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Belarus: Lukaschenko: Wie gefährlich ist "Europas letzter Diktator"?

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Lukaschenko: Wie gefährlich ist "Europas letzter Diktator"?

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    Weißrusslands Präsident Lukaschenko: „Ihr müsst mich schon umbringen, wenn ihr mich weghaben wollt.“
    Weißrusslands Präsident Lukaschenko: „Ihr müsst mich schon umbringen, wenn ihr mich weghaben wollt.“ Foto: State TV and Radio Company of Belarus/AP, dpa

    Jetzt auch noch die Kalaschnikow. Als hätten die blutrünstigen Szenen von prügelnden Polizisten dem Diktator einfach nicht gereicht. Als wäre Alexander Lukaschenko erst dann zufrieden, wenn ihn die Welt endlich als den todesmutigen Mann anerkennt, als der er sich selbst begreift.

    „Ihr müsst mich schon umbringen, wenn ihr mich weghaben wollt.“ So antwortet er seinen Landsleuten in diesen Tagen immer wieder, die ihn in Sprechchören auffordern, endlich abzuhauen aus Weißrussland, international Belarus genannt. Aber nicht mit Alexander Grigorjewitsch Lukaschenko. Da greift der 65-Jährige lieber zum Sturmgewehr und stellt sich dem Kampf. Zumindest gegenüber den Kameras am Wochenende.

    Lukaschenko: Der Diktator spielt nicht

    Am Montag heißt es dann, russische Spindoktoren hätten Lukaschenko zu dem Auftritt geraten, bei dem er sich publikumswirksam filmen ließ. Demnach war alles nur eine Show. So wie sich Wladimir Putin gern bei der Tigerjagd in Sibirien ablichten lässt: als Inbild reiner Tatkraft. Gut möglich. Doch wer den Mann, den sie im Westen den „letzten Diktator Europas“ nennen, schon ein wenig länger beobachtet hat, der ahnt: Lukaschenko braucht gar nicht zu spielen, wenn er nach der Kalaschnikow greift. Das liegt in seiner Natur. Der Diktator lässt nicht nur foltern und schießen. Er würde zur Not auch selbst den Abzug drücken.

    Viele Bürger in Belarus betonen seit Wochen, dass sie keine Angst mehr hätten vor Alexander Lukaschenko, "Europas letztem Diktator".
    Viele Bürger in Belarus betonen seit Wochen, dass sie keine Angst mehr hätten vor Alexander Lukaschenko, "Europas letztem Diktator". Foto: Dmitri Lovetsky/AP, dpa

    Oder doch nicht? Man kann das ja schnell mal verwechseln. Wenn sich Lukaschenko hinstellt und behauptet, das Coronavirus bekämpfe man am besten mit Wodka und Traktorfahren an der frischen Luft, dann denkt man vielleicht an Donald Trump, Jair Bolsonaro und andere Sprücheklopfer. Bei Lukaschenko liegen die Dinge aber anders. „Wir werden euch nicht protestieren lassen. Also bleibt zu Hause, sonst fließt Blut.“ So hat er es neulich gesagt, vor der Präsidentenwahl. Und dann hat er alle, die doch gegen Fälschungen protestierten, in vier Blutnächten niederknüppeln lassen.

    Bekannte Oppositionelle mutmaßlich ermordet

    Oder man erinnere sich an die angeblichen Metrobomber von Minsk. Im April 2011 explodiert in der U-Bahn der Hauptstadt eine Nagelbombe. Fünfzehn Menschen sterben. Die Polizei nimmt zwei junge Männer fest. Ein Gericht verurteilt sie zum Tode, trotz vieler Ungereimtheiten. Den Anklägern fällt nicht einmal ein Motiv ein, außer sinnloser Mordlust. Die Mutter des einen Verurteilten wendet sich an „den weisen Vater“ Lukaschenko. Sie bittet ihn unter Tränen um Gnade für ihren Sohn. Doch es ist zwecklos. Lukaschenko kennt keine Gnade. Die Hinrichtungen werden per Genickschuss vollstreckt. Mehrfach werden unter Lukaschenko bekannte Oppositionspolitiker und Kritiker offensichtlich ermordet. Dazu zählen Ex-Innenminister Juri Sacharenko und Ex-Vizeparlamentspräsident Viktor Gontschar, die 1999 entführt wurden und seitdem spurlos verschwunden sind.

    Was treibt den Sohn einer Melkerin an?

