Was ist gerechter Heldenlohn? Diese Frage müssen am Dienstag die neun Mitglieder der Mindestlohnkommission entscheiden. Taxifahrer, Verkäuferinnen, Erntehelfer und Wachmänner konnten in der Krise nicht in das geschützte Homeoffice wechseln, sondern haben gearbeitet und sich der Ansteckungsgefahr ausgesetzt. Sie haben dafür gesorgt, dass die Versorgung Deutschlands funktioniert hat. Applaus wurde gespendet, Anerkennung versprochen.
Doch weil der Kampf gegen das Coronavirus die Wirtschaft heftig einbrechen lässt, könnte es für die Corona-Helden beim billigen Beifall bleiben. Denn Millionen Stellen sind durch den tiefen Einbruch der Konjunktur bedroht. Steigt der Mindestlohn ab Januar 2021, könnten noch mehr Arbeitsplätze vernichtet werden, weil es sich für Unternehmen nicht mehr rechnet. Gewerkschafter und Arbeitgeber, die dominierenden Kräfte in der Kommission, kämpfen an dieser Klippe.
Mindestlohn: Was kommt für Corona-Helden raus?
Stefan Körzell steht aufseiten der Beschäftigten. Er sitzt im Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und in der Mindestlohnkommission. Er will, dass sich die Beschäftigen in den Niedriglohnbereichen nicht nur am Applaus wärmen können. „Dass sie sich jetzt in Verzicht üben sollen, kommt nicht infrage“, meint Körzell. Er will, dass die Lohnuntergrenze mit dem neuen Jahr auf oder über die symbolische Marke von zehn Euro brutto gehoben wird. Aktuell liegt sie bei 9,35 Euro. Wer zu diesem Satz in Vollzeit arbeitet, bekommt am Monatsende 1621 Euro vor Steuern und Abgaben, hat das Statistische Bundesamt errechnet. Der Durchschnittslohn in Deutschland liegt bei knapp über 4000 Euro.
Ginge es nach der reinen Mathematik, würde die Zehn-Euro-Marke nicht fallen. Bereits zu Beginn des Jahres war bekannt geworden, dass der Mindestlohn nur auf 9,82 Euro klettern würde, wenn die Kommission allein den reinen Tarifverlauf anlegt. Denn ein wichtiges Kriterium für die Festsetzung der Minimalbezahlung ist die durchschnittliche Entwicklung der Tariflöhne.
Anhebung des Mindestlohns darf keine Jobs vernichten
Während die Gewerkschaften zehn Euro erstreiten wollen, erinnern die Vertreter der Wirtschaft daran, dass die Konjunktur gerade einen Absturz hinlegt. Er habe kein Verständnis dafür, „wenn sich in diesen Zeiten Politik und Gewerkschaften mit öffentlichen Vorschlägen geradezu überschlagen“, sagt Steffen Kampeter, Geschäftsführer der Arbeitgebervereinigung BDA. Kampeter gehört der Kommission an und ist dort der Widerpart Körzells. Unterstützung erhält er von dem bekannten Wirtschaftsprofessor Marcel Fratzscher. „Ich würde es für einen Fehler halten, wenn der Mindestlohn erhöht würde. In dieser Krise muss es das oberste Prinzip sein, Arbeitsplätze zu sichern“, sagte der Direktor des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) unserer Redaktion.
In der Tat muss die Kommission darauf achten, dass eine Anhebung der Lohnuntergrenze keine Jobs vernichtet. In den Jahren des Aufschwungs war das kein Thema, aber die Situation heute ist eine völlig andere. „Die Beschäftigungseffekte des Mindestlohns treten nicht in guten Zeiten auf“, sagt Fratzscher.
Experte empfiehlt Erhöhung in zwei Schritten
Die Arbeitnehmerseite geht allerdings auch nicht ohne Rückendeckung in die finale Runde. Der Chef des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) Sebastian Dullien rät zur Anhebung des Mindestlohns. „Würde der Mindestlohn nicht angehoben, hätten wir ein soziales Problem“, erklärt Dullien im Gespräch mit unserer Redaktion. Es würde diejenigen treffen, die in den harten Krisenwochen in der ersten Reihe gestanden hätten. Dullien schlägt daher vor, dass die Kommission einen Zweischritt machen soll. Da ihre Empfehlungen über zwei Jahre reichen, sollten sie „zunächst zurückhaltender erhöhen und dann am Ende stärker drauflegen“.
Eine aktuelle Auswertung des Statistischen Bundesamtes zeigt, dass rund zwei Millionen Beschäftigte von der bislang letzten Steigerung des Mindestlohns zum Jahresbeginn profitiert haben. Hierzulande arbeiten 3,5 Prozent aller Beschäftigen zum niedrigsten Tarif.
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