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Medien in der Corona-Krise: Verstehen wir uns noch? Ein Gespräch mit Corona-Kritikern

Medien in der Corona-Krise

Verstehen wir uns noch? Ein Gespräch mit Corona-Kritikern

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    Unter Corona-Kritikern ist das Misstrauen gegenüber Politikern und Journalisten teils groß.
    Unter Corona-Kritikern ist das Misstrauen gegenüber Politikern und Journalisten teils groß. Foto: Annette Zoepf (Symbol)

    Nach etwas mehr als zwei Stunden ging man mit einem freundlichen Lächeln und mit freundlichen Worten auseinander: Sechs ehemalige Leserinnen und Leser sowie Redakteure aus verschiedenen Ressorts, darunter der Chefredakteur und die stellvertretende Chefredakteurin der Augsburger Allgemeinen. Ehemalige Leserinnen und Leser, weil sie ihr Zeitungsabonnement aus Verärgerung über die Corona-Berichterstattung kündigten. Und doch folgten sie der Einladung, ins Gespräch zu kommen. Dass dieses Gespräch hier nicht in Form eines Interviews abgedruckt werden darf – dazu später.

    Seit Beginn der Corona-Krise hat sich unsere Redaktion ungezählte Male gefragt, wie sie journalistisch mit der Pandemie und ihren Folgen umgehen müsse. Schon früh, Anfang März, fiel die Entscheidung, Texte dazu im Internet auch kostenlos anzubieten – wenn die Informationen wichtig für Mediennutzer sind. Etwa, weil die Zahl der Infektionen steigt, oder weil politische Entscheidungen direkte Auswirkungen auf das Alltagsleben haben.

    Schon früh, Mitte März, fragte der Chefredakteur in einem Leitartikel „Schaffen wir gerade unsere Freiheit ab?“ und kritisierte unter anderem die eigene Branche: „Viele Nachfragen zur Sinnhaftigkeit mancher Corona-Maßnahme sind gerade nicht zu hören, sehen, lesen. Dafür aber sehr viel eilfertige Verbreitung der gerne auch mal widersprüchlichen Aussagen von Medizinern (merke: fast unfehlbar) oder gar Virologen (merke: in jedem Fall absolut unfehlbar!).“

    Wie unsere Redaktion mit den Themen der Corona-Krise umgeht

    Unsere Redaktion versuchte, möglichst viele Aspekte der Krise zu thematisieren; sie versuchte, keine Panikmache zu betreiben. Sie überlegte, wie sie mit den offiziellen Zahlen über Infizierte, Genesene, Gestorbene umzugehen habe. Und immer wieder ging es ihr um die Frage, wen sie (noch) zu Wort kommen lassen sollte. Medien müssen einer großen Bandbreite von Stimmen Platz bieten. Sie sind Plattformen des öffentlichen Austausches. Ihre Hauptaufgabe ist es, Mediennutzer zu informieren und in die Lage zu versetzen, sich eine Meinung zu bilden. Doch wo liegen die Grenzen? Darf eine sich ihrer Verantwortung bewusste Zeitung auch Coronaleugnern eine Plattform bieten? Sollte, zum Beispiel, Sucharit Bhakdi für ein Streitgespräch mit einem anderen Epidemiologen angefragt werden? Die Antwort lautete: nein. Denn Bhakdi verbreitet nach Ansicht anerkannter Experten und Faktenchecker unhaltbare, ja gefährliche Thesen zum Coronavirus – und das in polemischer Sprache.

    Die Debatte in unserer Redaktion wurde auch von außen immer wieder aufs Neue angestoßen. So hatte sich im Juli ein unzufriedener Leser bei einem Redakteur über die Berichterstattung beschwert. Kritiker der staatlichen Anti-Corona-Maßnahmen würden totgeschwiegen. Der Mailverkehr, der sich daraus ergab, wurde Thema in einer Redaktionskonferenz. Am Ende stand die Idee, Leserinnen und Leser einzuladen. Sie hatten teils wütende Mails geschrieben, hatten ihr Abo gekündigt – man wollte von ihnen persönlich erfahren, was sie bewegt.

