Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Clan-Kriminalität: Migrationsforscher im Interview: Wie konnten Clans so mächtig werden?

Clan-Kriminalität

Migrationsforscher im Interview: Wie konnten Clans so mächtig werden?

    • |
    Bei einer großen Razzia hat die Polizei im Januar 2019 mehrere Shisha-Bars in ganz Deutschland durchsucht.
    Bei einer großen Razzia hat die Polizei im Januar 2019 mehrere Shisha-Bars in ganz Deutschland durchsucht. Foto: Bernd Thissen, dpa

    Herr Ghadban, Sie sind im Libanon geboren und zählen als Islamwissenschaftler zu den wichtigsten Experten der Clan-Kriminalität. Ihr Wohnort Berlin hat sich zu einer Hochburg der Clan-Kriminalität in Deutschland entwickelt. Wie sicher sind die Straßen überhaupt noch?

    Ralph Ghadban: Die meisten Straßen sind genauso sicher wie in anderen Großstädten. Es gibt aber gefährlichere Gegenden, sogenannte No-go-Areas, in denen arabische Clans die Oberhand haben. Rund um das Cottbusser Tor, den Tiergarten oder in Neukölln zum Beispiel versucht die Polizei, die Kontrolle wieder zurückzugewinnen.

    Was heißt für Sie No-go-Area?

    Ghadban: No-go-Areas sind ein rechtsfreier Raum. Polizisten werden verfolgt, belagert und belästigt. Polizistinnen werden begrapscht. Sie bekommen von Clan-Mitgliedern zum Teil richtige Drohungen wie „Wir wissen, so Sie wohnen“ oder „Wir wissen, wo Ihre Kinder zur Schule gehen“, dagegen sind sie meistens hilflos.

    Seit wann gibt es eine Bedrohung durch arabische Clans?

    Ghadban: Clan-Strukturen gibt es seit 20 Jahren in Deutschland, für eine lange Zeit wurden sie aber nicht wirklich wahrgenommen. Das hat mehrere Gründe. Zum einen war das Phänomen neu, man konnte oder wollte die Clan-Kriminalität – eine Kriminalität, die auf verwandtschaftlicher Basis organisiert ist – zu dieser Zeit nicht erfassen. Zum anderen gab es eine Multikulti-Ideologie in der Gesellschaft: Man wollte ethnische Minderheiten nicht diskriminieren. Es war sogar verpönt, Kriminalität in Bezug zu Ethnizität zu stellen. Das nennt man heute politische Korrektheit.

    Mittlerweile scheint das Problem ja weitgehend erkannt worden zu sein.

    Ghadban: Um das zu erreichen, musste viel passieren. Aber tatsächlich befinden wir uns momentan in einer Phase des Aktivismus.

    Will die Polizei ein Zeichen setzen?

    Ghadban: Natürlich. Die Öffentlichkeit ist inzwischen für das Problem sensibilisiert, der Druck auf den Staat ist groß. Deshalb beobachten wir zum Teil starke Inszenierungen von Polizeiaktionen. Wohlgemerkt haben die meisten nie zu konkreten Ergebnissen geführt.

    Warum sind die Behörden am Ende erfolglos?

    Ghadban: Die strafrechtliche Verfolgung von Clan-Kriminalität ist mangelhaft. Damit meine ich vor allem die Gesetzesreform zur Vermögensabschöpfung aus dem Jahr 2017, die dem Staat mehr Möglichkeiten einräumen sollte, Gelder aus kriminellen Machenschaften zu beschlagnahmen. Das Gesetz hat sein Ziel nicht erreicht, weil ein wesentlicher Aspekt, die Beweislastumkehr, nicht funktioniert. Nach wie vor muss der Staat vor Gericht beweisen, dass es sich bei den Geldern um Diebesgut handelt und nicht umgekehrt. Das muss sich ändern.

    Wie kann man kriminelle Clans zerschlagen?

    Ghadban: Indem man verhindert, dass sie Profit machen. Wenn es sich für die Mitglieder finanziell nicht lohnt, dann zerfällt die Clan-Struktur. Ein Problem ist allerdings, dass die Polizei in vielen Bundesländern überhaupt keine Informationen zu den Strukturen und der Organisation von Clan-Kriminalität besitzt.

    Was muss man über Clan-Kriminalität denn wissen?

    Ghadban: Grundsätzlich: Wenn wir von Clans reden, beziehen wir uns in den meisten Fällen auf Mhallamiye-Kurden, die ab Mitte der Siebziger als Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon nach Deutschland gekommen sind. Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen diesen kriminellen Mhallamiye-Clans und der Organisierten Kriminalität, wie sie unter anderem von der Mafia betrieben wird, ist die Freiwilligkeit. Bei der Organisierten Kriminalität kommen Kriminelle freiwillig zusammen, um gemeinsam Straftaten zu planen und durchzuführen. Die Möglichkeit zum Ausstieg ist gegeben, außerdem kann die Gruppe von Polizisten unterwandert werden. In den Clan wird man aber hineingeboren, man hat keine andere Wahl. Durch die Verwandtschaft entsteht eine Clan-Solidarität, die Mitglieder decken sich gegenseitig. Vor Gericht und Justiz schweigen alle.

