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Leitartikel: Wie ernst es CDU und CSU mit ihrem Frieden ist, sagen sie nicht

Leitartikel

Wie ernst es CDU und CSU mit ihrem Frieden ist, sagen sie nicht

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    Die Parteispitzen von CDU und CSU kamen zusammen, um inhaltliche Schwerpunkte für den Bundestagswahlkampf abzustimmen.
    Die Parteispitzen von CDU und CSU kamen zusammen, um inhaltliche Schwerpunkte für den Bundestagswahlkampf abzustimmen. Foto: Tobias Hase, dpa

    Trotz all dem Streit, wir bleiben zusammen, vorerst, schon wegen der Kinder...

    Was es in Ehekrisen gibt, das gibt es auch in der Politik. Die Liebe ist in all den Jahren irgendwo auf der Strecke geblieben. Die Verantwortung für die Familie aber zwingt zum Weitermachen. Man mag sich nicht mehr wirklich, aber man beschließt, sich weiterhin zu ertragen, um den Alltag irgendwie zu bewältigen, ohne den angerichteten Schaden zu vergrößern.

    Das zweitägige Versöhnungstreffen von CDU und CSU in München mutete in vielerlei Hinsicht genauso an. Und doch gibt es, um im Bild zu bleiben, einen gravierenden Unterschied: Es sind keine Eheleute, die sich da gezankt haben. Es sind Geschwister. Sie können sich nicht einfach scheiden lassen und sich nach neuen Partnern umsehen. Sie könnten sich schlimmstenfalls so gründlich zerstreiten, dass es kein Zurück mehr gibt – oder eben weitermachen.

    Streit zwischen Merkel und Seehofer: Eine Chronologie

    31. August 2015: «Wir schaffen das», sagt Merkel über die Bewältigung der Flüchtlingszahlen. Kurz darauf lässt sie die Grenzen offen, als Schutzsuchende massenweise von Ungarn über Österreich nach Deutschland einreisen. Seehofer nennt das einen Fehler.

    9. Oktober 2015: Der CSU-Chef droht Merkel mit einer Verfassungsklage, falls der Bund den Flüchtlingszuzug nicht eindämmen sollte. Rund zwei Monate später legt er das Vorhaben zu den Akten, nachdem sich ein CDU-Parteitag für eine deutliche Reduzierung der Zahlen aussprach.

    20. November 2015: Auf dem CSU-Parteitag in München brüskiert Seehofer die Kanzlerin auf offener Bühne. Er kritisiert sie fast eine Viertelstunde lang, während sie neben ihm steht.

    3. Januar 2016: Seehofer nennt erstmals eine konkrete Obergrenze: «maximal 200.000» Flüchtlinge pro Jahr. Merkel ist strikt dagegen.

    21. Januar 2016: Wegen seiner «tiefen Enttäuschung» bezeichnet Seehofer im Sender N-TV das Vertrauensverhältnis zu Merkel als «angeknackst».

    22. Januar 2016: Merkel sagt auf dem CDU-Neujahrsempfang in Greifswald, dass die Zahl der Flüchtlinge «spürbar reduziert» werden müsse.

    10. Februar 2016: Seehofer nennt die Grenzöffnung für Flüchtlinge im Herbst 2015 «eine Herrschaft des Unrechts».

    Ende Februar 2016: Ob seine Partei Merkel wieder als Kanzlerkandidatin unterstützen werde? «Nächste Frage», sagt Seehofer dem «Spiegel».

    25. Juni 2016: Bei einer Unionsklausur in Potsdam bemühen sich Merkel und Seehofer um Einigkeit. Sie kündigen sechs CDU/CSU-Kongresse zu gesellschaftlichen Themen für die kommenden Wochen an. Bereits zuvor hatte Seehofer wieder «ein Fundament des Vertrauens» erkannt.

    Mitte September 2016: Merkel sagt der «Wirtschaftswoche», sie wolle ihren Wir-schaffen-das-Satz «am liebsten kaum noch wiederholen».

    19. September 2016: Nach dem CDU-Wahldesaster in Berlin gibt Merkel in Sachen Flüchtlingspolitik zu, «dass wir eine Zeit lang nicht ausreichend Kontrolle hatten». Seehofer begrüßt diese Stellungnahme.

    24. Oktober 2016: Seehofer sagt, dass er keine CSU-Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl anstrebt - schließt sie aber auch nicht völlig aus.

