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Migration: Italiens einstigem Wunderkind Matteo Salvini wird der Prozess gemacht

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Italiens einstigem Wunderkind Matteo Salvini wird der Prozess gemacht

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    Will "erhobenen Hauptes" in den Prozess gehen: Matteo Salvini.
    Will "erhobenen Hauptes" in den Prozess gehen: Matteo Salvini. Foto: Laszlo Balogh, dpa

    Dieser Samstag ist ein wichtiger Tag für Matteo Salvini. In Palermo muss sich der ehemalige italienische Innenminister wegen Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauch vor Gericht verantworten. Der Prozess gegen Salvini begann im September und wurde gleich wieder vertagt. Es geht um eine der Hafenblockaden, mit denen Salvini im Jahr 2019 Politik machte. So wollte der Lega-Politiker damals andere EU-Staaten zur Aufnahme von Flüchtlingen zwingen. Salvini, der auch sonst in politischen Schwierigkeiten steckt, verstand das als Dienst am Vaterland.

    Damals, im August hinderte der damalige Innenminister das Rettungsschiff der katalanischen Organisation Open Arms sieben Tage lang daran, den Hafen von Lampedusa anzulaufen. Drei Wochen insgesamt irrte das Boot der von Oscar Camps geführten Organisation im Mittelmeer herum. Die Aufforderung, in Spanien oder Malta anzulegen, lehnte Open Arms ab. Die Blockade vor Lampedusa war dann der Gipfel. Einige der rund 150 Migranten sprangen aus Verzweiflung von Bord. Erst als die Staatsanwaltschaft die Landung anordnete, gab Salvini nach. Das hat nun juristische Konsequenzen.

    Salvini will den Gerichtssaal zur Bühne machen

    Doch der Ex-Innenminister gibt sich alles andere als kleinlaut. Er bezeichnete den Prozess gegen ihn, bei dem ihm bis zu 15 Jahre Haft drohen, als „politisch“. Die Open Arms sei ein „Piratenschiff“. Das passte zur Interpretation, die Seenothelfer förderten in Wirklichkeit die illegale Immigration. Aber der 48-Jährige setzte noch einen drauf. „Ich danke denjenigen, die mich in einen Prozess schicken: Sie tun mir einen Gefallen“, sagte er, als der Senat im vergangenen Jahr seine Immunität aufhob. Der Politiker nutzt seine Anklage als Bühne.

    Migranten aus verschiedenen afrikanischen Ländern auf einem überfüllten Schlauchboot vor der libyschen Küste. Helfer der spanischen NGO "Open Arms" hatten sie zuvor gerettet.
    Migranten aus verschiedenen afrikanischen Ländern auf einem überfüllten Schlauchboot vor der libyschen Küste. Helfer der spanischen NGO "Open Arms" hatten sie zuvor gerettet. Foto: Pablo Tosco, AP/dpa

    Schon einmal hat diese Strategie gefruchtet. Im August stellte ein Gericht in Catania ein ähnlich gelagertes Verfahren gegen Salvini ein. Es ging um die Hafenblockade von 116 Migranten auf dem Schiff der Küstenwache „Gregoretti“, das im Juli 2019 in den Hafen von Augusta einlaufen wollte und vom Innenminister daran gehindert wurde. In einem Vorverfahren waren Ex-Ministerpräsident Giuseppe Conte, der die damalige Populisten-Regierung führte, sowie die Minister für Äußeres, Inneres und Verkehr vernommen worden.

    Richard Gere soll im Prozess aussagen

    Der Untersuchungsrichter stellte fest, Salvini habe im Einvernehmen mit den anderen Regierungsmitgliedern gehandelt. Salvinis Anwältin, die Lega-Politikerin Giulia Bongiorno, ist zuversichtlich, dass das Gericht in Palermo sich an der Entscheidung aus Catania orientiert. Die Staatsanwaltschaft beantragte auch im Fall Open Arms die Vernehmung der damaligen Kabinettsmitglieder. Zudem soll Berichten zufolge auch der Hollywood-Schauspieler Richard Gere aussagen. Er hatte sich damals auf der Open Arms über die Lage der Flüchtlinge informiert.

    Salvini spottete im September: „Ich kenne ihn als Schauspieler, aber ich verstehe nicht, welche Lektion er mir erteilen will.“ Wenn jemand aus dem Prozess ein Schauspiel machen möchte und Richard Gere sehen wolle, dann solle er ins Kino gehen und nicht in den Gerichtssaal. Der Verdacht besteht allerdings, dass Salvini den Prozess für eigene Zwecke auszunutzen versucht. Die Blockadepolitik von 2019 war bei der italienischen Bevölkerung äußerst populär, die Lega erreichte bei der EU-Wahl im selben Jahr den Spitzenwert von 34 Prozent. Inzwischen liegt die Partei laut Umfragen bei rund 19 Prozent.

