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Mecklenburg-Vorpommern: Was bedeutet das Ergebnis der Landtagswahl für Merkels Zukunft?

Mecklenburg-Vorpommern

Was bedeutet das Ergebnis der Landtagswahl für Merkels Zukunft?

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    Live-Ticker: Am Rande des G20-Gipfels in China verfolgt Angela Merkel die ersten Hochrechnungen der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern.
    Live-Ticker: Am Rande des G20-Gipfels in China verfolgt Angela Merkel die ersten Hochrechnungen der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern. Foto: Bernd von Jutrczenka (dpa)

    Die Lage ist ernst – und das sieht man Angela Merkel auch an. Müde der Blick, blass der Teint, schmallippig der Mund: Bis in die Nacht hinein hat sie mit Wladimir Putin über die Konflikte in der Ukraine und in Syrien gesprochen und sich am Morgen danach gleich noch zu einem Privatissimum mit Barack Obama und François Hollande verabredet. Geschafft aber haben die Kanzlerin nicht der wenige Schlaf, die Zeitumstellung und die vielen Brandherde der Weltpolitik, über die sie mit ihren Kollegen aus den anderen großen Industrienationen zwei Tage lang im chinesischen Hangzhou beraten hat. Die unsichtbare Last, die auf ihr liegt, ist ein Wahlergebnis, wie die CDU es zuvor noch nie eingefahren hat. Dürre 19 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern, fast zwei Prozentpunkte weniger als die Rechtspopulisten von der AfD. Deutlicher kann ein Misstrauensvotum kaum ausfallen.

    Angela Merkel bricht mit einer guten Tradition

    8500 Kilometer von zu Hause entfernt entschließt sich Angela Merkel deshalb zu einem für sie höchst ungewöhnlichen Schritt und bricht mit der guten Tradition, dass sich Regierungsmitglieder auf Auslandsreisen jeden Kommentar zur deutschen Innenpolitik verkneifen. In China ist es bereits früher Abend, als sie nach der offiziellen Gipfel-Pressekonferenz in Hanghzou noch einmal kurz vor die Kameras und die Mikrofone tritt und ihre Flüchtlingspolitik verteidigt. Die Entscheidungen der vergangenen Monate, beteuert sie gleich dreimal, halte sie nach wie vor für richtig. Etwas abstrakt spricht die Kanzlerin von Verantwortung, von Problemen, die es noch zu lösen gelte, und von verloren gegangenem Vertrauen, das „wir alle“ aber auch wieder zurückgewinnen könnten. „Vorneweg natürlich ich.“ Wie das gelingen soll, sagt sie nicht. Fünf Minuten später ist sie auch schon wieder verschwunden – mit einem unwirschen „herzlichen Dank“.

    Von Deutschland aus betrachtet ist es ein etwas befremdlicher Auftritt, den gleich mehrere Sender live übertragen, so groß ist die Symbolkraft dieses Wahl-Sonntags. Einerseits räumt Angela Merkel dabei ein, dass die Debatte über die Flüchtlingspolitik alle anderen Themen überlagert habe und sie als Kanzlerin und Parteivorsitzende für das Debakel in ihrer politischen Wahlheimat auch mitverantwortlich ist. Andererseits verkneift sie sich jeden Satz, aus dem sich auch nur der Hauch einer Kurskorrektur herauslesen ließe. Ihre Kritiker, allen voran die stellvertretende AfD-Vorsitzende Beatrix von Storch, bestätigt das nur in ihrem Eindruck: Die Wahl im Nordosten „war der Anfang vom Ende der Ära Merkel“. Parteichefin Frauke Petry sekundiert später: „Frau Merkel stürzt sich selbst.“

    Noch hat die Kanzlerin nicht erklärt, ob sie zur Bundestagswahl im nächsten Jahr noch einmal antritt. In Ermangelung von Rivalen und Alternativen gehen in der Union zwar alle fest davon aus – aber wie sicher ist das eigentlich noch nach einem derart turbulenten Jahr und einem derart bitteren Wahlergebnis? Mecklenburg-Vorpommern ist ja nicht nur das erste Bundesland, in dem die Alternative für Deutschland stärker ist als die Union. Es ist nach Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz bereits das dritte Land, in dem die Kanzlerin und ihre Partei in diesem Jahr ihre Wahlziele verfehlen. Und in Berlin, wo am 18. September das Abgeordnetenhaus neu gewählt wird, sieht es bei Umfragen zwischen 17 und 20 Prozent nicht besser aus. Im Gegenteil. Nach vier Jahren an der Seite der Sozialdemokraten wird die Union in der Hauptstadt aller Voraussicht nach wieder in der Opposition landen.

    Koch? Wulff? Merz? Schäuble?

    Die SPD würde in einer solchen Situation vermutlich längst am Stuhl ihres Vorsitzenden sägen. In der CDU jedoch kommt erst Angela Merkel und dann lange nichts. Roland Koch? In die Wirtschaft abgewandert. Christian Wulff? Als Ministerpräsident populär, aber als Bundespräsident jäh gescheitert. Friedrich Merz? Ein gefragter Anwalt und Aufsichtsrat. Wolfgang Schäuble? Wenn überhaupt, dann nur eine Übergangslösung.