    5. November 2016: Merkel nimmt erstmals nicht an einem CSU-Parteitag teil. Ein Antrag, dass die CSU keine weitere Amtszeit Merkels unterstützen solle, fällt bei den Delegierten allerdings durch.

    20. November 2016: Merkel kündigt ihre vierte Kanzlerkandidatur an.

    24. November 2016: Der CSU-Chef macht eine Begrenzung der Zuwanderung zur Bedingung für eine erneute Regierungsbeteiligung. Später präzisiert er, dass er ohne Obergrenze lieber in die Opposition gehen würde.

    5. Dezember 2016: Ein CDU-Parteitag spricht sich gegen die doppelte Staatsbürgerschaft aus. Merkel will den Beschluss nicht umsetzen. Doch Seehofer ist zufrieden mit der «Gesamtentwicklung» der CDU.

    30. Januar 2017: Der CSU-Vorstand gibt einstimmig grünes Licht, Merkel auch zur eigenen Kanzlerkandidatin auszurufen.

    6. Februar 2017: In einer Sitzung beider Parteipräsidien erklärt Seehofer offiziell die Unterstützung der CSU für Merkel. dpa

    Horst Seehofer hat den Streit über die Obergrenze für Flüchtlinge bis zur Obergrenze ausgereizt. Er hat geschimpft, gezetert, gedroht. Seine Attacken auf Angela Merkel dienten vor allem einem Zweck: Den Unzufriedenen in der Gesellschaft wie auch dem rechts- und nationalkonservativen Publikum in Bayern und auch in Deutschland zu signalisieren: Die CSU ist anders.

    CSU kann ihre Stellung in Bayern verteidigen

    Glaubt man den Umfragen, hatte er damit bisher Erfolg. Während die CDU an Zustimmung einbüßte, scheint die CSU ihre Ausnahmestellung in Bayern verteidigen zu können, obwohl angeblich auch hier schon zehn Prozent die AfD wählen würden. Für die CSU ist das existenziell. Ihr geht es nicht nur um die Bundestagswahl 2017. Bei allem, was Seehofer sagt und tut, geht es immer auch um die Landtagswahl 2018. Das ist sein wichtigster Orientierungspunkt. Er kämpft um den Nimbus der CSU.

    Mit dem Treffen in München soll nun ein neues Signal gesetzt werden: CDU und CSU seien zwar zwei verschiedene Parteien, aber eine Union. Die entscheidende Frage lautet: Hat diese Aussage Substanz oder ist sie nur eine taktische Floskel, die das Zerwürfnis in der Flüchtlingspolitik zwischen Seehofer und Merkel bis zum Wahlabend überdecken soll?

    Seehofer will seine Forderungen wieder herunterspielen

    Tatsächlich gibt es, wie Politiker beider Parteien in München gebetsmühlenartig wiederholten, einen großen Fundus an Gemeinsamkeiten in der Union. Und der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass CDU und CSU auch in früheren Wahlkämpfen nicht schlecht damit gefahren sind, unterschiedliche Akzente zu setzen. Das Problem ist nur, dass es in der Vergangenheit rechts von der Union keine derart ernsthafte Konkurrenz gab, und dass Seehofer vor diesem Hintergrund die Forderung nach einer Obergrenze für Flüchtlinge zu einem Ultimatum für eine Regierungsbeteiligung der CSU gemacht hat. Auch wenn er jetzt versucht, die Sache aus wahltaktischen Gründen wieder herunterzuspielen – mit früheren reinen CSU-Forderungen im Vorfeld einer Bundestagswahl (Pkw-Maut, Betreuungsgeld) ist das nicht zu vergleichen. Es geht dabei um eine sehr grundsätzliche Richtungsentscheidung.

    Mit der Frage, wie ernst das zu nehmen ist, lassen CDU und CSU die Wähler allein. Das Spektrum möglicher Antworten reicht von „wir werden uns dann schon auf irgendeine Formel verständigen können, mit der alle leben können“ bis hin zu „die CDU wird einlenken müssen – notfalls halt ohne Merkel“.

    Ihren Frieden hat die CSU mit Merkel nicht gemacht. Sie hat sie nur zu ihrer Kandidatin ausgerufen. Das ist wie in der Ehekrise. Der Vater sagt zu den Kindern, seid lieb zu Mutti. In Wirklichkeit aber denkt er anders. Und sie weiß das. 

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