Die sogenannten Schilderbrücken kennt jeder Autofahrer: Bei Nebel, Starkregen oder Staus zeigen die elektronischen Anzeigetafeln ein Tempolimit an. Gesteuert werden sie in einem abgedunkelten Büro in München: Dort wachen rund um die Uhr fünf Männer und Frauen über die Autobahnen südlich der Donau. Etwa 1200 Kilometer Fahrstrecke hat die Autobahndirektion Bayern Süd im Blick. Hier laufen die Bilder zusammen, die mehr als hundert Kameras auf den Autobahnen aufnehmen. Die Bildschirme an den Wänden des Büros zeigen Autos und Lkw über die Straße rollen – und oftmals stehen. Vor allem im Großraum München kommt es eigentlich täglich zu Staus. In der Regel sind zu viele Fahrzeuge auf zu wenigen Fahrspuren unterwegs. Um die Engpässe zu beseitigen, werden die Autobahnen derzeit im großen Stil ausgebaut. Diese Baustellen führen wiederum zu Engpässen und weiteren Staus. Das Problem ist bekannt – und es wird schlimmer.
2016 waren 46 Millionen Autos auf den Straßen unterwegs
Jahr für Jahr müssen deutsche Autobahnen mehr Verkehr aushalten. Im Jahr 2016 waren beinahe 46 Millionen Autos auf den Straßen unterwegs – etwa 700000 mehr als im Vorjahr. Allerdings setzen nicht die Pkw der Fahrbahn zu – vor allem die schweren Lkw reißen Löcher in die Autobahn. Ein einziger Lastkraftwagen mit 30 Tonnen Gewicht auf drei Achsen beansprucht eine Straße so stark wie 10000 einzelne Pkw. Im Jahr 2014 beförderten Lastkraftwagen rund 3,4 Milliarden Tonnen Güter durch die Bundesrepublik – 3,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Bundesregierung erwartet, dass der Güterverkehr bis zum Jahr 2030 noch mal um nicht weniger als ein Drittel ansteigt.
Die A9 gehört zu den staureichsten Straßen Deutschlands
So verhalten sich Autofahrer im Stau richtig
Für Einsatzwagen müssen Fahrer eine Rettungsgasse frei machen. Andernfalls wird ein Bußgeld von 20 Euro fällig.
Ohne Freisprecheinrichtung dürfen Fahrer nicht zum Handy greifen - das gilt auch im Stillstand solange der Motor läuft. Sonst drohen 60 Euro Bußgeld und ein Punkt in Flensburg.
Das Betreten der Fahrbahn ist verboten. Es ist nur im Notfall zum Sichern einer Unfallstelle erlaubt - nicht aber, um etwa eine Notdurft zu verrichten oder ein Kind zu wickeln. Hierfür wird ein Bußgeld von 10 Euro fällig.
Stehen Fahrzeuge auf der linken Spur oder fahren nicht schneller als 60 km/h, dürfen andere auch rechts überholen. Allerdings dürfen sie höchstens 20 km/h schneller sein als die Autos links von ihnen. Stehen die Autos, darf man mit höchstens 20 km/h rechts vorbeifahren. Ansonsten drohen 100 Euro Strafe und ein Punkt in Flensburg.
Motorradfahrer dürfen sich nicht zwischen den Autos vorarbeiten. Sie müssen mit 100 Euro Strafe und einem Punkt rechnen.
Tabu ist es, am Stau vorbei auf dem Seitenstreifen zur nächsten Ausfahrt oder zum nächsten Parkplatz zu fahren. Hier riskieren Fahrer 75 Euro Bußgeld und einen Punkt in Flensburg. dpa
Im Großraum München zeigt sich schon heute, dass die Straßen überlastet sind – einer ADAC-Auswertung zufolge gehört die A9 zwischen Nürnberg und München zu den staureichsten Straßen Deutschlands. Die Mitarbeiter der Autobahndirektion im dunklen Büro greifen ein, sobald sich ein Stau ankündigt, und reduzieren vorübergehend die erlaubte Höchstgeschwindigkeit, damit der Verkehr auf allen Spuren gleich schnell fließt. „Harmonisierung“ nennen das die Experten. „Bei einer Begrenzung auf 80 Kilometer pro Stunde fließt der Verkehr am gleichmäßigsten“, sagt Direktionssprecher Josef Seebacher.
