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Meinung: Zu alt für eine zweite Amtszeit? Für Gauck gilt das nicht

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Zu alt für eine zweite Amtszeit? Für Gauck gilt das nicht

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    Bundespräsident Joachim Gauck muss sich entscheiden. Zwei von drei Deutschen wünschen sich, dass er noch einmal kandidiert. Die Frage ist nur, ob auch er das will.
    Bundespräsident Joachim Gauck muss sich entscheiden. Zwei von drei Deutschen wünschen sich, dass er noch einmal kandidiert. Die Frage ist nur, ob auch er das will. Foto:  Maurizio Gambarini/Archiv (dpa)

    An Giorgio Napolitano hat Joachim Gauck in den vergangenen Wochen oft gedacht. Der frühere italienische Präsident war schon fast 88 Jahre alt, als er noch einmal für eine zweite Amtszeit kandidierte. Mitten in einer heftigen innenpolitischen Krise sehnte sich das Land nach Kontinuität, nach einem besonnenen, verlässlichen Menschen wie ihm – und Napolitano verstand. Obwohl er sich eigentlich ins Private hatte zurückziehen wollen, trat er wieder an.

    Joachim Gauck ist zwar erst 76, aber in einer ähnlichen Situation. Die Macht der Kanzlerin erodiert, das Erstarken der rechtspopulistischen AfD droht die politische Statik der Republik gerade nachhaltig zu verändern – da ist es gut zu wissen, dass in Schloss Bellevue jemand sitzt, der das Vertrauen der Menschen hat und gelegentlich ein kritisches Auge auf die Tagespolitik wirft. Einer, der Deutschland guttut. Zwei von drei Bundesbürgern wünschen sich deshalb, dass Gauck weitermacht – nur er selbst, so scheint es, ringt noch mit sich.

    Eine zweite Amtszeit birgt ja auch die Gefahr, das Niveau der ersten nicht halten zu können, weniger Gehör zu finden, sich in Routinen zu verlieren und irgendwann auch den körperlichen Strapazen des Amtes nicht mehr gewachsen zu sein. Die Lösung, die der Kollege Napolitano für sich gefunden hat, der keine zwei Jahre nach seiner Wiederwahl wieder zurücktrat, hat Gauck für sich bereits ausgeschlossen. Wenn er im Februar 2017 noch einmal antritt, dann will er auch die vollen fünf Jahre durchhalten. Das höchste Staatsamt einfach hinzuwerfen, wie sein Vorgänger Horst Köhler es getan hat, verträgt sich nicht mit seinem preußischen Verständnis von Verantwortung.

    Die Freiheit, all die Aufforderungen zu einer neuerlichen Kandidatur zu ignorieren, hat er – gemessen an den eigenen Ansprüchen aber muss Gauck seinen Vertrag mit den Deutschen fast zwangsläufig verlängern. Freiheit definiert er gerne als Freiheit zur Verantwortung, als Chance, sich einzubringen, mitzureden und sein Land so auch mitzugestalten. Aus dieser Freiheit jedoch, die er in der DDR nicht hatte, leitet sich zugleich die staatsbürgerliche Pflicht ab, das Seine dann auch zu leisten, zumal in unruhigen Zeiten wie im Moment, in denen die Sehnsucht nach Kontinuität im Präsidialamt nicht geringer ist als vor drei Jahren in Italien.

    So gesehen gibt es eigentlich keine Alternative zu Joachim Gauck. Er weiß die großen politischen Lager hinter sich, er ist populär wie lange kein Bundespräsident mehr, und er spürt vielleicht stärker als andere, wie sehr in der Flüchtlingskrise die Ansprüche der Menschen an die Menschen, die sie vertreten, gewachsen sind. Ein monatelanges Gezerre um seine Nachfolge würde am Ende nur den Rechtspopulisten in die Karten spielen, deren Erfolg nicht zuletzt auf dem allgemeinen Verdruss über die etablierten Parteien fußt, die sich angeblich viel zu viel mit sich selbst beschäftigen und viel zu wenig mit den Problemen draußen im Land.

    Auch deshalb sollte er die Bekanntgabe seiner Entscheidung jetzt nicht noch weiter hinauszögern. Gelebte Verantwortung bedeutet frei nach Gauck auch, mit sich selbst ins Reine zu kommen, andere nicht unnötig hinzuhalten und die P-Frage auch nicht zu taktisch anzugehen. Ja, er wäre bei seiner Wiederwahl mit 77 Jahren der mit Abstand älteste Präsident, den die Bundesrepublik je hatte – aber er wäre noch immer acht Jahre jünger als Konrad Adenauer, als er sich 1961 noch einmal zum Bundeskanzler wählen ließ. Wenn Joachim Gauck sich also gesund genug fühlt, ist das schiere Alter alleine sicher kein Grund, auf eine zweite Amtszeit zu verzichten. Giorgio Napolitano hat sich diese Frage jedenfalls nicht gestellt.

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