    Gäste des Gesprächs betonen: Sie sind keine "Covidioten"

    Die sechs Gäste mittleren Alters, die am 6. Oktober schließlich unsere Redaktion besuchten, betonten gleich zu Beginn, dass sie keine „Covidioten“ seien. Sie seien weder Reichsbürger noch Rechtsextreme oder Verschwörungsgläubige. Sie wollten nicht in die rechte Ecke gestellt werden. Sie sagten, dass sie sich missverstanden – oder gar absichtlich – falsch verstanden fühlten. Auch und gerade von Medien.

    Der Umgang mit dem Coronavirus löste bei ihnen Zweifel, Ängste und eben auch Wut aus. Im Gespräch ging es dann an manchen Stellen emotional zu, bisweilen lauter und kontrovers, zu keinem Zeitpunkt unhöflich. Es war kein Streitgespräch, man hörte sich zu und ließ sich ausreden. Die Gäste unserer Redaktion stimmten zum Schluss der Veröffentlichung ihrer Aussagen als Interview zu. Unter der Bedingung, es vorher lesen zu dürfen.

    Die Praxis des Autorisierens ist, anders als im angelsächsischen Raum, in Deutschland üblich. Es kommt vor, dass Interviewte und Interviewer um Aussagen ringen; dass Interviews komplett zurückgezogen werden, ist selten. Durch die Autorisierung haben Interviewte die Möglichkeit, ihre Aussagen zu prüfen. Interviewer haben die Sicherheit, nichts Missverständliches zu publizieren.

    Warum wir kein Interview zu diesem Gespräch veröffentlichen

    Etwa anderthalb Wochen nach dem Gespräch in unserer Redaktion und nach Zusendung einer Interviewfassung hielt dennoch nur einer der Teilnehmer seine Zusage aufrecht: Jürgen Goldner, 66, Heilpraktiker aus Augsburg. In einer Mail bedankte er sich für die Gelegenheit, seine Sicht auf das Geschehen darzulegen. „Ausdrücklich möchte ich mich auch für die gute Art und Weise bedanken, bei der gesamten Redaktion, die diesen Austausch erst möglich gemacht hat.“ Andere Gesprächsteilnehmer reagierten mit erneuter Kritik. Ihre Aussagen seien zu stark gekürzt worden. Man habe sie doch in die rechte Ecke gestellt. Die Redakteure hätten nicht nach eigenen Fehlern gesucht, sondern ihren Standpunkt behalten und ausgeteilt.

    Ihre Erwartungen wurden offensichtlich enttäuscht. Doch was hatten sie erwartet? Dass unsere Redaktion ihnen uneingeschränkt recht gibt? Dass sie Verschwörungsmythen weiterverbreitet, die einige der Gesprächsteilnehmer erwähnten? Dass sie auch dem heftigsten Vorwurf, dem abwegigsten Vergleich nicht entgegentritt?

    Jürgen Goldner sagte während des Gesprächs: „Ich erwarte einfach, dass Sie Fakten gut aufbereiten und eine öffentliche Diskussion führen, damit sich jeder ein Bild machen kann. Ich will Sie nicht persönlich angehen, diesem Anspruch ist die gesamte deutsche Medienlandschaft nicht gerecht geworden. Und diesen Vorwurf schmeiße ich Ihnen hier auf den Tisch. Ich gebe zu, das kann ein völlig falscher Eindruck sein.“ Was er auf den Tisch schmiss, war deutliche Kritik: an Medien, Spitzenpolitikern wie Kanzlerin Angela Merkel oder SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sowie an Wissenschaftlern wie dem Virologen Christian Drosten, der „Horrorszenarien“ verbreite.

