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Leitartikel: Was versteht man unter Missbrauch?

Leitartikel

Was versteht man unter Missbrauch?

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    Ein "Vorsicht Kinder"-Schild, in Ettal in Sichtweite des Klosters Ettal. Foto: Steffi Loos/ddp
    Ein "Vorsicht Kinder"-Schild, in Ettal in Sichtweite des Klosters Ettal. Foto: Steffi Loos/ddp Foto: sl/mw

    Erst redet keiner, dann einer, dann alle. Einfach jeder hat plötzlich etwas zu sagen zu dem Thema, das inzwischen zum Gesprächsstoff geworden ist. Viele äußern sich, meist reden sie aneinander vorbei.

    Dieser Mechanismus lässt sich immer beobachten, wenn ein Skandal öffentlich (gemacht) wird. Kindesmissbrauch - nicht nur in katholischen Einrichtungen - ist zweifellos ein Skandal, ein "Anstoß erregendes Ärgernis" im Wortsinne. Doch auch der Mechanismus selbst ist ein Ärgernis.

    Denn bei all dem Gerede um die Missbrauchsskandale droht das Wesentliche außer Acht zu geraten. Der Skandal und seine Folgen werden verkürzt zu Phrasen - "massenhafter sexueller Missbrauch", "immer mehr Fälle". Sie übertönen jegliche tiefer gehenden Gedanken. Der Mechanismus erschwert die Suche nach der Wirklichkeit, im schlimmsten Fall verzerrt er die Wirklichkeit - und verzögert damit die Aufarbeitung des Skandals.

    Das klingt abstrakt? Als die ersten Fälle von Kindesmissbrauch bekannt wurden, hielten sich die katholischen Bischöfe mit Kommentaren zurück. Schließlich gab der Augsburger Bischof Walter Mixa der "sogenannten sexuellen Revolution" eine Mitschuld an den "Verbrechen" Geistlicher - und fortan wurde hauptsächlich über Mixa und den Zölibat gestritten. Die hoch emotional geführte öffentliche Debatte löste sich zum ersten Mal vom Thema sexueller Missbrauch.

    Ein zweites Mal geschah dies während der Auseinandersetzung zwischen Robert Zollitsch, dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz, und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, der Bundesjustizministerin. Die hatte die, ihrer Ansicht nach, mangelnde Kooperationsbereitschaft der katholischen Kirche mit den Strafverfolgungsbehörden kritisiert. Zollitsch empfand das als "Attacke".

    Nun lenkt die Diskussion um die Einrichtung eines runden Tisches die Aufmerksamkeit weg vom Thema. Zu beobachten sind politische Machtspiele sondergleichen: Da schlägt Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) einen runden Tisch vor, will aber nicht sämtliche gesellschaftlich relevanten Gruppen beteiligen. Zollitsch lehnt ab. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) lädt daraufhin alle zu Tisch. Zollitsch ist zufrieden.

    Bald reden also wieder viele - hoffentlich nicht aneinander vorbei. Das Thema Kindesmissbrauch verdient, endlich, eine ernsthafte und grundlegende Analyse. Am Beginn sollte eine Begriffsklärung stehen. Was genau meint man mit "Missbrauch", was mit "Misshandlung"? Es ist wichtig zu wissen, wovon man spricht, um die richtigen Schlüsse zu ziehen. Von Daniel Wirsching

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