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Mafia-Experte: "Tschetschenische Banden gelten als besonders skrupellos"

Mafia-Experte

"Tschetschenische Banden gelten als besonders skrupellos"

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    Am Berliner Gesundbrunnencenter kam es jüngst zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Mitgliedern eines arabischstämmigen Clans und einer russisch-tschetschenischen Gruppe.
    Am Berliner Gesundbrunnencenter kam es jüngst zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Mitgliedern eines arabischstämmigen Clans und einer russisch-tschetschenischen Gruppe. Foto: Paul Zinken, dpa

    Herr Mattioli, in Berlin macht die so genannte Tschetschenen-Mafia durch einen brutalen Konflikt mit einem arabischen Unterwelt-Clan von sich reden. Woher kommt diese Gruppe, wie stark ist sie in Deutschland aktiv?

    Sandro Mattioli: Es ist keine heterogene Organisation wie die ‘Ndrangheta aus Italien und diese Gruppen sind jüngeren Datums. Erstmals in den Fokus rückten sie in der Sowjetunion, wo in Moskau und andernorts Gruppen entstanden, die als tschetschenische Mafia bezeichnet wurden. Ihre Mitglieder stammten aber keineswegs alle aus Tschetschenien, sie versammelten sich eher unter diesem Label. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion prosperierten die tschetschenischen Gruppen weiter, auch weil sie stark im Hotelgewerbe und Glücksspiel waren.

    Sandro Mattioli ist Vorsitzender des Vereins "Mafia? Nein danke".
    Sandro Mattioli ist Vorsitzender des Vereins "Mafia? Nein danke". Foto: Simone Härtle

    Wann sind diese Banden erstmals in Deutschland aktiv geworden?

    Mattioli: Wann sie in Deutschland zuerst auftraten, ist schwer zu sagen. In den Fokus rückten Tschetschenen zunächst unter dem Etikett Islamistischer Terrorismus nach dem 11. September 2001. Erst in den vergangenen Jahren werden sie als kriminelle Gruppierungen wahrgenommen, auch weil sie verstärkt sichtbar werden, vor allem im Drogenhandel und wegen Revierstreitigkeiten - im Übrigen nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Staaten in Europa, etwa Frankreich.

    Was macht diese Gruppen so gefährlich?

    Mattioli: Die tschetschenischen Banden gelten als besonders brutal und skrupellos. Morde sind in ihrem Milieu ein legitimes Mittel der Auseinandersetzung mit Gegnern, der Einsatz von Waffen häufig. Eine Anekdote legt davon Zeugnis ab: In Moskau gab es in den Neunziger Jahren ein Friedens-Dinner mit 12 Tschetschenen und 24 russischen Mafiosi. Es wurden Steaks gegessen. Waffen waren verboten, doch die Tschetschenen hatten die Russen noch vor der Nachspeise getötet - mit den Steakmessern.

    Wie ist der aktuelle Konflikt mit einem deutsch-arabischen Clan in Berlin zu bewerten?

    Mattioli: Aufmerksamkeit macht die Geschäfte immer schwerer, sie ruft die Polizei auf den Plan, auch dauerhaft. Aufmerksamkeit wirkt aber auch nach innen, in die Community, man kann sich als starker Max präsentieren. Und das ist ein Grund, weshalb Schmähungen und Kränkungen sich so explosiv auswirken können. Von außen ist es schwer zu beurteilen, ob den Beteiligten das Testosteron übergekocht ist oder hier ein Streit um Stücke des Kuchens tobt – oder beides. Sicher ist: Berlin ist ein lukrativer Drogenmarkt, und tschetschenische Gruppen sind hier seit einigen Jahren verstärkt aktiv.

    Was ist von dem so genannten Frieden zwischen den Banden zu halten, der auf Vermittlung des Profiboxers Mahmoud Charr zustande kam?

    Mattioli: Zu einem Friedensschluss gehört, dass die beteiligten Konfliktparteien zusammenkommen. Ob dies hier der Fall war, ist fraglich. Selbst wenn die richtigen Leute zusammenkamen: Was von einem Friedensschluss zu halten ist, zeigt sich immer erst dann, wenn Frieden länger herrscht. Friedensschlüsse in der organisierten Kriminalität sind oft ein brüchiges Konstrukt, und man muss auch bedenken, dass tschetschenische Gruppen sich nicht nur mit der Familie R. anlegen. Ganz grundsätzlich bin ich dafür, dass bei Straftaten der Frieden nach Regeln geschlossen wird, die für alle gelten, nämlich vor einem ordentlichen deutschen Gericht und nach deutschen Gesetzen. Das Starkwerden der tschetschenischen Gruppen, das wir derzeit sehen, zeigt auch, dass wir in der Antimafia-Politik umsteuern müssen: Wenn wir nur die jeweils starke Gruppe in den Fokus nehmen, wird das ewig so weitergehen. Wir müssen stattdessen eine proaktive Bekämpfung Organisierter Kriminalität auf europäischer Ebene erreichen und dafür sorgen, dass solche Clans sich hier gar nicht erst breitmachen können oder wollen.

    Zur Person: Sandro Mattioli, Jahrgang 1975, hat mehrere Sachbücher über Organisierte Kriminalität geschrieben und ist Vorsitzender von „Mafia? Nein danke“. Der Verein hat sich der Aufklärung über mafiöse Organisationen in Deutschland und Europa verschrieben und berät dazu auch die Politik.

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