Wer im Internet Hass und Terrorpropaganda verbreitet, muss in Deutschland damit rechnen, Besuch von der Polizei zu bekommen. Staatsanwaltschaften arbeiten inzwischen mit Spezialabteilungen daran, „Hatespeech“ und verfassungsfeindliche Äußerungen im Netz konsequent strafrechtlich zu verfolgen. Dabei kommt es aber auch zu fragwürdigen Entscheidungen – wie ein Fall aus Augsburg zeigt.
Prozess in Augsburg: Mann soll gegen Vereinsgesetz verstoßen haben
Dort wurde am Amtsgericht ein 24-jähriger Tschetschene wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz und Verbreitung von Gewaltdarstellungen im Internet zu einer Geldstrafe verurteilt. Was ihm zum Verhängnis wurde, tun jedoch täglich Millionen Menschen – Beiträge von Qualitätsmedien teilen. Wenn das Urteil Bestand hat, wird es für Internetnutzer und vor allem für deutsche Medien massive Folgen haben. Die Verärgerung in der Branche über die Augsburger Justiz ist daher bundesweit groß; Kommentare dazu unmissverständlich.
Was war passiert? Mokhmad A., der in einer Asylunterkunft im Raum Augsburg lebt, hatte im März 2018 bei Facebook einen Beitrag geteilt, in dem bewaffnete Mitglieder der Terrormiliz „Islamischer Staat“, kurz IS, zu sehen sind. Zwei der Männer auf dem Foto tragen Mützen mit dem IS-Symbol. Dessen Verwendung ist gesetzeswidrig, seit der IS 2014 in Deutschland nach dem Vereinsgesetz verboten wurde. Und genau deshalb, wegen der Verbreitung dieses Symbols bei Facebook, wurde der 24-Jährige jetzt verurteilt.
Nun hatte Mokhmad A. aber nicht etwa Propagandamaterial des IS im Netz geteilt, sondern einen in russischer Sprache erschienenen Nachrichtenbeitrag der seriösen Deutschen Welle , des öffentlich-rechtlichen Auslandsrundfunks der Bundesrepublik Deutschland. In dem Beitrag ging es um die Frage, wie das Terrornetzwerk seine Waffen bezieht. Bebildert ist der Text mit einem Foto der Deutschen Presse-Agentur, kurz dpa. Mokhmad A. schrieb dazu auf Russisch: „Ich weiß nicht, wo und was geliefert wurde, aber das Foto zeigt Kalaschnikow-Gewehre.“ Das war nach Ansicht der Staatsschutz-Abteilung der Augsburger Polizei eine Straftat.
Urteil: Machen sich Medien-Nutzer strafbar?
Die Staatsanwaltschaft erwirkte erst einen Durchsuchungsbeschluss, dann einen Strafbefehl, gegen den der 24-Jährige Einspruch einlegte. So kam es zum Prozess, in dem Staatsanwaltschaft und Amtsgericht bei ihrer Haltung blieben: Es sei schon eine Straftat, einen Nachrichtenbeitrag auf Facebook zu teilen, der mit einem Foto illustriert ist, das IS-Mitglieder mit IS-Symbol zeigt.
Ein Urteil mit möglicherweise weitreichenden Folgen: Sollte es in höheren Instanzen nicht verworfen werden, müssten Presseorgane künftig überlegen, ob sie Beiträge über den IS oder andere verbotene Organisationen noch mit Fotos veröffentlichen, die Symbole oder Kennzeichen dieser Organisationen zeigen. Denn Leser dieser Medien könnten Schwierigkeiten mit der Justiz bekommen, wenn sie diese Beiträge im Netz teilen.
Es wäre eine befremdliche Situation: Medien, die den Auftrag haben, Öffentlichkeit herzustellen und die Realität akkurat abzubilden, dürfen schließlich verbotene Symbole zeigen – es gilt die Pressefreiheit. Und Mediennutzer sollen diese Veröffentlichungen nicht weiterverbreiten dürfen? Eine absurde Vorstellung für Johanna Künne, die Verteidigerin des 24-Jährigen. Sie will Rechtsmittel einlegen.
Deutscher Presserat fordert Klarheit vom Gesetzgeber
Journalistenverbände und Presserechtsexperten kritisierten das Urteil am Freitag scharf. „Das Posten eines journalistischen Beitrags der Deutschen Welle ist nicht Hasskriminalität, sondern die Weiterleitung von Qualitätsjournalismus. Es ist völlig unverständlich, warum das verboten sein soll“, sagte Hendrik Zörner, Sprecher des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), auf Anfrage. Ähnlich äußerte sich Cornelia Berger, Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union in Verdi (dju). „Das ist ein mittelbarer Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Pressefreiheit, der aus Sicht der dju in ver.di nicht akzeptabel ist. Wir setzen darauf, dass dieses Urteil in der nächsten Instanz korrigiert wird.“
Auch Lutz Tillmanns, Rechtsanwalt und Geschäftsführer des Deutschen Presserats, sprach von einer Verletzung der Pressefreiheit. Das Strafgesetzbuch sehe ausdrücklich vor, dass eine „Gewaltdarstellung“ oder ähnliche Darstellungen nicht bestraft werden dürften, wenn sie der Berichterstattung über Vorgänge der Zeitgeschichte dienen. „Genau das ist hier der Fall“, betonte er. „Vermag dies ein Gericht nicht zu erkennen, drängt sich hier gesetzespolitischer Handlungsbedarf auf.“ Tillmanns sagte das auch mit Blick auf mehrere vergleichbare Fälle, in denen Nutzer wegen des Teilens von Nachrichtenbeiträgen bereits ins Visier der Justiz geraten sind.
Jens Petersen, Leiter Konzernkommunikation der dpa, verwies darauf, dass ihm das Urteil noch nicht in schriftlicher Form vorliege. Er könne sich deshalb inhaltlich dazu noch nicht äußern. Die Deutsche Welle reagierte auf das Urteil des Amtsgerichts am Freitag „überrascht“ und mit Unverständnis. Denn „allein das Teilen von veröffentlichten journalistischen Inhalten in den sozialen Medien kann man ja wohl kaum unter Strafe stellen“, sagte Sprecher Christoph Jumpelt. Es bleibe daher abzuwarten, ob dieses Urteil bei der nächsthöheren Instanz Bestand haben werde.
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