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Leitartikel: Entscheiden Lügen die nächste Bundestagswahl?

Leitartikel

Entscheiden Lügen die nächste Bundestagswahl?

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    Über Soziale Netzwerke verbreiten sich im Internet schnell Falschmeldungen.
    Über Soziale Netzwerke verbreiten sich im Internet schnell Falschmeldungen. Foto: Silas Stein, dpa (Symbolbild)

    Lange haben Politiker „dieses Internet“ als Spielwiese für Wichtigtuer, Spinner und Verschwörungstheoretiker abgetan. Das Geblubber im Netz kümmerte sie allenfalls am Rande. Doch spätestens seit dem Wahlsieg von Donald Trump geht auch in Deutschland die Angst um.

    Lassen sich die Wähler von dunklen Mächten lenken, die ganz gezielt falsche Nachrichten im Netz verbreiten? Entscheiden Lügen die nächste Bundestagswahl? Diese Befürchtung mag übertrieben klingen. Aus der Luft gegriffen ist sie nicht, wie ein aktueller Fall zeigt.

    Im Netz werden gezielt Falschaussagen gestreut

    Renate Künast hat es nicht gesagt. Und doch lesen das Zitat bald hunderttausende Menschen. Nach dem Mord an der Freiburger Studentin Maria verbreitet unter anderem ein Schweizer Rechtspopulist folgende Aussage der Grünen-Politikerin über Facebook: „Der traumatisierte junge Flüchtling hat zwar getötet, man muss ihm aber jetzt trotzdem helfen.“

    Um die vermeintliche Nachricht glaubhafter zu machen, nennt der Mann sogar eine seriöse Quelle, die Süddeutsche Zeitung. Nur: Das alles ist frei erfunden. Die Empörung über Künast ist trotzdem groß – nicht nur im Netz. Kaum jemand macht sich die Mühe, den Wahrheitsgehalt der Meldung zu prüfen. Facebook tut trotz aller Proteste tagelang nichts.

    Wem also kann man noch trauen? Das Netz ist dumm und böse, schimpfen die einen. Gegen die „Lügenpresse“ hetzen die anderen. Und die Politiker selbst sind für viele Leute ungefähr so glaubwürdig wie ein Gebrauchtwagenhändler.

    Das Internet führt Millionen von Gleichgesinnten zusammen

    Das größte Problem mit der Wahrheit ist ja, dass es oft mehrere davon gibt. Die meisten Menschen hören am liebsten das, was zu ihrer persönlichen Wahrheit passt. Klar, das war früher am Stammtisch schon so. Doch das Internet führt mithilfe gesammelter Nutzerdaten Millionen von Gleichgesinnten zusammen.

    Facebook oder Google liefern den Nutzern ganz automatisch jene Nachrichten, die sie in ihrer Meinung bestärken. Und wenn die Zeitungen oder das Fernsehen etwas anderes berichten? Wenn die Regierung widerspricht? Wenn jemand versucht, mit Fakten dagegenzuhalten? Dann schimpfen die Gleichgesinnten gemeinsam über die „Lügenpresse“ oder das „Establishment“. Das kann man nun beklagen – nur bringen wird es nichts. Wer soziale Netzwerke als Hort der Verdummung abtut, wird eher eine Trotzreaktion auslösen und macht sie damit noch mächtiger.

    Ja, es ist verstörend, wenn Facebook für die Verbreitung von Falschmeldungen missbraucht wird und nichts dagegen unternimmt. Nur wer soll unter den Milliarden von Meldungen jeden Tag Wahres von Unwahrem trennen? Und wäre das nicht eine Form der Zensur?

    Lügen verbreiten sich schneller als früher

    Machen wir uns nichts vor: Die Lüge ist älter als das Internet. Und in den computerlosen Wahlkämpfen wurde genauso gelogen. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied: Das Tempo und die Zahl der Menschen, die man mit Falschmeldungen erreicht, sind heute viel höher. Politiker – und Journalisten – müssen lernen, mit dieser neuen, gezielten Form der Propaganda umzugehen. Dazu gehört auch Ehrlichkeit zu sich selbst: Wer den Anspruch erhebt, die Wahrheit allein für sich gepachtet zu haben, macht sich unglaubwürdig.

    Niemand kann verhindern, dass falsche Nachrichten verbreitet werden. Deshalb ist es umso wichtiger, offenzulegen, wer dahintersteckt. Wer ein Interesse daran hat, bestimmte Stimmungen zu erzeugen. Gegen Lügen helfen nur Fakten. Denn im Internet sind eben nicht nur beliebig manipulierbare Naivlinge unterwegs. Immer mehr Menschen suchen dort nach Erklärungen. Sie wollen nicht nur eine vermeintliche Wahrheit vorgesetzt bekommen. Sie wollen von der Wahrheit überzeugt werden.

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