Kein anderes Wahlversprechen hat SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz so eng an seine Person gebunden wie die Zwölf. „Jetzt zwölf Euro Mindestlohn wählen“, mit diesem Versprechen warb der amtierende Finanzminister um Stimmen. Ein Kanzler Scholz müsste also beim Mindestlohn liefern, wenn er nicht sofort seine politische Glaubwürdigkeit verlieren will.
In den anstehenden Sondierungsgesprächen ist das ein Problem, denn die FDP als möglicher Regierungspartner lehnt eine plötzliche Heraufsetzung auf zwölf Euro ab, sie setzt auf die Mindestlohnkommission und schrittweise Erhöhungen. Die Grünen, die der nächsten Regierung auch angehören wollen, sind dagegen wie die SPD für einen Mindestlohn von zwölf Euro. Sie wollen ihn laut Wahlprogramm „sofort“ einführen. Bei einer Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen hätte die Lohnuntergrenze also genügend Explosionskraft, um das Bündnis frühzeitig zu sprengen.
Die FDP setzt auf die Mindestlohnkommission
Die potenziellen Regierungspartner haben für die Sondierungen Stillschweigen vereinbart und halten sich bisher auch dran. Offiziell will in der FDP niemand etwas zum Mindestlohn sagen. Hinter den Kulissen gibt es jedoch Äußerungen, die auf einen möglichen Lösungsweg für Scholz hindeuten, und der führt über die Mindestlohnkommission. Das mit Arbeitnehmern und Arbeitgebern besetzte Gremium entscheidet regelmäßig über die Höhe und orientiert sich an der allgemeinen Lohnentwicklung. Scholz’ Problem dabei ist: Die Tariflöhne steigen nicht so schnell, dass die versprochenen zwölf Euro bald erreicht sein könnten. Derzeit liegt der Mindestlohn bei 9,60 Euro. Er steigt im ersten Halbjahr 2022 auf 9,82 Euro sowie im zweiten auf 10,45 Euro. Diese Zahlen zeigen, dass die zwölf Euro wohl erst in einigen Jahren erreicht würden.
Um nun den Turbo einzuschalten und gleichzeitig die FDP nicht zu verschrecken, wird über eine Änderung des Mindestlohngesetzes diskutiert. Der SPD-Plan: Die turnusmäßige Erhöhung soll in Zukunft nicht mehr an die Entwicklung der Löhne und Gehälter, sondern an das Ziel von zwölf Euro gekoppelt sein. Die FDP könnte das mittragen, weil der Mindestlohn weiterhin durch die Kommission bestimmt und nicht politisch festgesetzt würde.
Die Wirtschaft unterstützt beim Mindestlohn einen Kompromiss
Aus der Wirtschaft kommen Signale, die einen Kompromiss unterstützen. Am Ifo-Institut sieht man einen höheren Mindestlohn nicht als Hindernis für die Konjunktur, sondern erwartet im Gegenteil mehrere positive Effekte: „Eine schrittweise Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro bringt Millionen Beschäftigten eine Verbesserung ihres Lohns und reduziert so die Lohnungleichheit weiter“, sagte Professor Andreas Peichl unserer Redaktion. „Die schrittweise Erhöhung steigert zudem die Wirtschaftsleistung langfristig und auch die Gesamtbeschäftigung würde nicht negativ beeinflusst“, erklärt der Leiter des Ifo-Zentrums für Makroökonomik.
Der Kompromiss birgt für Scholz allerdings trotzdem noch ein paar Tücken. Die Arbeitgeber in der Mindestlohnkommission könnten den schnellen Sprung auf zwölf Euro verhindern. Dem Sozialdemokraten sitzen außerdem die Gewerkschaften im Nacken. Geht es nach ihnen, müssen die im Gesetz festgelegten Ausnahmen für Langzeitarbeitslose, Jugendliche unter 18 und freiwillige Praktika während Ausbildung oder Studium abgeschafft werden. Ob das mit der FDP zu machen ist?
Scholz wird den Liberalen im Zweifel einiges anbieten müssen, damit sie die zwölf Euro mittragen. Der Mindestlohn wird so zum Preistreiber in den Sondierungen.