Ein Geheimdienstchef, der Teile der Regierung, für die er arbeitet, vor seinen europäischen Amtskollegen als „linksradikal“ bezeichnet – unvorstellbar. Doch Hans-Georg Maaßen hat genau das getan und damit auf gröbste Weise seine Pflicht zur Loyalität verletzt.
Maaßen hat Bundeskanzlerin Merkel nicht verziehen, dass sie seine Bedenken in der Flüchtlingspolitik ab 2015 nie ernst genommen hat. Seither führt er einen Kreuzzug gegen seine oberste Dienstherrin. Schutz bot nur sein direkter Vorgesetzter Horst Seehofer, der ihn gewähren ließ, weil er die Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik teilt. Doch dass Seehofer Maaßen nach dessen umstrittenen Äußerungen zu Chemnitz stützte, trug dazu bei, der CSU-Chef selbst immer heftiger wackelt.
Maaßen hat nun mit seiner bizarren Abschiedsrede die riesige goldene Brücke, die Seehofer ihm gebaut hat, in Brand gesteckt. Vieles deutet darauf hin, dass Maaßen gezielt auf seine Versetzung in den Ruhestand hingearbeitet hat – um anschließend mit dem Nimbus des „Unbeugsamen“ eine neue Karriere zu starten. Wird die Quittung, die er jetzt zu Recht für seine Illoyalität bekommen hat, Maaßens Fahrkarte in die Politik?
Der lange Streit um Hans-Georg Maaßen
Chemnitz, 26. August: Nach dem gewaltsamen Tod eines Deutschen ziehen Hunderte aus Protest durch die Innenstadt - einige von ihnen gewaltbereit. Die Bundesregierung verurteilt "Hetzjagden" auf Ausländer, doch Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen hat seine eigene Sicht der Dinge. Ein Rückblick:
7. September: Er bezweifle, dass es zu Hetzjagden auf Ausländer gekommen sei, sagt Maaßen der Bild-Zeitung und schließt "gezielte Falschinformation" nicht aus. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hält ein entsprechendes Video jedoch für echt. Politiker von SPD, Linken und Grünen fordern Maaßens Ablösung. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) spricht ihm das Vertrauen aus.
10. September: Maaßen legt dem Bundesinnenminister einen Bericht vor, Medien zufolge relativiert er darin seine Einschätzung.
12./13 September: Nach einer Sitzung des Innenausschusses stellt Seehofer erneut klar: Maaßen bleibt im Amt. Die SPD-Spitze hingegen fordert seine Entlassung. Der Streit in der Koalition spitzt sich zu.
18. September: Krisentreffen im Kanzleramt. Maaßen soll nun Staatssekretär im Bundesinnenministerium werden - und höhere Bezüge bekommen. Diese von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), SPD-Chefin Andrea Nahles und Seehofer präsentierte Lösung stößt auf Empörung - vor allem in der SPD. Nahles gerät zunehmend unter Druck.
21. September: Der Koalitionsstreit um Maaßen lässt Union und SPD in der Wählergunst weiter absinken. Die AfD profitiert, wie eine Umfrage von Infratest dimap ergibt. In einem Brief an Merkel und Seehofer fordert Nahles, den Fall Maaßen neu zu verhandeln.
23./24. September: Neuer Kompromiss der Koalitionsspitzen: Maaßen soll Sonderberater im Innenministerium werden - ohne Gehaltserhöhung. Kanzlerin Merkel räumt im Umgang mit dem Fall offen Fehler ein.
18. Oktober: Bei einer Abschiedsrede vor Kollegen in Warschau übt Maaßen harsche Kritik an der SPD. Politische Gegner und einige Medien hätten versucht, ihn aus dem Amt zu drängen, heißt es im Redemanuskript. Einige Tage später ist es im Intranet des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu lesen.
5. November: Seehofer versetzt den Chef der Behörde in den einstweiligen Ruhestand.