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Augsburg: Migranten wohl bald in Mehrheit - Ängste sind unbegründet

Augsburg

Migranten wohl bald in Mehrheit - Ängste sind unbegründet

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    Integration heißt auch, sich zu einem Land zu bekennen.
    Integration heißt auch, sich zu einem Land zu bekennen. Foto: Sebastian Kahnert/dpa

    Sie sagen, Augsburg wird eine der ersten Städte sein, in denen die „Einheimischen“ zur Minderheit werden. Wie kommen Sie zu dieser Prognose?

    Schneider: Das sagen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Neben Augsburg werden auch in Frankfurt und Stuttgart die Mehrheitsverhältnisse innerhalb der nächsten Jahre kippen. Schon jetzt machen die ethnischen Deutschen hier weniger als 60 Prozent aus – und der Trend setzt sich mit den Kindern fort. Praktisch in allen größeren deutschen Städten haben schon heute mehr als die Hälfte der Sechsjährigen einen Migrationshintergrund.

    Für viele Leute ist es eine schlimme Vorstellung, im eigenen Land zur Minderheit zu werden. Woher kommt diese Angst?

    Schneider: Sie resultiert aus Denkfehlern. Wir zählen zu den „Ausländern“ nach wie vor ja auch die Kinder und sogar Enkel von Zuwanderern aus den 60ern. Dabei fühlen diese sich selbst längst als Deutsche, haben oft einen deutschen Pass und führen ein deutsches Leben. Außerdem steckt hinter der Angst die Annahme, dass an die Stelle der Einheimischen eine neue Mehrheit tritt.

    Islamisierung des Abendlandes ist laut Schneider Unsinn

    Ist das nicht so?

    Schneider: Nein, weil diese Mehrheit ja nicht aus einer Gruppe, sondern aus vielen verschiedenen Minderheiten besteht. Deshalb ist auch das Gerede von der Islamisierung des Abendlandes Unsinn.

    Mit dem Wirtschaftswunder kamen die „Gastarbeiter“. Schon der Name sagte, dass diese Leute nur zu Gast sein sollen. Hatten wir von Anfang an eine falsche Vorstellung von Zuwanderung?

    Schneider: Ja und nein. Denn am Anfang wollten ja die meisten Türken oder Italiener tatsächlich wieder in ihre Heimat zurück und sehr viele sind ja auch zurückgekehrt. Aber spätestens, als dann immer mehr von ihnen ihre Familien nachgeholt und als dann auch die Unternehmen gesagt haben, dass sie ihre Mitarbeiter behalten wollen, hätte man umdenken müssen.

    Heute herrscht zumindest Einigkeit darüber, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist.

    Schneider: Aber den meisten Leuten ist nicht klar, was das bedeutet. Nämlich, dass sich dieses Land verändern wird.

    Viele Menschen wollen einfach nur, dass alles so bleibt, wie es ist. Warum geht das nicht?

    Schneider: Auch diese Menschen wollen nicht wirklich, dass alles so bleibt, wie es ist. Wir kaufen immer modernere Autos, wir hören andere Musik als früher, wir essen anders, wir kleiden uns anders, wir wollen schnelles Internet, wir reisen in fremde Länder. Wir alle verändern uns doch ständig. Wie viel hat mein Deutschland denn noch gemeinsam mit dem Deutschland meiner Großmutter? Es ist nicht die Veränderung an sich, die Angst macht. Es ist die Frage, wie die Veränderung empfunden wird. Seit 50 Jahren wird uns um die Ohren gehauen, dass Zuwanderung ein Problem ist. Auch in der Flüchtlingskrise dreht sich ja alles darum, dass die Leute nicht zu uns kommen sollen. Da ist es logisch, wenn die Menschen eher das Negative als das Positive sehen.

    Integration heißt, sich zu einem Land zu bekennen

    Wie geht Integration, wenn eine Gesellschaft aus lauter Minderheiten besteht? Wer passt sich da wem an?

    Schneider: Wir verstehen Integration immer noch so, dass man vorne einen Sprachkurs reinkippt und hinten dann Deutsche rauskommen. Integration heißt aber eben nicht, dass die Leute nicht mehr ihre Sprache sprechen oder ihren Glauben leben sollen. „Deutsch sein“ muss stattdessen bedeuten, dass es ein Bekenntnis zu diesem Land gibt und die Grundwerte und Gesetze angenommen werden. Und da dürfen und müssen wir natürlich eine Anpassung verlangen.

