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Libyen: Das letzte Kapitel im Fall Gaddafi

Libyen

Das letzte Kapitel im Fall Gaddafi

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    Plötzlich taucht der angeblich gefangen genommene Gaddafi-Sohn Saif al-Islam in der Nacht zu Dienstag mitten in Tripolis auf, spricht zu Journalisten, begrüßt seine Anhänger und verkündet: „Wir werden gewinnen!“
    Plötzlich taucht der angeblich gefangen genommene Gaddafi-Sohn Saif al-Islam in der Nacht zu Dienstag mitten in Tripolis auf, spricht zu Journalisten, begrüßt seine Anhänger und verkündet: „Wir werden gewinnen!“ Foto: Foto: Dario Lopez-Mills, dapd

    Dunkle Rauchschwaden steigen über der militärischen Festung Bab al-Azizia in der libyschen Hauptstadt Tripolis auf. Einige Gebäude der weitläufigen Machtzentrale von Muammar al-Gaddafi (69) brennen. Eine goldene Gaddafi-Büste liegt am Boden. Die Fahne der Rebellenarmee weht über jenem Komplex, von dem aus der Diktator jahrzehntelang sein Land beherrschte und brutal unterdrückte. Die Rebellen, die am Dienstagnachmittag die Festung eroberten, feuern mit ihren Kalaschnikows Freudenschüsse in die Luft.

    Von Gaddafi selbst gibt es zunächst keine Spur. Die Rebellen durchsuchten am Abend Gebäude für Gebäude, um jenen Mann zu finden, der ihnen auf ihre Revolution mit einem grausamen Krieg geantwortet hatte. Plünderungen und Brandschatzungen folgen.

    Gaddafis Machtzentrum inmitten der Stadt liegt innerhalb einer riesigen Militärkaserne, in der Gaddafis Residenz, Regierungsgebäude und auch Eliteeinheiten des Tyrannen untergebracht sind. Eine Art Hochsicherheitstrakt, in der bislang das Herz des libyschen Regimes schlug.

    Gaddafi-Fotos gehen in Flammen auf

    Seit Wochen hatte die Nato die Anlage immer wieder bombardiert. Dazu soll auch eine unterirdische Bunker- und Tunnelanlage mit geheimen Fluchtwegen gehören. Auf dem Flughafen von Tripolis wurde angeblich ein Jet Gaddafis blockiert, mit dem der Diktator möglicherweise fliehen wollte. Hupkonzerte sind in der ganzen Stadt zu hören. Als sich die Nachricht von der Einnahme des Gaddafi-Befehlsbunkers herumspricht, strömen die Menschen aus ihren Häusern, tanzen und singen auf den Straßen. Viele rufen: „Allah ist groß.“ Gaddafi-Fotos gehen in Flammen auf.

    Ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums berichtet, man glaube, Gaddafi sei noch in Libyen. Von der Nato heißt es, man wisse nicht, wo sich Gaddafi verstecke. Das sei aber auch nicht wichtig. „Gaddafi wird wohl kein Teil der Lösung sein, er ist keine Schlüsselfigur mehr.“ Ein Nato-Sprecher ist sich sicher: „Das ist das letzte Kapitel, das Ende ist nah.“ Es wird nicht ausgeschlossen, dass der Diktator bereits aus der Stadt geflüchtet ist und sich vielleicht irgendwo in der weiten Wüste versteckt.

    In der Nacht zum Dienstag war plötzlich Saif al-Islam, der wohl mächtigste Sohn Gaddafis, wiederaufgetaucht. Vor jenem Hotel, in dem in Tripolis die Auslandsjournalisten untergebracht sind, verbreitete er im olivgrünen T-Shirt Hetzparolen gegen die „Ratten“, wie er die Rebellen nennt. Kurz zuvor hatten die Rebellen noch gemeldet, den 39-Jährigen gefangen zu haben.

    Saif al-Islam, der breit lächelnd mit einem weißen gepanzerten Geländewagen vorfuhr, antwortete auf die Frage, ob sich sein Vater noch in Tripolis befinde: „Natürlich“. Ein Rebellensprecher erklärte: „Wir hatten Saif in unserer Hand, und dann konnte er anscheinend fliehen. Das ist alles sehr peinlich.“

    Bis zu 2000 Menschen sollen in Tripolis umgekommen sein

    Nach der Eroberung des Gaddafi-Palastes scheinen die Rebellen auch in der ganzen Stadt die Oberhand zu gewinnen, wo zuvor in mehreren Vierteln noch heftig gekämpft wurde. Als große Gefahr gelten Scharfschützen Gaddafis, die von Dächern aus wahllos auf Männer, Frauen und Kinder anlegten. Bis zu 2000 Menschen sollen in den vergangenen Tagen in Tripolis umgekommen sein.

    „Wir kontrollieren 95 Prozent der Hauptstadt“, verkündet der Übergangsrat der Opposition. „Die Ära von Gaddafi ist vorbei.“ Von allen Seiten rollen Nachschubverbände der Rebellen in die Stadt. Die Nato wirft Flugblätter ab, auf denen die Gaddafi-treuen Soldaten aufgefordert werden, sich zu ergeben.

    Vor dem Hafen von Tripolis wartet ein Schiff der Internationalen Organisation für Migration (IOM) auf ein Abflauen der Kämpfe, um Gastarbeiter und Ausländer evakuieren zu können. Sie schätzt, dass noch mehrere tausend Ausländer in der Stadt ausharren.

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