Hundertausende sofort mit ein: „Ein Hoch auf uns!“ Und dann sollte er auch noch erklären, wie sich das angefühlt hat, als das Lied unmittelbar nach dem Finalsieg im so riesigen wie legendären Stadion Maracanã in Rio gespielt worden war, in alle Welt übertragen. Als gäbe es dafür Worte…

    Jetzt sitzt dieser junge Mann in einem Innenhof von Kloster Wiblingen bei Ulm – und er sieht sehr müde aus. In einer Stunde wird er nebenan auf der Bühne stehen und vor gut 4000 Zuschauern das wohl 75. Konzert in diesem Jahr spielen. Gerade ist er zurück von vier Tagen im Fernsehstudio, wo die ersten Folgen von „The Voice of Germany“ aufgezeichnet worden sind. Der Talentshow, bei der er nun als Juror agiert, nachdem er zuvor bereits bei der Starshow „Sing meinen Song“ dabei war. Die Müdigkeit des Andreas Bourani hat also den für seine Karriere bestmöglichen Grund.

    Andreas Bourani und dieser eine Song

    Aber bei der Erinnerung an das, was da vor einem Jahr während der WM und dann auf der Fanmeile passiert ist, werden seine so dunklen wie dunkel umrandeten Augen sofort lebhafter. „So was“, sagt der 31-Jährige, „erlebt ein Musiker nur ein einziges Mal im Leben – mit sehr viel Glück.“ Und doch ist es mehr als Zufall. Denn diesen Ausnahmemoment, geboren aus der Gunst gleich mehrerer Unwahrscheinlichkeiten – der richtige Song zur richtigen Zeit, dessen Auswahl durch die ARD zum offiziellen WM-Song und dann der Triumph der Fußballer – hätte es nie gegeben, hätte dieser junge Mann sich nicht so Hals über Kopf einem Traum verschrieben.

    Nichts als diese eine Vision von seinem Leben hatte ihn damals aus seinem Zuhause im beschaulichen Augsburger Stadtteil Bergheim, aus dem musischen Gymnasium St. Stephan hinausgetrieben: „Ich wollte immer Popmusik machen und davon leben.“ Dass er es nun tatsächlich kann, darum aber hat Bourani kämpfen müssen. Sieben Jahre lagen zwischen einem ersten Auftritt noch als Andreas Stiegelmair bei der ZDF-Castingshow „Die Deutsche Stimme“ und seinem Plattenvertrag. Jahre, in denen er zuerst nach München und dann nach Berlin umzog und ein Album fertigstellte, das aber keiner veröffentlichen wollte.

    Jahre, in denen er auch persönliche Krisen überwinden und über kleine Auftritte um Aufmerksamkeit buhlen musste, um den Glauben an seinen Traum rang. Jetzt, wo er mit Goldenen Schallplatten ausgezeichnet und Echo-prämiert ist, wo er in Shows in einer Reihe mit deutschen Popstars wie Xavier Naidoo und Yvonne Catterfeld steht, traut er sich, diesen Traum auch laut zu Ende zu denken: „Meine Vorbilder sind Herbert Grönemeyer und Udo Lindenberg – und wie die dann auch mal die großen Stadien zu füllen, das wäre natürlich Wahnsinn!“ Ist es noch nötig zu erwähnen, dass Bourani nun längst nicht mehr müde wirkt, als er das sagt?

    Zur Erkenntnis, dass zwischen Traum und Verwirklichung viel Schweiß steht, dazu verhelfen ihm auch die Szene-Götter: „Beim Dreh jetzt waren die Fantastischen Vier dabei. Und die sagen, dass es gar nicht so schwierig ist, Erfolg zu haben, gemessen daran, wie schwierig es ist, erfolgreich zu bleiben.“ Ist ein Konzert wie das in Kloster Wiblingen also Arbeit? „Natürlich. Aber was für eine! Wenn mir eine Frau auf Facebook schreibt, wie sehr ihr mein Song ‚Wieder am Leben‘ in Zeiten schwerer Krankheit geholfen hat und ich dann denke, dass diese Frau vielleicht heute zum ersten Mal bei einem Konzert von mir ist… Menschen so zu berühren, das ist doch etwas ganz Besonderes.“

    Tatsächlich wird er den Song nach dem Intro gleich als ersten des gut eineinhalbstündigen Programms singen. Und tatsächlich haben ja viele von Bouranis Liedern diesen sehr konkreten Lebensbezug. Meist ermutigend, manchmal melancholisch, vor allem aber live mit einer Stimme vorgetragen, die die Wirkung von Platte deutlich übertrifft. So braucht er sich sein „Auf uns“ gar nicht als Höhepunkt aufzusparen, sondern setzt selbstbewusst mit den neuen Liedern „Auf anderen Wegen“ und „Ultraleicht“ sowie den alten „Eisberg“ und „Wunder“ Akzente, die die Breite seines Vermögens anzeigen. Allesamt Eigenkompositionen, denn zum Traum Bouranis gehört nicht allein der Erfolg, sondern wesentlich eben auch dieses persönliche Berühren.

    Wie aber mitten aus der Umtriebigkeit noch die Muße dafür finden? Er sagt: „Das war vielleicht das Wichtigste, was ich in den vergangenen Jahren gelernt habe – zu timen, wann für was Zeit ist.“ Und fürs Schreiben neuer Songs soll dann ab April 2016 wieder Ruhe einkehren. Bis dahin sind noch viele weitere Konzerte geplant – und als Fernsehstar muss der Sänger ja noch eine weitere Rolle bedienen. Er ist inzwischen Promi, von dem auch die Boulevard-Medien gerne berichten, wenn er, wie kürzlich in einem Interview, sagt, er halte die Ehe für ein nicht mehr zeitgemäßes Modell.

    Bourani will sein Privatleben privat halten

    In dieser Rolle aber fühlt sich Bourani noch am unwohlsten. Sein Privatleben will er jedenfalls nicht öffentlich machen. Dass er in Augsburg als adoptiertes Kind einer Pflegefamilie aufgewachsen ist, hat er nur verbreitet, weil sich die Fragen aufgrund seines Aussehens eben aufgedrängt hätten. Und die Rückkehr zu seinem Geburtsnamen Bourani will er auch nicht als Rückwendung auf seine Herkunft verstanden wissen. Viel lieber spricht er da schon über Hilfsprojekte, für die er sich engagiert: „Weil es doch unser Anliegen sein muss, dass möglichst alle in so großartigen Bedingungen leben können wie wir hier.“ So ist auch zu verstehen, dass er sich an dem sonst gerne herablassend gemeinten Begriff des Gutmenschen orientieren will. Über die vermeintliche Sinnlosigkeit von Idealismus und Träumen muss man ihm jedenfalls nichts erzählen. Und so wiederum ist es auch zu verstehen, dass dieser Andreas Bourani nach dem Erlebnis auf der Fanmeile vor allem einmal noch fassungslos war. Als die NPD nämlich seinen WM-Hit für Werbezwecke verwendete, ungefragt freilich. Dafür aber hat er dann schnell Worte gefunden – und vor Gericht auch recht bekommen.

    So wird er weiterkämpfen: inmitten der aktuellen Hochphase deutschsprachiger Musik gegen reichlich Konkurrenz; inmitten eines immer schwierigeren Musikmarktes gegen ein Überangebot an anderen Konzerten; zwischen ausufernder Schlagerseligkeit und effektheischenden Standardproduktionen aus dem Computer für seine deutsche Popmusik. Für die Fortsetzung seines Traums.

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