    Bis Ostern habe er vehement die Politik von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und der CSU verteidigt. „Doch mit dem Lockdown dämmerte mir: Da stimmt was nicht.“ Ihn habe Mitte April, so führte Goldner aus, das Verhältnis von Infizierten, Genesenen und Toten nachdenklich gestimmt. „Es gibt eine hohe Zahl von Infizierten, aber nur eine relativ kleine Zahl von Toten. Wie passt das denn zu einer weltweiten Pandemie?“

    Jeder der Gesprächsteilnehmer war schon auf einer Corona-Demo

    Er war nicht der einzige in der Runde, der sich das bis heute fragt – und bei weitem nicht der einzige, den das beschäftigt. Ein Blick in soziale Netzwerke und Kommentarspalten bestätigt das. In den klassischen Medien habe er dazu jedoch nichts gefunden, also habe er im Internet recherchiert. Er habe erst gedacht, er könne den Informationen im Netz nicht trauen, einem Ken Jebsen zum Beispiel, sagte Goldner. Dieser Rundfunk Berlin-Brandenburg. Nach Antisemitismus-Vorwürfen wurde ihm 2011 gekündigt. Seitdem ist er online mit „KenFM“ präsent – und verbreitet nachweislich Halbwahrheiten und Verschwörungsmythen, zum Beispiel über Microsoftgründer Bill Gates. „Gates kapert Deutschland!“ war eines seiner Videos, das Millionen Menschen anklickten. Eine der Kernaussagen: Gates steuere die Corona-Maßnahmen hierzulande.

    Goldner, der bereits Corona-Demos besuchte, erwiderte auf derartige Erklärungen zu Jebsen: „Als Demonstrant habe ich dieses Etikett auch angeheftet bekommen. Seine Beiträge zu Corona sind für mich aber sehr logisch. Ich habe das nachvollzogen, und es stimmt.“

    Jeder der Gesprächsteilnehmer war schon auf einer Corona-Demo, einige auf der in Berlin Ende August. Jene Großveranstaltung, die wegen des „Reichstagssturms“ Schlagzeilen machte. Nach Angaben des Verfassungsschutzes wurde sie von ein paar tausend Rechtsextremen unterwandert. An einer Stelle des Gesprächs fragte ein Redakteur die Gäste, ob sie so etwas mittragen könnten. Zwei von ihnen hatten kein Problem damit – sie selbst seien ja nicht rechts, sie nähmen lediglich ihr Recht zu demonstrieren wahr. Wie über die Demos, gerade die Berliner, berichtet worden sei, habe mit objektivem Journalismus nichts zu tun gehabt. Nur über die Rechten und über den „Reichstagssturm“ sei berichtet worden.

    Redakteure unserer Zeitung, die über Corona-Demos – in Berlin, Augsburg oder München – schrieben, bemühten sich durchaus, Zitate von Demonstranten zu erhalten. Sie erfuhren mitunter starke Ablehnung. Michael Ballweg, auf den die „Querdenker“-Bewegung mit ihren Corona-Demos zurückgeht, ließ sich dagegen interviewen.

    Jürgen Goldner sagte: Auf den Corona-Demos seien vor allem Menschen, die sich an der Verhältnismäßigkeit der politischen Maßnahmen stießen, die zur Bekämpfung des Virus beschlossen worden seien. „Wir werden über Verordnungen regiert, und das Parlament wurde entmachtet.“ Das ist ein nachvollziehbarer Kritikpunkt. Es ist etwas, über das in diesen Tagen breit öffentlich diskutiert wird. Pandemie-Zeiten seien Zeiten der Exekutive, war oft zu hören. Doch wer kontrolliert die Exekutive? Lassen sich Bundesländer monatelang über Verordnungen regieren – ohne entsprechende Parlamentsbeschlüsse? An dieser Debatte haben sich auch Redakteure unserer Zeitung durch Berichte und Kommentare beteiligt.

