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Kommentar: Mit den Volksparteien geht es bergab

Kommentar

Mit den Volksparteien geht es bergab

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    Für die SPD steht am Sonntag viel auf dem Spiel.
    Für die SPD steht am Sonntag viel auf dem Spiel. Foto: Axel Heimken, dpa

    Für die alte große Sozialdemokratie, die dieses Land maßgeblich mitgeprägt hat, steht am Sonntag eminent viel auf dem Spiel. Sagen die Mitglieder Nein zu einer neuen Koalition mit der Union, droht der zuletzt bei nur noch 18 Prozent notierten SPD ein noch tieferer Fall – mitsamt dem Risiko, in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Sagen die Mitglieder Ja zum Mitgestalten, wird sich die Krise der Volkspartei zumindest nicht verschärfen. Angesichts dieser Alternative – hier der Abgrund, da die Chance auf ein Ende der Talfahrt – ist ein Sieg der „kollektiven Vernunft“ (Gerd Schröder) über die Angst vor einer weiteren Verzwergung an der Seite Merkels das wahrscheinlichste Ergebnis.

    Der Niedergang der SPD hat etliche hausgemachte Ursachen. Sie hat seit langem ein Führungsproblem und kein klares Profil. Sie setzt häufig auf falsche Themen und redet ihre Erfolge selber klein. Aber das Schrumpfen der SPD hat natürlich auch mit der Krise der Volksparteien überhaupt zu tun.

    Verglichen mit der SPD, wirkt die Union noch stabil. Doch auch sie ist vor einem Absturz in die Regionen unterhalb der 30 Prozent nicht mehr gefeit. Was der SPD schon vor vielen Jahren durch Grüne und Linkspartei widerfahren ist, bekommt nun die Union an ihrem rechten Rand in Gestalt der konkurrierenden AfD zu spüren. Die Zeiten, in denen Schwarze und Rote auf 40 Prozent plus X hoffen konnten und Regierungen zügig zustande kamen, sind unwiderruflich vorbei. Die große Volkspartei, die möglichst viele Teile und Interessengruppen der Gesellschaft unter ihrem Dach versammeln kann, ist Geschichte. Die klassischen Milieus erodieren – der SPD laufen die Arbeiter, der „modernisierten“ Union konservativ denkende Bürger davon. Die Individualisierung der Gesellschaft geht mit der Auflösung tradierter Parteienstrukturen einher und schwächt die Bindekraft von SPD und Union. Mit den „Großen“ geht es bergab, mit den kleinen, vielfach nur partiellen Interessen verpflichteten Parteien bergauf.

    Keine Gefahr, solange die Mitte stabil bleibt

    FDP, Grüne, AfD und Linkspartei haben das Potenzial, den schwarz-roten Block immer kleiner werden zu lassen. Die Sehnsucht vieler Wähler nach einer Art von „Aufbruch“, nach neuen Gesichtern und Ideen tut ein Übriges, um die „großen“ Parteien alt aussehen zu lassen. Das ist kein Unglück für die Demokratie, die auch ohne die auf Konsens abonnierten Volksparteien funktionieren kann – solange die politische Mitte stabil bleibt und die Parteien der Mitte zum Kompromiss imstande sind. Gefährlich wird es erst, wenn die radikalen Ränder noch stärker werden, das Grundvertrauen der Menschen in das System weiter sinkt und das Gefühl überhandnimmt, dass die Parteien sich mehr um Posten und Machtspiele als um die Anliegen der Bürger kümmern.

    Unaufhaltsam ist der Abstiegsprozess der Volksparteien nicht. Ihre alte Stärke ist dahin. Aber sie können Stützpfeiler unserer Ordnung bleiben und mit ihrer noch immer breiten Verankerung im Volk mehr als andere zum (gefährdeten) Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen. Was dazu nötig ist? Erstens die Bereitschaft zur inhaltlichen und personellen Erneuerung, die für frischen Wind und klarere Konturen sorgt. Zweitens: Eine Politik des sozialen Ausgleichs, die nicht nur Not lindert, sondern Aufstiegschancen gewährleistet und auch die hart arbeitende Mitte im Auge hat. Drittens: die Wiederherstellung des Vertrauens in den Sicherheit bietenden Rechtsstaat. Viertens: eine Migrationspolitik mit Herz und Verstand, die das Land nicht überfordert und die Probleme konsequent anpackt. Im Umgang mit dieser zentralen Herausforderung wird sich das Schicksal der Volksparteien letztlich entscheiden.

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