Nach dem Großbrand im Flüchtlingslager Moria bleibt die Lage auch nach Öffnung erster Ersatz-Unterkünfte für Flüchtlinge angespannt. Gerade sind auf der griechischen Insel Lesbos mehr als 300 Migranten in ein neues Zeltlager eingezogen. Bei den meisten handelt es sich um Familien, wie der staatliche griechische Rundfunk ERT am Sonntag berichtete.
Viele wehren sich verzweifelt dagegen, erneut in ein Lager zu kommen
Vor ihrer Aufnahme ins neue Lager mussten alle einen Coronavirus-Schnelltest machen. Dabei sei bei sieben Migranten das Virus entdeckt worden, berichtete der Sender unter Berufung auf das Gesundheitsministerium.
Alle sieben seien zur Isolation in einen abgelegenen Teil des Zeltlagers von Kara Tepe gebracht worden. Viele wehren sich verzweifelt dagegen, erneut in ein Lager gebracht zu werden. Die griechische Regierung schickte am Sonntag weitere Polizeieinheiten sowie gepanzerte Geländefahrzeuge auf die Insel. Die Lage auf der Insel ist weiterhin angespannt. Mehrere Tausende Migranten harren auf den Straßen aus. Es könnte Wochen dauern, bis nach dem Brand am vergangenen Mittwoch alle Menschen wieder ein Dach über dem Kopf bekommen.
Die Behörden suchen nach weiteren Orten, wo Zeltlager eingerichtet werden können. Die meisten Migranten wollen allerdings nicht in ein neues Lager gebracht werden, sondern weg von der Insel. Auch die Anwohner wehren sich gegen die Errichtung einer neuen Unterkunft.
Lesbos kommt nicht zur Ruhe: Flüchtlinge protestieren, Polizei reagiert mit Tränengas
Im Laufe des Samstags war es immer wieder zu spontanen Demonstrationen und in der Folge auch zu Zusammenstößen zwischen Flüchtlingen und Polizei gekommen. Migranten warfen mit Steinen. Die Polizei setzte Tränengas ein. Das Flüchtlingslager Moria war nach Unruhen und Brandstiftungen fast völlig abgebrannt. Über Nacht wurden dadurch etwa 12.000 Menschen obdachlos.
Am Sonntag berichteten griechische Medien, dass einige Migranten andere daran hinderten, das frisch errichtete Zeltlager zu beziehen. Das bestätigte auch ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation der Deutschen Presse-Agentur. Griechenlands Bürgerschutzminister Michalis Chrysohoidis wandte sich mit einer Warnung an die militanten Migranten: Griechenland sei ein Rechtsstaat, man werde auch nicht die kleinste illegale Aktion akzeptieren. Wer andere daran hindere, das Lager zu beziehen, müssen mit Konsequenzen rechnen.
Griechenland bleibt weiterhin hart bei der Strategie, über die bereits aus Moria ausgeflogenen unbegleiteten Minderjährigen hinaus keine Flüchtlinge aufs Festland zu lassen. Das sieht zum einen der Flüchtlingspakt zwischen EU und Türkei nicht vor; außerdem fürchtet Athen, dass es auch in anderen Lagern Unruhen und Brandstiftungen gibt, wenn die Migranten auf Lesbos mit ihrer Gegenwehr Erfolg haben. Die große Mehrheit will aufs Festland und dann weiter nach Mittel- und Nordeuropa.
Laut Medienberichten sorgen vor allem afghanische Flüchtlinge für Unruhen auf Lesbos
Unter den mehr als 12.000 Menschen, die seit dem Großbrand am Mittwoch im Flüchtlingslager Moria obdachlos sind, finden sich zahlreiche Familien mit Tausenden Minderjährige. Viele von ihnen sind auf den Schutz des Lagers angewiesen, weil sie kein Dach mehr über dem Kopf haben und auch keinen Zugang zu sanitären Anlagen oder fließendem Wasser. Nach Medienberichten soll eine aggressive Gruppe vor allem afghanischer Migranten für Unruhen, Brandstiftungen und auch Drohungen gegen andere Migranten verantwortlich sein.
Der stellvertretende Migrationsminister Notis Mitarakis erklärte am Sonntag im Fernsehen, im neuen Lager sei sowohl für Essensausgabe und sanitäre Anlagen als auch die gesundheitliche Versorgung gesorgt. Er gehe davon aus, dass sich die gesamte Situation innerhalb der nächsten Tage beruhigen und verbessern werde. Die sieben Corona-Infizierten wurden zur Isolation in einen abgelegenen Teil des Lagers gebracht.
Unklar ist, wie hoch die Verbreitung des Corona-Virus unter den Flüchtlingen ist
Noch ist nicht klar, ob und wie stark sich das Virus unter den Menschen ausbreiten konnte. Vor dem Großbrand am vergangenen Mittwoch waren 35 Migranten positiv getestet worden. Sie waren im folgenden Chaos aber nicht mehr auffindbar. Am Samstag kam ein 20 Tage altes Baby einer afghanischen Familie mit Corona-Symptomen ins Inselkrankenhaus. Später wurde es mit seiner Mutter nach Athen gebracht.
Angesichts des Elends rief Papst Franziskus Europa zum Handeln auf. Der 83-Jährige erinnerte in Rom an einen Besuch auf Lesbos 2016 und seinen damaligen Appell für eine "menschenwürdige Aufnahme der Frauen und Männer, der Migranten und Flüchtlinge, derjenigen, die Asyl in Europa suchen".
SPD-Vorsitzende Esken fordert Aufnahme von mehr Flüchtlingen in Deutschland
Unterdessen ging auch die Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingen weiter. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken forderte in der Bild am Sonntag: "Deutschland muss hier vorangehen und kann sich auch unabhängig von der Entscheidung anderer EU-Länder zur Aufnahme weiterer Flüchtlinge bereit erklären." Die Ankündigung des Innenministers Horst Seehofer (CSU), in einem ersten Schritt 100 bis 150 unbegleitete Minderjährige aufzunehmen, reiche nicht aus.
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte demselben Blatt: "Deutschland sollte als Vorbild vorangehen, gern auch mit anderen Europäern in einer Koalition der Willigen." Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) schlug im Tagesspiegel am Sonntag einen Krisengipfel von Bund, Ländern und Kommunen zur Aufnahme von Flüchtlingen vor. "Der Bundesinnenminister muss sich mit den hilfsbereiten Ländern, Städten und Kommunen endlich an einen Tisch setzen."
Österreichs Kanzler Sebastian Kurz bekräftigte unterdessen sein Nein zu einer Aufnahme von Menschen aus dem abgebrannten Lager. "Wenn wir diesem Druck jetzt nachgeben, dann riskieren wir, dass wir dieselben Fehler machen wie im Jahr 2015", sagte der konservative ÖVP-Politiker am Samstagmorgen in einer Videobotschaft auf Facebook. Stattdessen will Österreich 400 Unterkünfte mit Heizungen, Betten und Decken für 2000 Hilfsbedürftige nach Lesbos transportieren lassen. Zudem würden zehn Sanitäter und ein Arzt des Bundesheeres abgestellt. (dpa)
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