    Clan-Mitglieder mit Designer-Sonnenbrillen, die Sozialhilfe kassieren – ein Klischee?

    Ghadban: Nein, das ist Realität. Hartz IV betrachten sie als festes Einkommen. Zuverdienste schaffen sie sich durch Kriminalität. Besonders beliebt sind Berufe mit Gewalt, früh sind Clans zum Beispiel in die Branche der Sicherheitsfirmen eingestiegen. Dann haben sie gesehen, wie lukrativ der Drogenhandel ist. In ihren Bezirken verlangen sie von den Geschäften Schutzgeld und von den Prostituierten das sogenannte Standgeld. Jeder muss etwas zahlen.

    Kritiker werfen Ihnen oftmals vor, mit Ihren Äußerungen die AfD zu befeuern. Was halten Sie davon?

    Ghadban: Als Islamwissenschaftler und Migrationsforscher mache ich diese Äußerungen seit über zwanzig Jahren, damals gab es keine AfD. Wenn die AfD manches übernimmt, kann ich das nicht verhindern. Für die Schlüsse, die sie daraus zieht, bin ich nicht verantwortlich. Diese Kritik ist gefährlich, sie entspricht der Haltung von politischer Korrektheit, die freie Meinungen unterdrückt, eine sachliche Auseinandersetzung mit Themen verhindert und den Radikalen überlässt.

    Läuft man nicht trotzdem Gefahr, Menschen pauschal zu verdächtigen?

    Ghadban: Nicht jedes Clan-Mitglied ist kriminell, aber alle Clan-Mitglieder halten zusammen. Polizei und Justiz stoßen ständig auf eine Mauer des Schweigens, das erschwert die Arbeit der Verfolgungsbehörden. Der Tatbestand der Komplizenschaft ist zwar gegeben, im Einzelfall aber schwer zu belegen. Aus diesem Grund entsteht unbeabsichtigt ein Eindruck von Generalverdacht.

    Existieren Clan-Strukturen auch in anderen Kulturen?

    Ghadban: Man findet sie auch bei den Tschetschenen, den Albanern und den Kosovaren. Es sind Familienstrukturen, die aus der Heimat mitgebracht werden und ihre Effizienz im kriminellen Bereich am Beispiel der Mhallamiye gezeigt haben. Die Gefahr der Nachahmung ist damit gegeben.

    Auffällig ist, dass sich Clan-Strukturen auf bestimmte Gebiete beschränken. Weshalb findet man sie nicht in Stuttgart und München?

    Ghadban: Wenn ein Flüchtling einen Asylantrag stellt, wird er im Rahmen des Asylverfahrens auf die Länder nach bestimmten Quoten verteilt, deshalb finden wir die Mhallamiye vereinzelt in allen Ländern. In den Bundesländern Berlin, Bremen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen haben sie jedoch eine große Konzentration, weil dort öfter die regierende SPD einen Abschiebestopp aus humanitären Gründen verhängt hat. In diesem Fall erhält der Flüchtling auf Antrag eine Duldung, er gelangt nicht in das Asylverfahren und in das Verteilungssystem. Er bleibt da, wo er die Duldung erhalten hat.

    Wie viele Clan-Mitglieder gibt es heute in Deutschland?

    Ghadban: Nach Schätzungen des Bundeskriminalamts umfasst diese Gruppe mittlerweile 200.000 Mitglieder – und das Problem wächst buchstäblich. Nachdem Clans festgestellt haben, dass Gruppenauftritte wirken, versuchen sie, die Gruppe zu vergrößern. Ihre Geburtenraten sind geradezu astronomisch. Familien mit zwölf, 14 oder 16 Kindern sind keine Seltenheit. Die Geburtenrate der Mhallamiye ist in Deutschland viel höher als im Libanon.

    Halten Sie eine Ausdehnung der Clan-Strukturen nach Süddeutschland für möglich?

    Ghadban: Durch Kontakte weiß ich, dass die Konzentration der Mhallamiye in Stuttgart wächst. Ein Hinweis darauf ist ihr Wunsch, dort eine eigene Moschee zu gründen. In Berlin, Essen und Bremen haben sie bereits welche, sogar in Malmö in Schweden. Eine größere Gefahr sehe ich aber in den neu ankommenden Flüchtlingen aus Nordafrika und dem Nahen Osten, die selbst Clan-Strukturen mitbringen und von den existierenden Netzwerken in Deutschland profitieren. Durch die Familienzusammenführungen, die noch intensiver werden, haben sie bald schon die Möglichkeit, ihre Clan-Strukturen auch in anderen Regionen aufzubauen.

    Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier .

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden