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Leitartikel: IS-Terror ist keine ferne Gefahr

Leitartikel

IS-Terror ist keine ferne Gefahr

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    Warum? Diese Frage stellen verzweifelte Angehörige und Freunde der Terror-Opfer von Tunesien. Im Leben der Getöteten sind aber keine Antworten zu finden. Sie haben sich nichts zuschulden kommen lassen. Sie haben weder Sicherheitshinweise missachtet noch sich leichtsinnig verhalten. Die Antwort auf die Frage nach dem Warum ist von schockierender Banalität: Die Urlauber wurden getötet, weil sie Touristen, und – in vielen Fällen – zudem Engländer waren. Sie waren zur falschen Zeit am falschen Ort. Ein feiger Attentäter, der Unschuldige töten wollte, konnte die arglosen Urlauber mühelos erschießen.

    Großbritannien gehört der von den USA angeführten Koalition an, die mit Luftangriffen gegen die Terrormiliz Islamischer Staat im Irak und in Syrien kämpft. Deswegen sind Engländer jetzt besonders stark bedroht. Rache kann man das Motiv des Todesschützen nicht nennen. Denn rächen kann man sich nicht an Unschuldigen. Es ist vielmehr Hass, blindwütiger Hass, dem diese hinterhältige Tat entsprungen ist.

    Der 23-jährige Student, der am Strand von Sousse 38 Menschen erschoss, hat sich offenbar im Zuge seines Studiums in der im Landesinneren gelegenen Stadt Kairouan radikalisiert. Nach dem Arabischen Frühling ließ in Tunesien der Druck auf die Islamisten nach, und die Stadt mit den vielen berühmten Moscheen entwickelte sich zu einem Zentrum des Salafismus. Dessen Prediger lehren einen Islam, der sich an den Sitten und der Lebensweise zu Zeiten des Propheten Mohammed im siebten Jahrhundert orientiert. Sie verurteilen das moderne Leben, zu dem in Tunesien seit Jahrzehnten der Tourismus aus dem Westen gehört.

    Terrorgefahr durch IS in Europa ernst zu nehmen

    Jetzt will die Regierung die Strände besser bewachen lassen und 80 Moscheen schließen, in denen Hassprediger ihr Unwesen treiben. Warum nur tat sie das nicht bereits im März nach dem Anschlag auf das Bardo-Museum in Tunis, bei dem 22 Touristen getötet wurden? Und warum verhielt sich der Staat bisher generell so lax gegenüber dem militanten Islamismus? Es gibt darauf drei Antworten: Erstens wollte das „neue“ Tunesien die Repression lockern, die über Jahrzehnte vom Ben-Ali-Regime ausgeübt worden war. Zweitens hielt die gemäßigt islamistische Ennahda-Partei, die die erste freie Wahl 2011 haushoch gewann, ihre schützende Hand über radikale Islamisten. Und drittens hat Tunesien trotz der Entwicklung zur Demokratie bis heute ausgesprochen schwache staatliche Institutionen.

    Das Land braucht also Hilfe und sollte die Angebote, die westliche Politiker gestern machten, annehmen. Ohne neue und glaubwürdige Sicherheitsanstrengungen wird der Tourismus, einer der wichtigsten Devisenbringer, auf lange Zeit wegbrechen.

    Aber die Gefahr, Terror-Opfer zu werden, droht nicht nur in Tunesien. Potenziell kann das überall geschehen. Der Islamische Staat, der in seinem Herrschaftsgebiet die schlimmsten Verbrechen verübt, kann über fanatische Einzeltäter auf der ganzen Welt zuschlagen. Der britische Premierminister David Cameron hat recht, wenn er den Krieg gegen den IS zum „Kampf unserer Generation“ erklärt.

    Dies bedeutet, dass die menschenverachtenden Terroristen aus den von ihnen besetzten Gebieten im Nahen Osten vertrieben werden müssen. Es bedeutet aber auch, dass in Europa die Terrorgefahr ernst zu nehmen ist. Die Anschläge von Paris und Kopenhagen, das verhinderte Attentat auf ein Radrennen in Oberursel bei Frankfurt und jetzt der grässliche Mord an einem Mann im französischen Lyon – alles Beispiele aus diesem Jahr – zeigen, dass die Einschläge näherkommen.

    Paris, Kopenhagen, Oberursel, Lyon…

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