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Militär: Nervenkrieg am Himmel: Das erleben die Neuburger Jets im Baltikum

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Nervenkrieg am Himmel: Das erleben die Neuburger Jets im Baltikum

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    Ein Eurofighter beim Abheben. Derzeit sichert ein Geschwader aus Neuburg an der Donau den Luftraum im Baltikum ab.
    Ein Eurofighter beim Abheben. Derzeit sichert ein Geschwader aus Neuburg an der Donau den Luftraum im Baltikum ab. Foto: Xaver Habermeier (Symbolbild)

    Eine Nacht ohne Atempause. Eine Nacht, die alle Einsatzpläne sprengt. Diese Nacht wird niemand vergessen, der dabei gewesen ist. Voller Respekt wird sie von allen, die sie erlebt haben, bis heute die „Nacht der langen Messer“ genannt.

    Seit dem 1. September, seit die Piloten vom Taktischen Luftwaffengeschwader 74 in Neuburg an der Donau auf dem estnischen Militärflughafen Ämari stationiert sind, sind sie 28 sogenannte Alpha-Scrambles geflogen, scharfe Alarm-Einsätze mit Bewaffnung. Den letzten erst am 7. Dezember.

    Übungen mit schwedischen und finnischen Kampfjets

    Im Auftrag der Nato überwachen die Soldaten mit fünf Eurofightern zum zweiten Mal nach 2014 den gesamten Luftraum über dem Baltikum. Manchmal gibt es tagelang nichts zu tun. Dann stehen Trainingsflüge auf dem Programm, Tiefflüge über der Ostsee oder gemeinsame Übungen mit schwedischen oder finnischen Kampfjets.

    Doch in der Nacht vom 6. auf den 7. Oktober ist alles anders. In jener „Nacht der langen Messer“. Binnen weniger Stunden werden die Piloten allein sechs Mal wegen Verletzungen des internationalen Luftraums über der Ostsee durch russische Militärflugzeuge alarmiert. Kaum am Boden, erfolgt ein neuer Alarm.

    Um die Piloten, die jeweils 24 Stunden Dienst haben, zu entlasten, werden auch die Besatzungen, die eigentlich freihaben, aus den Betten geholt. Sechs Mal steigen die Eurofighter auf, um die Luftraumverletzer zu identifizieren. Parallel dazu gibt es auch noch Alarmierungen im gegenüberliegenden Finnland.

    Militärische Drohgebärden Moskaus

    Die „Täter“ sind trotz Dunkelheit rasch enttarnt – russische Kampfjets vom Typ SU-27, Nato-Spitzname „Flanker“. Diese haben entgegen den internationalen Regeln weder ihre Flugrouten bei den Sicherheitsbehörden gemeldet noch ihre „Transponder“, ihr elektronisches Erkennungssystem, eingeschaltet. Somit sind sie auf den Radarschirmen nicht zu identifizieren. Sowohl die estnische als auch die finnische Regierung protestieren offiziell gegen die militärischen Drohgebärden Moskaus.

    „Die wollten uns testen“, sagt Oberstleutnant Johannes Durand, normalerweise Chef der zweiten Staffel des in Neuburg stationierten Geschwaders, der hier unweit der Hauptstadt Tallinn an der Spitze des deutschen Kontingents mit 181 Soldatinnen und Soldaten steht. Die Luftwaffe, die den drei baltischen Staaten im Rahmen der Nato-Bündnisverpflichtung beisteht und deren Luftraum von Ämari aus sichert, zeigt in dieser Nacht, dass sie in der Lage ist zu reagieren, auch wenn Menschen und Maschinen bis an ihr Äußerstes gehen müssen.

    „Top Gun“ über der Ostsee

    „Top Gun“ über der Ostsee. Es ist ein eigenartiges Katz-und-Maus-Spiel, das sich im internationalen Luftraum über dem Meer abspielt, verstärkt seit der Ukraine-Krise im Jahr 2014. Ein Gebiet, das an seiner engsten Stelle zwischen Estland und Finnland gerade einmal 15 Kilometer breit ist.

    Regelmäßig sind russische Aufklärungs-, Transport- und Jagdflugzeuge zwischen St. Petersburg und der russischen Enklave Kaliningrad, dem früheren Königsberg, unterwegs. Fast alle Flüge werden, wie es dem internationalen Recht entspricht, bei den Flugsicherheitsbehörden offiziell angemeldet und mit eingeschalteten Transpondern durchgeführt, sodass die Maschinen auch auf den Radarschirmen der Fluglotsen sichtbar sind und die Flüge keine Gefahr für die zivile Luftfahrt darstellen.

    Regeln werden gezielt verletzt

    Doch immer wieder werden diese Regeln verletzt. Gezielt, so glaubt man in westlichen Sicherheitskreisen, setzt das russische Militär Nadelstiche und zeigt seine Muskeln, um das winzige Estland mit seinen gerade einmal 1,3 Millionen Einwohnern zu verunsichern und die Nato zu provozieren.

    Moskau gehe es darum auszuloten, ob das westliche Bündnis seine Beistandsverpflichtung tatsächlich ernst nimmt, heißt es in der Nato. „Putin geht gezielt vor, wenn sich an seiner Flanke ein Machtvakuum auftut“, sagen Militärs mit Blick auf die Annexion der Krim, dem Schüren des Konflikts in der Ostukraine und dem militärischen Eingreifen in Syrien.

    In den baltischen Staaten, die bis 1990 zur Sowjetunion gehörten und sich nach ihrer Unabhängigkeit dem westlichen Bündnis anschlossen, ist daher seit 2014 die Sorge groß, ebenfalls Opfer der zunehmenden Aggression Russlands zu werden – zumal allein in Estland ein Drittel der Bevölkerung Russen sind.

