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Kommentar: Müssen auch in Deutschland Statuen abgerissen werden? Das sollten sie nicht.

Kommentar

Müssen auch in Deutschland Statuen abgerissen werden? Das sollten sie nicht.

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    In Minnesota haben Demostranten die Statue von Christopher Columbus von ihrem Sockel geworfen.
    In Minnesota haben Demostranten die Statue von Christopher Columbus von ihrem Sockel geworfen. Foto: Leila Navidi, dpa

    Wenn selbst Christoph Columbus und Winston Churchill nicht mehr unantastbar sind, wird spürbar, dass Dinge ins Rutschen geraten. Der Entdecker der Neuen Welt und der unbeugsame Kämpfer gegen Nazi-Deutschland nichts als schlimme Rassisten, die nicht mehr öffentlich geehrt werden sollten? Deren Statuen weg müssen? Die Frage spaltet Briten und Amerikaner.

    Die Ausläufer des Bildersturms erreichen auch Deutschland. Wegen der Nazi-Barbarei und des Völkermords an den Juden ist der Umgang mit der eigenen Geschichte hierzulande ein besonders sensibles Thema. Im Schatten des Gedenkens an die Gräuel des Nationalsozialismus haben sich andere Abscheulichkeiten verborgen, die jetzt ausgeleuchtet werden. Dazu zählt zum Beispiel die brutale Kolonialpolitik des Deutschen Reiches in den Jahrzehnten vor dem 1. Weltkrieg.

    Auch Otto von Bismarck ist kritisch zu sehen - er war Geburtshelfer des deutschen Kolonialreichs

    Demonstranten versenken im Hafen von Bristol bei einem Protest gegen Rassismus und Polizeigewalt die Statue von Edward Colston. Colston war ein Kaufmann und Sklavenhändler im 17. Jahrhundert.
    Demonstranten versenken im Hafen von Bristol bei einem Protest gegen Rassismus und Polizeigewalt die Statue von Edward Colston. Colston war ein Kaufmann und Sklavenhändler im 17. Jahrhundert. Foto: Ben Birchall, dpa

    Wieso gibt es, fragen nun Aktivisten, in so vielen deutschen Städten Standbilder, Plätze und Straßen, die Otto von Bismarck zeigen oder nach ihm benannt sind. Bismarck war der Stifter der Einheit Deutschlands, so lernen es die Kinder in der Schule. Anfangs war der Fürst hartnäckiger Gegner eines deutschen Kolonialreiches, später sein Geburtshelfer. Er sorgte auch dafür, dass der belgische König den Kongo zu seiner Privatkolonie machen konnte und dort Millionen Afrikaner umkamen.

    Und was ist eigentlich mit den ungezählten Straßen und Plätzen, die die Namen der Antisemiten Richard Wagner, Karl Marx und Martin Luther tragen? Warum werden sie mit Büsten und Statuen geehrt? Müssen nicht auch sie dem kritischen Blick auf die eigene Geschichte weichen? 

    Die Antworten auf diese Fragen haben das Potenzial  für eine hitzige Auseinandersetzung. Ohne Zweifel haben diese Männer auf ihrem Gebiet Außergewöhnliches geleistet, haben mit ihrem Geist das Fundament dafür gelegt, dass die Geschichte einen anderen Verlauf genommen hat. Bei Luther und Marx sogar die Geschichte der Menschheit. Um die Helden der eigenen Nation zu bewerten, sollten ihre Verdienste und Verfehlungen, ihr Gutes und ihr Schlechtes auf die Waage gelegt werden. Abzuziehen sind Entwicklungen nach ihrem Tode, die sie persönlich nicht mehr beeinflussen konnten.

    Standbilder können ins Museum gebracht werden - statt im Fluss versenkt zu werden

    Luther, Marx und Wagner waren üble Judenfeinde und auch charakterlich Unholde. Sie stehen in der lagen Tradition des Antisemitismus, der in Europa bis in das Mittelalter reicht. Konnten sie ahnen, dass die Nazis die europäischen Juden ausrotten wollten? Nein, das konnten sie nicht. Marx konnte nicht wissen, dass er das theoretische Fundament für kommunistische Diktaturen legen sollte, wo ebenfalls Millionen im Namen der Gerechtigkeit umgebracht wurden. Hat dieser Marx dennoch viel für die Befreiung der Ausgebeuteten geleistet? Ja, das hat er. Hat Richard Wagner eine magische Musik geschrieben. Ja, das hat er. Hat Martin Luther den Menschen geistige Freiheit gegeben? Ja, das hat er. Hat Bismarck Deutschland nach Jahrhunderten der Zersplitterung geeint? Ja, das hat er. Wusste der große Staatsmann, dass die Ausbeutung und Unterwerfung Afrikas ein Unrecht war? Ja, das wusste er.

    Wer auf Straßen und Plätzen geehrt wird, ist seit Jahrtausenden ein Politikum. Schon im alten Ägypten versuchten die Nachfolger des Pharaos Echnaton sein Andenken auszuradieren, weil der den Götterhimmel durcheinander gebracht hatte. Die demokratische Gesellschaft braucht keinen Bildersturm, außer sie hat gerade eine Diktatur überwunden. Erklärtafeln an Statuen oder Straßenschildern können die Schwächen der übermenschlichen Helden beschreiben. Statt sie in den Fluss zu werfen, können Standbilder in Museen gebracht werden. Jede Epoche macht sich selbst ihr Bild und legt ihre eigenen Maßstäbe an.

    Weltweit gehen Menschen im Protest gegen Rassismus auf die Straße. Die aktuellen Entwicklungen können Sie hier verfolgen.

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