    Nur: Mancher der Gesprächsteilnehmer ging weiter. Jürgen Goldner sprach beispielsweise von einer „gleichgeschalteten Presse, die keine abweichende Stimme zulässt“ und den „ständigen Fernsehberichten, in denen den Menschen mit allen möglichen Tricks eingehämmert wird, wie schlimm angeblich alles ist“. Ein Redakteur entgegnete ihm: „Im Dritten Reich unter Adolf Hitler war die Presse gleichgeschaltet. Aber sie ist es doch nicht heute in der Bundesrepublik! Wenn Sie so etwas sagen, sträubt sich alles in uns.“ Goldner antwortete: „Aber ich empfinde es so. Ich kann der gesamten Berichterstattung nicht mehr glauben.“

    Wenn sich Sorgen, Meinungen, Fakten und Fake News vermischen

    Im Gespräch vermischten sich Sorgen, Meinungen, Fakten, Fake News, Drittes-Reich-Analogien – die Übergänge waren fließend. Klassischen Medien trauen fast alle Gesprächsteilnehmer nicht mehr. Oder sie trauen ihnen alles zu: Sprachrohr staatlicher Propaganda zu sein, Zensur zu üben, sie manipulieren zu wollen. Vielem, was sie im Internet finden oder auf Telegram lesen – einem Messengerdienst ähnlich WhatsApp –, ist für sie glaubwürdige Information. Weil es ihre Ansichten bestätigt.

    So kam ein Gesprächsteilnehmer schnell auf ein Video von der Kölner Corona-Demo zu sprechen, das angeblich zeigt, wie ein Mitarbeiter des WDR eine Reichsfahne aus dem Kofferraum holt – angeblich in der Absicht, Demonstranten in Misskredit zu bringen. Das aber wurde schnell als das entlarvt, was es war: eine Lügengeschichte, um die Glaubwürdigkeit von Medien – in diesem Fall des beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks – zu untergraben. Insbesondere bei Rechtspopulisten gilt der als „Staatsfunk“. Qualitätszeitungen werden als „Lügenpresse“ und als „Mainstream-Medien“ attackiert.

    Im Laufe des Gesprächs folgten weitere Fake News und Verschwörungsmythen. Eine über Bill Gates, der an einem Impfstoff gegen das Coronavirus verdienen wolle (im Internet wird das Gerücht verbreitet, er habe es zu diesem Zweck in die Welt gesetzt); oder die, dass das Bundesinnenministerium die Bevölkerung in Angst versetze – um die Corona-Maßnahmen durchzudrücken. Dass weltweit Staaten in der Pandemiebekämpfung auf ähnliche Konzepte setzen, mit der viel zitierten Ausnahme Schwedens, gab den Gästen zu denken. Sie fragten sich, wer dahinter stecken könnte.

    Nach dem Gespräch ist auf beiden Seiten ein gemischter Eindruck geblieben. Das Gros der ehemaligen Leserinnen und Leser fühlte sich in seinen Vorbehalten bestärkt. Ein Teilnehmer sagte am Telefon dagegen, die Runde als positiv wahrgenommen zu haben und mit Aussagen – etwa zu Ken Jebsen – nicht in Zusammenhang gebracht werden zu wollen. Unsere Redaktion, so das Meinungsbild, hält manche Kritikpunkte für durchaus berechtigt. Sie will künftig versuchen, Zahlen zur Pandemie stärker einzuordnen oder manche Fragen und Probleme klarer zu benennen. Bei anderen Punkten stößt sie an ihre Grenzen – und wird Erwartungen von Kritikern zwangsläufig nicht gerecht werden.

    Unsere Zeitung wird Plattform des öffentlichen Austausches bleiben, nicht aber jedem eine Plattform bieten, der meint, er habe ein Recht auf seine eigenen Fakten.

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