Herr Altmaier, bevor wir zu den globalen Energiethemen kommen, zuerst die Frage nach Ihrer persönlichen Energie. Vor einem Vierteljahr haben Sie uns berichtet, die Corona-Krise verschaffe Ihnen etwas mehr Zeit für Ihr Hanteltraining. Wie ist der aktuelle Trainingsstand?
Peter Altmaier: Es macht großen Spaß. Ich fühle mich seither viel dynamischer und habe am Bizeps auch schon zugelegt. Allerdings gilt das leider in begrenztem Maße auch für meinen Bauchumfang, obwohl das so nicht vorgesehen war.
Das Sachthema, für das wir hier sind, ist der Wasserstoffbeirat. Sie haben mit dem Verkehrsminister eine Strategie erarbeitet, wie der Brennstoff viel stärker als bisher zum Einsatz kommen soll. Sie haben einen Wasserstoffbeirat einberufen, der am Donnerstag das erste Mal zusammentritt. Was soll das Gremium leisten?
Altmaier: Wir haben uns das Ziel gesetzt, unser Leben und Wirtschaften bis zur Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu machen. Grüner Wasserstoff, der aus erneuerbarer, sauberer Energie hergestellt wird, soll uns schneller dorthin bringen. Das Ziel ist sehr anspruchsvoll. Deshalb haben wir zur Unterstützung einen Expertenrat, der die Bundesregierung beraten soll, aber auch gerne eigene Vorschläge machen kann.
Wasserstoff ist das neue Wundermittel, um den Ausstoß von Kohlendioxid zu senken. Er soll Autos antreiben, Lkw, Flugzeuge und der Industrie saubere Energie liefern. In Wahrheit ist er ein Nischenprodukt. Wird da ein Popanz aufgeblasen?
Altmaier: Nein, das hat sehr viel Substanz und Sinn. Die Erzeugung von Wasserstoff ist ja keine neue Technologie, sondern wird seit vielen Jahrzehnten erfolgreich eingesetzt, zum Beispiel auch beim Assuan Staudamm. Heute geht es darum, ihn mit Strom aus erneuerbaren Quellen wie Photovoltaik und Wind zu erzeugen und eine weltweite Infrastruktur zu schaffen. Er wird also in Teilen in Deutschland, aber vor allem auch anderswo auf der Welt hergestellt werden, wo dies zu geringsten Kosten möglich ist. Wir müssen jetzt die PS auf die Straße bringen und Wasserstoff nicht mehr in Pilotprojekten, sondern im großtechnischen Maßstab produzieren und verbrauchen. Das ist gerade kein Popanz, sondern industriepolitisch sinnvoll und notwendig, wenn wir unsere ehrgeizigen Klimaziele erreichen und zukunftsfähige Arbeitsplätze schaffen wollen.
Wann sind wir denn hierzulande bei einem nennenswerten Anteil?
Altmaier: Wir werden einzelne Projekte sehr schnell realisieren. Bis 2030 wollen wir in Deutschland Erzeugungsanlagen mit einer Leistung von bis zu 5 Gigawatt erreichen. Den flächendeckenden Einsatz können wir nicht binnen weniger Jahre realisieren. Ab Anfang der 2030er Jahre muss Wasserstoff aber eine großwirtschaftliche Alternative sein.
Werden Deutschland und die EU den Aufbau der Produktion mit vielen Milliarden fördern müssen – ähnlich wie Windräder und Solaranlagen? Die Deutschen zahlen schon heute 25 Milliarden pro Jahr für die Energiewende.
Altmaier: Die Energiewende war erfolgreich, aber teuer. Wir können uns auf absehbare Zeit keine zusätzlichen Ausgabenblöcke in dieser Größenordnung leisten. Derzeit investieren wir noch sehr stark in den Ausstieg aus Kohle- und Kernenergie sowie den Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir achten von Anfang an darauf, dass der grüne Wasserstoff dort produziert wird, wo dies zu den günstigsten Preisen möglich ist, zum Beispiel in der Nordsee, wo der Wind fast immer weht, oder in Ländern mit sehr viel mehr Sonne als in Deutschland. So können wir Fehler aus der Anfangszeit der Energiewende vermeiden.
