Die Zwickauer Terrorzelle - Chronologie der Ereignisse
Freitag, 4. November: Am Vormittag überfallen zwei Männer eine Bank im thüringischen Eisenach und fliehen. Während der Fahndung stoßen Polizisten auf zwei Leichen in einem Wohnmobil. Beamte hatten Hinweise erhalten, dass ein Caravan bei dem Überfall eine Rolle gespielt haben könnte.
Samstag, 5. November: Ermittler untersuchen die Schusswaffen, die in dem Wohnmobil gefunden wurden.
Montag, 7. November: Unter den Pistolen im Wohnwagen sind die Dienstwaffen der im April 2007 in Heilbronn getöteten Polizistin Michele Kiesewetter und ihres schwer verletzten Kollegen. Die später identifizierten Männer Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, deren Leichen entdeckt wurden, sollen den Banküberfall begangen haben. Sie sollen zusammen mit einer Frau in einer Wohnung in Zwickau gelebt haben, die wenige Stunden nach dem Banküberfall explodiert war. Nach der Frau, Beate Zschäpe, wird gefahndet.
Dienstag, 8. November: Die bundesweit gesuchte Beate Zschäpe stellt sich der Polizei in Jena. Spekulationen kommen auf, dass die mutmaßlichen Bankräuber eine Verbindung in die Neonazi-Szene gehabt haben könnten. Sie und die verdächtige Frau sollen in Thüringen als rechtsextreme Bombenbauer in Erscheinung getreten sein.
Mittwoch, 9. November: Zschäpe sitzt in U-Haft und schweigt. Nach Aussage von Thüringens Innenminister Jörg Geibert hatten die Männer bis 1998 Verbindungen zum rechtsextremen Thüringer Heimatschutz - danach jedoch nicht mehr. Polizei und Staatsanwaltschaft in Sachsen machen die Frau zunächst nur für die Explosion des Wohnhauses in Zwickau verantwortlich.
Donnerstag, 10. November: In den Trümmern des abgebrannten Hauses in Zwickau werden weitere Schusswaffen gefunden.
Freitag, 11. November: Es ist die spektakuläre Wende in dem Fall: Unter den Waffen ist die Pistole, mit der zwischen 2000 und 2006 neun Kleinunternehmer erschossen wurden - Türken, ein Grieche und Deutsche mit Migrationshintergrund. Außerdem entdecken Fahnder rechtsextreme Propaganda-Videos. Diese beziehen sich auf eine Gruppierung mit dem Namen Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) und enthalten Bezüge zur Mordserie. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe übernimmt die Ermittlungen.
Sonntag, 13. November: Die Bundesanwaltschaft geht erstmals ausdrücklich von Rechtsterrorismus aus. Der Bundesgerichtshof erlässt Haftbefehl gegen Zschäpe wegen des dringenden Tatverdachts «der Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung». In Lauenau bei Hannover wird ein mutmaßlicher Komplize festgenommen. Holger G. soll dem Neonazi-Trio 2007 seinen Führerschein und vor etwa vier Monaten seinen Reisepass zur Verfügung gestellt haben. Die Rolle des Verfassungsschutzes in dem Fall ist unklar. Politiker fragen, warum die Rechtsextremen, die unter Beobachtung standen und schon 1998 in Jena als Bombenbauer auffielen, so lange unbehelligt blieben.
Montag, 14. November: Justizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger sagt, die Strukturen des Verfassungsschutzes sollten auf den Prüfstand gestellt werden. Ihre Frage: «Was mich wirklich umtreibt, ist: Gibt es ein fester gefügtes rechtsextremistisches Netzwerk in Deutschland als bisher angenommen wurde?».
Donnerstag, 17. November: Der hessische Verfassungsschutz dementiert einen Bericht, ein 2006 suspendierter Mitarbeiter habe einen V-Mann beim rechtsextremen Thüringer Heimatschutz geführt. Der Verfassungsschützer war 2006 in einem Internetcafé in Kassel gewesen, kurz bevor dort die tödlichen Schüsse auf den türkischstämmigen Betreiber fielen.