    Aber wer kein Deutsch kann, wird sich auch nicht integrieren, oder?

    Schneider: Entscheidend ist die zweite Generation, die hier aufwächst. Diese jungen Menschen bilden das Scharnier zwischen der Vergangenheit ihrer Familien und der Zukunft in Deutschland. Wir verlangen von der ersten Generation zu viel und von der zweiten zu wenig. Diese muss sich klar zu Deutschland bekennen. Das heißt aber, dass auch wir uns klar bekennen und sagen: Ihr gehört hierher, ihr gehört zu uns. In den USA ist das ganz selbstverständlich.

    Was bedeuten die islamistischen Terroranschläge für die Integrationsfähigkeit unseres Landes?

    Schneider: Natürlich ist das Gift. Das können wir beklagen. Oder wir tun etwas dagegen. Eine weitere Ausgrenzung von Muslimen wird jedenfalls die Radikalisierung eher verstärken als verhindern.

    Was halten Sie von dem geplanten neuen Gesetz, das Zuwanderer zur Integration zwingen soll?

    Schneider: Pauschale Maßnahmen sind immer schwierig. Nehmen wir die Wohnsitzauflage. Was bringt es, wenn die Flüchtlinge großflächig auf das ganze Land verteilt werden, dann aber irgendwo landen, wo es gar keine Jobs und Perspektiven für sie gibt?

    Mit der Wohnsitzauflage will die Regierung verhindern, dass Zuwanderer in bestimmten Stadtteilen in Parallelgesellschaften leben ...

    Schneider: Es ist doch grundsätzlich nicht verwerflich, wenn Menschen in einem fremden Land gerne unter Landsleuten sind. Das würde ich nicht automatisch als Parallelgesellschaft bezeichnen, zumal diese Viertel eine sehr wichtige Integrationsfunktion haben können.

    Perspektiven und Grenzen gleichzeitig aufzeigen

    Die Attentäter von Frankreich und Belgien konnten im Brüsseler Problemviertel Molenbeek unbehelligt Anschläge planen. Solche Stadtteile gibt es auch in Deutschland. Wie lässt sich verhindern, dass sich dort Menschen ohne Perspektive kriminalisieren?

    Schneider: Indem man ihnen eine Perspektive gibt, gleichzeitig aber auch ganz klar Grenzen aufzeigt. Das hat auch etwas mit Polizeipräsenz zu tun.

    Angesichts von Terror, brennenden Asylunterkünften und Pegida klingt Ihre Vision von einem bunten Zusammenleben ein bisschen naiv.

    Schneider: Ich sage ja nicht, dass es keine Defizite gibt. Aber die liegen zum Teil eben auch auf unserer Seite. Wenn es schiefgeht, dann liegt das auch daran, dass man es herbeigeredet hat. Wir warten immer darauf, dass sich alle schön integrieren und erst dann gehen wir auf die Leute zu. Aber es muss genau andersherum laufen. Der Innenminister sagt, wer sich gut integriert, darf dauerhaft bleiben. Das ist verkehrt herum gedacht. Wir müssen den Leuten einen dauerhaften Aufenthalt anbieten, damit sie sich integrieren können und wollen.

    Also ist Integration auch eine Frage von Ausdauer und Geduld?

    Schneider: Auf jeden Fall! Da fehlen uns auch eine gewisse Entspanntheit und Selbstbewusstsein. Unsere deutsche Kultur ist so attraktiv. Also ist es sehr wahrscheinlich, dass sich spätestens die Kinder und Enkel gar nicht mehr groß unterscheiden wollen. Und das vielfältige Zusammenleben funktioniert ja offensichtlich. Nehmen wir Augsburg. Das ist doch keine Problemstadt, obwohl schon jetzt fast die Hälfte der Bürger einen Migrationshintergrund hat. Das ist doch keine Stadt, in der man Angst haben muss. Und wenn man die Leute fragt, wie das Zusammenleben in Augsburg funktioniert, klingt das relativ entspannt.

    Zur Person: Jens Schneider ist Integrationsforscher an der Universität Osnabrück. Er ist einer der Autoren des Buches „Generation Mix – die superdiverse Zukunft unserer Städte und was wir daraus machen“.

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