Die Stahl- und Chemieindustrie haben bereits ihre Bereitschaft erklärt, den Wasserstoff-Weg mitzugehen. Sie fürchten aber angesichts der Kosten um ihre Wettbewerbsfähigkeit. Braucht Europa eine Art Umweltzoll, also etwa den CO2-Grenzausgleichsmechanismus, wie ihn Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans vorgeschlagen hat?
Altmaier: Es gibt Staaten, die sich einen Kehricht um Umweltschutz kümmern und weiterhin mit den ja nur vermeintlich günstigen fossilen Brennstoffen arbeiten. Wir müssen vermeiden, dass diese Länder einen Vorteil gewinnen, wenn wir in Europa uns um den Klimaschutz kümmern und zum Beispiel unsere Unternehmen dadurch höhere Kosten schultern müssen. Brüssel hat für den Herbst unter deutscher EU-Präsidentschaft hierzu einen Vorschlag angekündigt, den werden wir sehr genau prüfen und gegebenenfalls um unsere eigenen Vorschläge ergänzen.
Stichwort Corona-Krise. Sie haben gerade weitere 25 Milliarden Euro an Überbrückungshilfen für Unternehmen auf den Weg gebracht. Dieses Hilfspaket und viele weitere laufen im Herbst aus. Dann endet auch die Verlängerung der Anzeigepflicht für Insolvenzen. Bekommen wir im September oder Oktober die große Pleitewelle?
Altmaier: Diese Überbrückungshilfen werden jetzt vielen Unternehmen das Überleben sichern. Deshalb sind sie eine sehr gute Botschaft für viele Mittelständler und ihre Angestellten. Es wäre jedoch im höchsten Maße unseriös, wenn jemand behaupten würde, jetzt schon zu wissen, wie sich die Situation im Herbst darstellt. Da wir nicht genau wissen, wann der Wendepunkt erreicht ist, ab dem es wieder aufwärts geht, müssen wir unser staatliches Handeln immer wieder neu überprüfen und anpassen. Wir müssen weiter achtsam sein und die Abstandsregeln und Hygienevorgaben einhalten. Das ist für die Gesundheit und Wirtschaft gleichermaßen wichtig.
Weitere Hilfspakete über den Herbst hinaus sind also nicht ausgeschlossen?
Altmaier: Mein Ziel als Wirtschaftsministers ist es, zu einer Normalisierung der Lage zu kommen, sobald dies mit dem Gesundheitsschutz vertretbar ist. Auch deshalb haben wir diese Hilfen – übrigens auch die Frist bei Insolvenzen – begrenzt. So können wir nachsteuern, oder auch gegensteuern. Mit diesem Vorgehen haben wir in den letzten vier Monaten gute Erfahrungen gemacht. Ich will erreichen, dass der Aufschwung im Herbst in Gang kommt: Um das zu erreichen brauchen wir Disziplin in der Pandemie-Bekämpfung, wirksame Unterstützung für Selbstständige, Handwerker und Mittelständler und nicht zuletzt den Mut zu einem wirklichen Aufbruch!
Sie haben das Ziel ausgerufen, dass wir 2022 den gleichen Beschäftigungsstand haben wie vor der Krise. Der Wirtschaftsprofessor Jens Südekum hat vorgeschlagen, dass man Kredite in Zuschüsse umwandeln soll – wenn Arbeits- und Ausbildungsplätze geschaffen werden. Eine gute Idee?
Altmaier: Für die Schaffung von Ausbildungsplätzen haben wir ein Bonussystem im Konjunkturpaket. Das wird derzeit umgesetzt. Dabei tun wir alles, damit die Wirtschaft bei uns und weltweit wieder in Gang kommt, denn das ist entscheidend. Gibt es Aufträge, dann werden mehr neue Stellen entstehen. Und Leute werden gesucht. Gibt es diese Aufträge nicht in großer Zahl, dann halte ich das Instrument der Kurzarbeit für zielführender. Arbeitnehmer können ihren Job behalten und gleichzeitig ihre Arbeitskraft anderweitig zur Verfügung stellen. Das wäre mit dem Vorschlag von Herrn Südekum, den ich sehr schätze, problematischer. Wir hätten dann einen subventionierten Arbeitsmarkt innerhalb der Unternehmen. Ich halte das Instrument der Kurzarbeit ordnungspolitisch für die bessere Lösung.
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