Freitag, 18. November: Die Terrorzelle ist möglicherweise größer als bisher bekannt. Ermittler haben zwei weitere Personen im Visier. Sie sollen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe unterstützt haben. Nach mehreren Ermittlungspannen in der Vergangenheit wollen Bund und Länder mit besseren Strukturen auf den über Jahre unentdeckten rechtsextremistischen Terror reagieren.
Dienstag, 29. November: Fahnder nehmen den früheren NPD-Funktionär Ralf W. fest. Er soll ein weiterer mutmaßlicher Unterstützer der terroristischen Vereinigung «Nationalistischer Untergrund» (NSU) sein.
Der Verfassungsschutz war nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Spiegel" schon frühzeitig wesentlich besser über die Aktivitäten der Thüringer Neonazi-Zelle informiert als bisher bekannt. Die Beamten hätten schon im Frühjahr 1999 verlässliche Hinweise gehabt, dass sich die Gesuchten in Chemnitz versteckt hielten, berichtete "Spiegel" am Samstag vorab. Das Blatt beruft sich auf einen ihm vorliegenden, geheimen Untersuchungsbericht des Bundesamts für Verfassungsschutz, der kurz vor Weihnachten an die Bundesregierung geschickt wurde.
Oppermann: Systematisches Versagen
Dem Bericht zufolge war der Verfassungsschutz den Neonazis mehrmals auf der Spur, versäumte es aber zuzugreifen. Spätestens seit Mitte März hätten sich bei den Ermittlern die Informationen verdichtet, dass sich die Gesuchten im Raum Chemnitz aufhalten sollen, heißt es laut "Spiegel" in dem Untersuchungsbericht.
"Spiegel"-Informationen
Eine im Frühjahr 2000 gestartete Operation der Verfassungsschützer aus Thüringen und Sachsen habe sogar bis zu einer Wohnung in Chemnitz geführt, in der zwei mutmaßliche Unterstützer wohnten und welche die Rechtextremisten Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe besuchten. Die Verfassungsschützer hätten auch schon im Frühjahr 2001 Hinweise darauf gehabt, dass das aus Böhnhardt, Zschäpe und ihrem Komplizen Uwe Mundlos bestehende Trio im Untergrund kriminell aktiv war.
In dem Geheimbericht wird zudem laut "Spiegel" eine weitere Verbindung zwischen der NPD und dem Umfeld des Trios benannt, die eine Rolle bei einem neuen NPD-Verbotsverfahren spielen könnte. Demnach hat der spätere stellvertretende Landesvorsitzende der NPD-Nachwuchsorganisation "Junge Nationaldemokraten", Carsten S., 1999 als Kontaktperson in den Untergrund fungiert. Der Verfassungsschutz bezichtige ihn, Geld nach Sachsen für das Leben in der Illegalität überwiesen zu haben.
Verfassungsschutz war Neonazis mehrmals auf der Spur
Der SPD-Parlamentsgeschäftsführer im Bundestag, Thomas Oppermann, beklagte gegenüber dem "Spiegel" das systematische Versagen der Sicherheitsbehörden. "Was wir brauchen, ist eine fundamentale Veränderung der Arbeit."
Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe sollen gemeinsam die Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) gegründet haben. Der jahrelang unentdeckt gebliebenen Gruppe werden neun Morde an Migranten, ein Mord an einer Polizistin sowie zwei Sprengstoffanschläge in Köln zur Last gelegt. Mundlos und Böhnhardt nahmen sich nach derzeitigem Ermittlungsstand Anfang November das Leben, Zschäpe stellte sich der Polizei. Neben ihr sitzen mehrere mutmaßliche Unterstützer der Zelle in U-Haft. (afp)