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Merkel-Ansprache: Eine Kanzlerin am Rande der Erschöpfung

Merkel-Ansprache

Eine Kanzlerin am Rande der Erschöpfung

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    Merkel zu den Bluttaten: «Es werden zivilisatorische Tabus gebrochen.»
    Merkel zu den Bluttaten: «Es werden zivilisatorische Tabus gebrochen.» Foto: Wolfgang Kumm (dpa)

    Erschöpft? Sie? Angela Merkel ist keine Frau, die gerne über ihre ganz persönliche Befindlichkeit redet – schon gar nicht in so schwierigen Zeiten wie im Moment, wo ihr bereits zwei, drei Urlaubstage auf ihrer Datscha im Brandenburgischen als Flucht vor den Problemen der Republik ausgelegt werden. Die Frage, ob sie sich nach den Ereignissen der vergangenen Wochen, den Attentaten von Würzburg, München und Ansbach, dem Terror in Frankreich und dem Putsch gegen den Putsch in der Türkei erschöpft fühle, beantwortet die Kanzlerin deshalb nicht mit einem einfachen Ja oder Nein, sondern mit einem dieser typischen Merkel-Sätze, die alles offenlassen. „Abends gehe ich schon manchmal ganz gern ins Bett und schlafe“, erzählt sie. Erschöpfung würde sie das zwar nicht nennen. „Aber ich bin gut ausgelastet.“

    Berlin, Bundespressekonferenz. Bei ihrem letzten Auftritt hier, Ende August vergangenen Jahres, ist der Satz gefallen, der sie bis heute verfolgt: „Wir schaffen das“, versprach sie damals. „Und wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden.“ Das mit dem Überwinden hat in den Augen ihrer Kritiker bisher zwar noch nicht wirklich funktioniert, die Kanzlerin aber ist auch elf Monate danach nicht bereit, ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik zu korrigieren: „Ich stehe zu den Grundentscheidungen, die wir damals getroffen haben.“ Entscheidungen, das nur nebenbei, die sie nicht alleine gefällt habe, sondern „wir alle“, wen immer sie damit noch meint. (Pressestimmen Das sagt die Presse zur Merkel-Ansprache)

    "Wir schaffen das"

    Ja, räumt sie ein, auf den Flüchtlingsrouten seien auch Terroristen nach Europa gekommen. Ein Land wie Deutschland aber dürfe sich seiner humanitären Verantwortung nicht entziehen. Und für die, die es noch immer nicht einsehen mögen, zitiert sie sich sicherheitshalber selbst noch einmal: „Wir schaffen das.“ Wo andere ihre liberale Flüchtlingspolitik für das Epizentrum der jüngsten Attentate halten, trennt Angela Merkel strikt: Hier die Aufnahme von Menschen in Not, eine humanitäre Pflicht und zugleich ein Prozess, der noch dauern werde, in dem aber schon viel erreicht worden sei. Dort der Terror, der jetzt auch nach

    „Wir befinden uns in keinem Krieg gegen den Islam“, wehrt sie ab, auch wenn es sich bei den Attentaten von Würzburg und Ansbach zweifelsfrei um islamistischen Terror handle. Erschütternd, bedrückend und auch deprimierend empfinde sie dies, sagt Merkel. Zwei Männer, die als Flüchtlinge in die Bundesrepublik gekommen seien, hätten dort nur Angst, Tod und Schrecken verbreitet, Hass zwischen Kulturen und Religionen gesät und zivilisatorische Tabus gebrochen. In einem Satz: „Sie verhöhnen das Land, das sie aufgenommen hat.“

    Seehofer: "In all unseren Prophezeiungen recht bekommen"

    Dem Ruf aus der CSU nach neuen, schärferen Gesetzen will sie sich allerdings noch nicht beugen. Dazu, findet die Kanzlerin, solle jetzt erst einmal der Innenminister seine Vorschläge machen. Nur ganz allgemein räumt sie ein, dass das Personal bei den Polizeibehörden und den Nachrichtendiensten womöglich noch stärker aufgestockt werden muss als ohnehin schon geplant, dass die neue Eingreiftruppe zur Entschlüsselung von Internet-Kommunikation etwas zügiger aufgebaut werden muss, dass die EU-Länder ihre Informationen besser untereinander austauschen müssen und abgelehnte Asylbewerber schneller in die sicheren Regionen Afghanistans oder nach Nordafrika abgeschoben werden müssen. Neun solcher Punkte hat sie sich für diese Pressekonferenz aufgeschrieben, für die sie eigens ihren Urlaub unterbrochen hat, vieles davon aber ist politisch unstrittig oder schon in Arbeit.

    Ob ihre neun Punkte schon reichen, die Zweifler zu besänftigen, von denen es auch in der Union jede Menge gibt? „Wir haben in all unseren Prophezeiungen recht bekommen, besonders in der Sicherheitspolitik“, hat CSU-Chef Horst Seehofer gerade erst geklagt. Zuversicht und ein Bekenntnis zu Friedfertigkeit könnten den inneren Frieden im Land nicht herstellen. Der Bayernkurier, das Zentralorgan der Schwesterpartei, formuliert es noch drastischer: „Deutlich wird vor allem, welchen Sicherheitsrisiken uns die Kanzlerin mit ihren offenen Grenzen und Armen ausgeliefert hat.“ Merkel selbst zieht sich diesen Schuld-Schuh nicht an. Deutschland und Europa stünden vor einer großen, geradezu historischen Bewährungsprobe, argumentiert sie, und nie habe sie behauptet, dass man das alles irgendwie nebenbei erledigen könne. „Ich habe das Gefühl“, sagt die Kanzlerin, „verantwortlich und richtig zu handeln.“

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