    Salvini ist in der Regierung, spielt aber Opposition

    Der Gerichtssaal ist auch eine willkommene Bühne für den Volkstribun, dessen politische Karriere derzeit am seidenen Faden hängt. Alles begann, als sich der Ex-Innenminister erstmals verspekulierte. Er provozierte im Sommer 2019 den Bruch der Koalition mit der Fünf-Sterne-Bewegung und hoffte angesichts der guten Umfragewerte auf Neuwahlen. Salvini forderte „alle Vollmachten“, allein die Neuwahlen kamen nicht. Stattdessen koalierten die Sterne fortan mit den Sozialdemokraten. Es folgte die Pandemie und seit Februar die Einheitsregierung unter Premier Mario Draghi.

    Italiens Ministerpräsident Mario Draghi sitzt seit Februar an der Spitze der Regierung.
    Italiens Ministerpräsident Mario Draghi sitzt seit Februar an der Spitze der Regierung. Foto: Roberto Monaldo, LaPresse/AP/dpa

    Auch Salvinis Lega ist beteiligt, weil Teile des Partei-Establishments und der alte Wählerstamm in Norditalien vor allem den wirtschaftlichen Aufschwung im Auge haben. Seither wagt Salvini einen unmöglichen Spagat. Er verhält sich wie ein Oppositionspolitiker, ist aber (ohne Amt) an der Regierung beteiligt. Die einzige echte Oppositionspartei, die postfaschistischen „Fratelli d’Italia“, hat die Lega in Umfragen überholt.

    Die Wähler suchen sich eine Alternative

    Salvini hatte die Lega von einer separatistischen Splitterpartei in eine rechtspopulistische Kraft verwandelt. Während der Pandemie gewannen nun aber die gemäßigten Kräfte in der Partei wie Wirtschaftsminister Giancarlo Giorgetti wieder die Oberhand. Sie fechten Salvinis Führung immer offener an und wollen die Lega auf einen Kurs der Mitte führen. Denn dort ist mit dem Niedergang Silvio Berlusconis und Premier Mario Draghi als Überfigur plötzlich politischer Spielraum da.

    Italiens Umgang mit den Seenotrettenden

    Zwischen 2015 und März 2021 hatten nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration fast 350.000 Menschen Italien über den Seeweg erreicht.

    Vor sechs Jahren war das italienische Seenotrettungsprogramm "Mare Nostrum" beendet worden. Inzwischen beteiligen sich neun große nichtstaatliche Organisationen, darunter Sea-Watch und Proactiva Open Arms, an der zivilen Seenotrettung und sind mit Schiffen im Mittelmeer unterwegs. Das internationale Seerecht verpflichtet grundsätzlich jede Kapitänin und jeden Kapitän zur Rettung, die auf hoher See in Not geraten sind. Die Geretteten müssen in einen sicheren Hafen gebracht werden.

    Der Gründer von SOS MEDITERRANEE, Klaus Vogel, sprach in einem Interview, das auf dem Blog der UNO Flüchtlingshilfe erschien, davon, dass die Retterinnen und Retter in den Jahren 2016 und 2017 bei ihren Einsätzen Hilfe erfahren hätten. Im Jahr 2018 habe sich das geändert.

    Der damalige Innenminister Matteo Salvini hat zwischen Juni 2018 und August 2019 immer wieder Rettungsschiffen der Organisationen die Einfahrt in Häfen verboten und Geldbußen verhängt.

    Die amtierende Innenministerin Luciana Lamorgese, die ihr Amt 2019 antrat, lässt Schiffe der Organisationen festsetzen.

    Salvini hingegen kämpft um sein politisches Überleben, von allen Seiten kommt Gegenwind. Sein Kommunikationsberater Luca Morisi wurde kürzlich mit Drogen und bei einer Orgie mit Männern erwischt. Die Wähler wandern langsam ab. Die Kommunalwahlen in diesem Monat, bei denen die Rechte die vier großen Städte Rom, Mailand, Turin, Neapel und Bologna nicht gewinnen konnte, gaben Salvini den Rest. Die Tage aus dem Sommer 2019, als der Innenminister Salvini mit Schiffsblockaden ganz Europa schockierte, wirken, als seien sie seit einer Ewigkeit vorbei.

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