Herr Maio, am Donnerstag diskutiert der Bundestag darüber, ob ein Bluttest, der das Down-Syndrom erkennt, von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden muss. Wie würden Sie entscheiden?
Giovanni Maio: Der Test an sich ist nicht das Problem – er ist sogar eher eine Hilfe für Schwangere, weil sie dadurch einen invasiven Pränataltest zunächst vermeiden können. Es geht aber auch gar nicht darum, den Bluttest zu verteufeln, sondern einen kritischen Umgang mit ihm anzumahnen. Denn das gefährliche an diesem Test ist seine scheinbare Harmlosigkeit. Er vermittelt den Eindruck, als sei die Untersuchung eine Bagatelle. Das Gegenteil ist aber der Fall: Es ist eine sehr schwerwiegende Untersuchung. Denn sie stellt die Frauen vor eine Entscheidung über Leben und Tod.
Was heißt das in der Konsequenz?
Maio: Wir müssen uns fragen: Wie verändert dieser Test unsere Wahrnehmung von Menschen mit Behinderung? Wie blicken wir künftig auf schwangere Frauen? Entsteht ein Automatismus: Wenn der Test schon so einfach ist, wäre es da nicht vernünftig, ihn immer vorzunehmen. Damit wird er zur Standardleistung in der Vorsorge. Und davor warne ich. Je leichter die Testmöglichkeiten sind, desto mehr müssen wir das Recht der Frauen auf Nicht-Wissen neu verteidigen. Frauen müssen für sich die Freiheit reklamieren, ob sie etwas wissen oder nicht wissen möchten. Aber je leichter die Testmöglichkeiten sind, desto eher entsteht eine soziale Erwartung, ein gesellschaftlicher Druck.
Gibt es diese Erwartung nicht schon längst? Die medizinische Betreuung während der Schwangerschaft ist umfassend.
Maio: Das ist richtig. Deshalb sehe ich nicht in dem Bluttest einen Dammbruch. Der Damm bricht dort, wo so getan wird, als wäre es unvernünftig nicht zu testen. Der Dammbruch ist das Denken, nicht die Möglichkeit des Testens. Je leichter eine medizinische Maßnahme verfügbar ist, desto mehr geraten Frauen in Rechtfertigungsnot, wenn sie ihn nicht wollen. Eine Blutabnahme wird als Bagatelle wahrgenommen – und hier liegt der Fehler. Der Bluttest muss unbedingt eine Ausnahmediagnostik bleiben, und für diese Ausnahme muss die Kasse zahlen.
Der Test ist also viel mehr als nur eine medizinische Maßnahme?
Maio: Die Pränataldiagnostik nährt die Vorstellung, dass man sich ein gesundes Kind aussuchen könnte. Und das ist ein ganz großes Problem. Aus der Hilfe für Frau und Kind kann ganz schnell eine Entscheidung gegen das Kind werden - damit wird der Sinn der Pränatalmedizin regelrecht umgedreht. Eine Gesellschaft, die den Schwangeren aufsuggeriert, dass es unvernünftig ist, nicht nach Kindern mit Behinderungen zu fahnden, um sie auszumustern, ist für mich eine inhumane Gesellschaft. Ein Kind mit Behinderung ist keine Panne im Reproduktionsmanagement und auch kein vermeidbares Übel, das man dummerweise übersehen hat. Ein Kind mit Behinderung ist Ausdruck der Vielfalt unserer Gesellschaft. Deshalb müssen wir die Frauen, die sich für die Austragung dieser Kinder entscheiden, unterstützen. Das geht, indem wir Gesprächsangebote machen - nicht aber durch die Nichtübernahme von Kosten. Indem wir den Test nicht bezahlen, haben wir nichts erreicht. Wir müssen in eine gute Beratung investieren - vor dem Test und nach dem Test. Es darf nicht der Automatismus greifen: Ein positives Testergebnis bedeutet automatisch die Abtreibung.
Das heißt, Sie würden sich nicht gegen eine Kostenübernahme der Krankenkassen aussprechen?
Maio: Aber nein! Wir müssen nur dafür sorgen, dass er nicht als Screeningmethode bezahlt wird, sondern für den Einzelfall, für Risikoschwangere. Damit wird ein Signal gesendet, dass es nicht um eine Fahndung nach Trisomie geht, sondern um individuelle Hilfe für die Schwangere.
Verstehen Sie den Einwand, dass nicht die Gesamtheit der Versicherten aufkommen sollte für den Test?
Maio: Nein, das finde ich nicht richtig. Der Sinn der Pränataldiagnostik besteht vor allem darin, Schwangeren zu helfen, sich auf die Schwangerschaft einzustellen. Das müsste auch der Sinn dieses Tests sein.
Sehen Sie in der Gesellschaft ein wachsendes Bedürfnis, alle Eventualitäten auszuschließen?
Maio: Wir haben einen gesellschaftlichen Trend, der sich gegen die Schwangere richtet, weil im Grunde von der Schwangeren kollektiv erwartet wird, mit allen Mitteln nur ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. Und wenn das nicht gelingt, gilt das als Versagen der Schwangeren. Das ist ein enormer Rückschritt. Nun ist es ganz normal, dass Eltern sich ein gesundes Kind wünschen und darauf hoffen, dass der Arzt dabei helfen kann. Aber die Medizin muss verdeutlichen, dass ein genetischer Test nichts über das Wesen des Menschen aussagt. Ob das Kind mit Trisomie 21 glücklich wird oder nicht, hängt nicht von seinem Genbefund ab, sondern davon, wie wir ihm begegnen, wie wir es willkommen heißen. Die Gesellschaft darf ein Kind nicht auf seinen Genbefund reduzieren.
Das wirkt fast paradox - immerhin geht unsere Gesellschaft doch grundsätzlich davon aus, dass sie offen ist im Umgang mit Behinderten.
Maio: Es ist ein Widerspruch: Es gibt Inklusions-Debatten für geborene Menschen und eine Exklusions-Praxis für ungeborene Menschen. Im Sinne der Inklusion müssen wir als Gesamtgesellschaft verdeutlichen, dass die Entscheidung der Schwangeren für ein Kind mit Behinderung als eine gute Entscheidung geschätzt wird. Stattdessen erwarten wir von Frauen, dass sie keine Kinder mit Behinderung auf die Welt zu bringen haben.
Zur Person: Giovanni Maio, 55, ist Professor für Bioethik an der Universität Freiburg. 2002 wurde er in die Zentrale Ethikkommission für Stammzellenforschung berufen. Er kritisiert die zunehmende Kommerzialisierung der Medizin. Maio ist Autor mehrerer Bücher, unter anderem „Geschäftsmodell Gesundheit“.
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