    „Flagge zeigen“

    Eigene Luftstreitkräfte haben weder Estland noch Lettland und Litauen. Sie sind auf das Versprechen der Bündnispartner angewiesen, ihren Luftraum gemeinsam zu sichern. „Für die Balten ist es existenziell, dass die Nato diese Rückversicherungsmaßnahme garantiert“, sagt der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Karl Müllner, bei einem Besuch in Ämari am Montag. Und gegenüber Moskau sei es wichtig, „dass wir Flagge zeigen“. Das Engagement im Baltikum sei „Teil eines großen Signals, dass wir solidarisch sind“, so der Drei-Sterne-General, der von 2000 bis 2002 Kommodore in Neuburg war.

    Seit 2014 hat die Nato daher ein „verstärktes Air Policing“ mit der dauerhaften Stationierung von Kampfjets an ihrer nordöstlichen Flanke eingeführt. Derzeit sind neben den Eurofightern in Ämari auch französische „Mirage“ im litauischen Siauliai im Einsatz, die im neuen Jahr von einem niederländischen Verband abgelöst werden.

    Luftwaffe ohne eigene Flugzeuge

    Wie wichtig dieser Beitrag der Verbündeten für das kleine Estland ist, macht Colonnel Jaak Tarien, der Kommandeur der estnischen Luftwaffe, deutlich. Eigene Flugzeuge hat er nicht, nur eine Maschine zu Ausbildungszwecken, fünf Radarstationen und 430 Soldaten. „Extrem dankbar“ seien er und seine Landsleute den Deutschen und allen Partnern für diese „Lebensversicherung“.

    Die Präsenz der Truppen auf der Air Base Ämari, die einst die sowjetische Armee nutzte und die erst vor wenigen Jahren für 96 Millionen Euro modernisiert wurde, sorge für Sicherheit. Dies werde auch von Moskau verstanden. „Russland greift uns nicht an, wenn die Nato geschlossen zusammensteht und sich entschlossen zeigt“, sagt der junge Offizier – und fährt fort: „Putin ist ein Opportunist. Er will keinen Krieg mit der Nato. Aber er sucht seinen Vorteil, wenn er eine Chance hat.“

    Sorge wegen Trump

    Im Grunde, so analysiert der Kommandeur, habe Putin durch seine Provokationen und Muskelspiele die Nato wieder enger zusammenrücken lassen. „Jeder weiß, wenn wir vereint sind, passiert nichts.“ Dass der neu gewählte US-Präsident Donald Trump im Wahlkampf eine Reduzierung des amerikanischen Nato-Engagements angekündigt hat und enger mit dem Kremlchef zusammenarbeiten will, werde in Estland mit großer Sorge gesehen, bestätigt Jaak Tarien. Gleichwohl setze man darauf, dass der neue Herr im Weißen Haus die Bündnissolidarität nicht aufkündigen wird. „Trump will nicht der Verlierer sein“, sagt der Chef der estnischen Luftwaffe.

    Ähnlich argumentiert auch der deutsche Verteidigungsattaché in Helsinki und Tallinn, Fregattenkapitän Harald Krempchen. Die Bedrohung durch Russland sei real. Gleichwohl garantiere die Nato-Mitgliedschaft Schutz vor einem Angriff. Die neue estnische Regierung habe Kontakt mit Trump und seinen Beratern aufgenommen und suche das Gespräch. „Estland wartet nicht ab und zieht sich nicht ins Schneckenhaus zurück, sondern vertritt seine Interessen offensiv“, sagt der Militärattaché.

    Kampfname: „Botox“

    Die große Politik interessiert die Piloten nur am Rande. „Wir machen unseren Job, dazu sind wir ausgebildet worden“, sagt ein Soldat im Rang eines Hauptmanns, der sich selber den Kampfnamen „Botox“ zugelegt hat. Selbstbewusst verkündet er: „Wir lassen uns nicht provozieren.“ Zwei Piloten haben immer 24 Stunden Dienst. Dann schlafen sie in einer winzigen, fensterlosen Kammer, die zwischen den Hangars liegt, in denen immer zwei vollbetankte und bewaffnete Eurofighter startklar bereitstehen.

    15 Minuten haben die Piloten im Alarmfall Zeit, die komplette Kampfmontur einschließlich des Überlebensanzugs für die eiskalte Ostsee anzuziehen, in die Maschine zu klettern und aufzusteigen. Ihr Ziel erfahren sie erst, wenn sie bereits in der Luft sind. Der Rest ist Routine.

    Die unbekannte Maschine wird bis auf Sichtkontakt angeflogen. Man grüßt sich militärisch mit einem kurzen Wackeln der Flügel, nimmt Blickkontakt mit den gegnerischen Piloten auf, fotografiert sich gegenseitig mit einer Handkamera und identifiziert die Maschine, die nicht selten nach dieser Enttarnung ihr Versteckspiel aufgibt, den Transponder einschaltet und sich somit zu erkennen gibt.

    „Warten auf die Alarmhupe“

    Rund 75 bis 90 Minuten sind die Piloten in der Luft. Danach dauert es eine Stunde, bis die Jets wieder aufgetankt und für einen neuen Start bereitstehen. Kontingentführer Durand, der bis 2012 auf dem Lechfeld bei Augsburg den „Tornado“ geflogen hat, ehe er auf den Eurofighter umschulte, bringt den Alltag der Piloten auf den Punkt: „Warten auf die Alarmhupe. Und dann nix wie raus!“

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