    "Merkel muss weg!"-Schriftzug auf einem Bahn-Gebäude bei Bergen auf der Insel Rügen. Die Insel Rügen gehört zum Bundestagswahlkreis von Angela Merkel (CDU).
    "Merkel muss weg!"-Schriftzug auf einem Bahn-Gebäude bei Bergen auf der Insel Rügen. Die Insel Rügen gehört zum Bundestagswahlkreis von Angela Merkel (CDU). Foto: Stefan Sauer (dpa)

    Würde die Kanzlerin sich jetzt frustriert ins Private zurückziehen oder gar gestürzt – die Union hätte große Probleme, die Planstelle neu zu besetzen. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist nicht die Beliebteste in ihrer Partei und in der Flüchtlingspolitik überdies voll auf Merkel-Linie, Innenminister Thomas de Maizière hat seinen Ruf als effizienter Macher verspielt. Und dass CSU-Chef Horst Seehofer den Strauß macht und sich plötzlich selbst als Kanzlerkandidat durchsetzt – daran glauben nicht einmal die ärgsten Merkel-Gegner in CDU und CSU. Auch an der Basis, räumt der Innenexperte Wolfgang Bosbach in der Welt ein, gebe es trotz vieler Zweifel an der Flüchtlingspolitik weiterhin große Sympathie für die Kanzlerin „und viel Respekt vor ihrer politischen Arbeit“.

    ---Trennung _CDU steht zu Angela Merkel_ Trennung---

    Angela Merkel ist oft unterschätzt worden – und mit ihr auch ihr Beharrungsvermögen. Anders als Vorgänger Gerhard Schröder, prophezeit der Berliner Politologe Gero Neugebauer, werde sie ihre politische Zukunft nicht vom Ergebnis einer Landtagswahl abhängig machen. „Sie will nicht mit Asche auf dem Haupt aus dem Amt scheiden, sondern mit einem Lorbeerkranz.“

    Wer ihr den nach dem erbitterten Streit um ihre Flüchtlingspolitik noch flechten soll, vermag zwar auch in der Union niemand zu sagen. Anders als die Kollegen von der SPD aber neigen Christdemokraten nicht zum Putschen. Die Letzte, die so etwas angezettelt hat, war nach dem Spendenskandal 1999: Angela Merkel. Ihr öffentlicher Bruch mit ihrem langjährigen Förderer Helmut Kohl war der Beginn eines steilen Aufstiegs, der die damalige Generalsekretärin erst an die Spitze der CDU und im Herbst 2005 schließlich auch ins Kanzleramt führte.

    Auch jetzt, da die Union in den Umfragen teilweise schon um zehn Prozent unter dem Ergebnis der letzten Bundestagswahl liegt, verhält sich die Partei noch erstaunlich loyal. Als sich die Bundestagsfraktion am späten Nachmittag zu ihrer ersten Sitzung nach der Sommerpause trifft, ist die Klatsche von Mecklenburg-Vorpommern zwar das beherrschende Thema. So kurz vor der Berlin-Wahl allerdings will sich kein Abgeordneter vorwerfen lassen, er habe mit scharfer Kritik an der Kanzlerin am Bild von der zerrissenen Volkspartei mitgezeichnet und ein schlechtes Ergebnis mit zu verantworten. „Angela Merkel hat uns durch viele Krisen geführt“, sagt CDU-Generalsekretär Peter Tauber trotzig, einer ihrer Treuesten. „Sie wird es auch diesmal tun.“

    Landtagswahl 2016 in Mecklenburg-Vorpommern - ein "Erdbeben"

    Zu den wenigen, die ihren Frust nicht hinunterschlucken, gehört der Karlsruher Abgeordnete Axel E. Fischer. Für ihn war die Wahl in Mecklenburg-Vorpommern nicht weniger als „ein Erdbeben“. Die CDU laufe Gefahr, ihre Bindekraft zu verlieren, warnt er im Gespräch mit unserer Zeitung. „Wer das nicht sieht, macht sich was vor.“

    Nicht einmal eine Stunde dauert die Telefonkonferenz der Parteispitze am Vormittag, zu der sich auch die Vorsitzende von China aus dazuschaltet. Danach gibt Tauber den Takt für die nächsten Tage vor: „Wir alle tun gut daran, weiter auf sie zu setzen.“ Und überhaupt: So wichtig ist eine Landtagswahl in Deutschland nun auch wieder nicht, wenn sich die Großen der Welt treffen. Die örtlichen Zeitungen in Hanghzou jedenfalls setzen da klare Prioritäten. Noch wichtiger als die Meldung über den Rückschlag für den Gipfelgast aus Deutschland ist ihnen eine andere Nachricht: Der Große Panda, lange Zeit eine der bedrohtesten Tierarten der Welt, ist nicht mehr vom Aussterben bedroht. Ein Pärchen der seltenen Bären hat der chinesische Premier Li Keqiang übrigens Angela Merkel versprochen – für den Berliner Zoo.

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