    Die belarussische Politikwissenschaftlerin Olga Dryndowa hat in den Prügelorgien nach der Präsidentenwahl eine Brutalität ausgemacht, die „an Sadismus grenzt“. Es ergibt wenig Sinn, über die psychische Konstitution des Mannes zu mutmaßen, der all das befohlen hat. Man kann sich aber doch fragen, woher das alles kommen mag bei diesem Alexander Lukaschenko, der sich in den 26 Jahren seiner Präsidentschaft am liebsten als „Väterchen“ anreden ließ? Da muss ja doch mehr sein als ein rationales politisches Kalkül. Was also treibt den Sohn einer Melkerin aus dem Dorf Kopys im Osten von Belarus zu seinen Taten?

    Alexander Lukaschenko (links) trägt bei einem Truppenbesuch in Grodno Uniform. Der belarussische Präsident ist unter Druck wegen des Vorwurfs der Wahlfälschung und versetzte die Streitkräfte in volle Gefechtsbereitschaft.
    Alexander Lukaschenko (links) trägt bei einem Truppenbesuch in Grodno Uniform. Der belarussische Präsident ist unter Druck wegen des Vorwurfs der Wahlfälschung und versetzte die Streitkräfte in volle Gefechtsbereitschaft. Foto: Andrei Stasevich/BelTA/AP/dpa

    Der kleine Sascha fällt früh bei der Miliz auf, wegen einiger Kavaliersdelikte. Das ist Anfang der Sechzigerjahre. Nach dem Krieg geht es bergauf in der Sowjetunion. Und auch der junge Lukaschenko fängt sich. Beim KGB findet er geordnete Strukturen und steigt zum Politoffizier in einer Panzerkompanie auf. Noch lieber als beim Militär ist er aber auf dem Land. In den Achtzigerjahren ist er als Direktor einer Sowchose vielleicht schon am Ziel seiner Wünsche. Doch es ist die Zeit der Perestroika und damit des Niedergangs. So sieht es Lukaschenko, der 1991 den Putsch gegen Michail Gorbatschow unterstützt und im Obersten Sowjet von Belarus gegen die Unabhängigkeit des Landes stimmt, dessen Staatsoberhaupt er 1994 wird.

    Neosowjetische Rückkehr zur Planwirtschaft

    Kontrolle und Ordnung sind wesentliche Konstanten in Lukaschenkos Leben. Während in Russland unter Boris Jelzin Mafiakämpfe toben, baut der gerade 40-jährige Präsident von Belarus die kleine Republik in einen neosowjetischen Vorzeigestaat um. Der Staat zahlt Renten und Löhne pünktlich. Die Planwirtschaft kehrt zurück und auch die Macht der Polizei und der Dienste. Lukaschenko lässt Kriminalität mit harter Hand bekämpfen. Das macht ihn populär, zum „Väterchen“ des Landes. Er betreibt den Nationalsport Eishockey. Seine Beliebtheit signalisiert ihm, dass er nicht falsch liegen kann. So wird aus der harten Hand eine eiserne Faust.

    Lukaschenko ist verheiratet und hat drei Kinder, darunter seinen Lieblingssohn Nikolai, der erst 2004 geboren ist. Diesen jüngsten Sohn präsentiert er seit vielen Jahren als seinen natürlichen Nachfolger. Wie in einer Erbmonarchie. Er selbst könne sich ein Leben, in dem er nicht Präsident ist, gar nicht mehr vorstellen, hat Lukaschenko kürzlich in einem Interview gesagt. Das war vor der Präsidentenwahl, die er fälschen ließ. So wie alle anderen Abstimmungen seit 1994 auch. Weil er offenkundig nicht lassen kann von der Macht in diesem Land, das doch irgendwie seins ist, oder nicht? Sein Eigentum.

    So oder so ähnlich muss es gewesen sein in der 26 Jahre währenden Herrschaftszeit des Alexander Lukaschenko. Nun aber, völlig unerwartet, muss er in diesem August mit ansehen, wie seine Macht zerbröselt – und damit auch sein Leben. Diesen Zerfall muss er stoppen. Koste es, was es wolle. „Und wenn sie mich töten.“ Das ist die Entscheidung, die Lukaschenko getroffen hat. Er sagt es so, und er meint es so. Deswegen greift er zur Kalaschnikow und nimmt zu der Aktion seinen Sohn Nikolai mit.

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