Wenn es richtig stockt, gibt die Verkehrsdirektion eine Warnung heraus. Eine kurze Eingabe am Computer genügt, dann zeigen die Schilderbrücken „Stau“. Die Warnung soll verhindern, dass unaufmerksame Fahrer in das Stauende rasen. Auf manchen Streckenabschnitten können die Verkehrslenker die Lage entspannen, indem sie den Seitenstreifen freigeben. Das funktioniert nicht überall – auf dem Gebiet der Direktion Bayern Süd nur auf 110 Kilometern der Autobahnen. Seebacher zufolge ist ein normaler Seitenstreifen so gebaut, dass einzelne Fahrzeuge darauf stehen können. Damit der Seitenstreifen für den rollenden Verkehr freigegeben werden kann, muss beispielsweise der Unterbau verstärkt werden, damit dieser dauerhaft die Last von Lkw aushält. Das schafft vorübergehend eine neue Engstelle.
Mehr als 260 Milliarden Euro für die Infrastruktur
In den kommenden Jahren wird die Zahl der Baustellen steigen, der Bund investiert mehr Geld in den Erhalt der Autobahnen. 2016 wurden rund 3,3 Milliarden Euro in Sanierungen gesteckt, 2020 sind etwa 4,2 Milliarden Euro eingeplant. Die Ausgaben sind notwendig, denn Deutschlands Verkehrsadern kommen in die Jahre. Das Bundesverkehrsministerium schätzt, dass der Bund in den kommenden 15 Jahren mehr als 260 Milliarden Euro in Straßen, Schienen und Binnenschifffahrt investieren muss.
Viele dieser Ausgaben sind im Bundesverkehrswegeplan niedergeschrieben. In diesen setzt SPD-Politikerin und Mitglied in Bundestags-Ausschuss für Verkehr, Kirsten Lühmann, ihre Hoffnung. Der Plan stärke neben dem Straßenverkehr auch die Zug- und Schifffahrt. „Allerdings dauert der Ausbau einer Bahnstrecke wesentlich länger als der Ausbau einer Autobahn“, sagt sie. Die Investitionen bekämpfen aber nicht die Ursachen der Straßenabnutzung. Die Belastung der Autobahnen ließe sich reduzieren, wenn die Industrie mehr Waren mit der Eisenbahn transportiert. Weniger als ein Fünftel aller Güter rollt auf der Schiene: So stieg die Menge der von der Deutschen Bahn und zunehmend mehr Privatunternehmen per Zug transportierten Güter binnen zehn Jahren gerade mal von 322 auf 365 Millionen Tonnen. Der Lastverkehr auf der Straße nahm in der gleichen Zeit um 500 Millionen auf über 3,5 Milliarden Tonnen zu.
Die Bahn eignet sich nicht bei kurzfristigen Lieferungen
Dass die viel gewünschte Verlagerung auf die Schiene nicht vorankommt, hat mehrere Gründe, sagt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Speditions- und Logistikverbandes, Frank Huster. Es dauere zu lange, Güter auf einen Zug zu laden, zudem müssten viele Transporte gebündelt werden, damit sich die Fahrt eines Güterzugs lohnt. Dadurch eigne sich der Bahntransport nicht, wenn Waren kurzfristig geliefert werden müssen. „Aber selbst wenn die Schiene ihren Marktanteil verdoppeln könnte, würde dies die Straße vor dem Hintergrund des prognostizierten Güterwachstums nur geringfügig entlasten“, sagt er. Die Deutsche Bahn räumte auf Anfrage unserer Zeitung ein, dass sie „mit den jetzigen Strukturen und den bisherigen Produktionsprozessen die Qualitätsanforderungen der Kunden noch nicht zur Zufriedenheit erfüllt“. Allerdings arbeite der Konzern daran, vor allem in puncto Pünktlichkeit, Digitalisierung und Schienen-Infrastruktur.
Das Grünen-Verkehrsexpertin Valerie Wilms sagt, der Konzern solle nicht selbst zum Logistiker werden und Waren vom Versender zum Empfänger liefern, sondern nur den Part auf der Schiene übernehmen. Der CSU-Verkehrsexperte Ulrich Lange aus Nördlingen setzt sich für den Ausbau der Autobahnen ein. Eine gute Planung der Baustellen könne verhindern, dass Autofahrer lange im Stau stehen. Er setzt seine Hoffnung in die Autobahngesellschaft, die diese Aufgaben in Zukunft zentral planen soll.
Lesen Sie auch: Stauschau in Echtzeit: Alternativen zum Radio-Verkehrsfunk