Der langjährige erbitterte Streit um die „Ehe für alle“ ist politisch entschieden, die Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften mit der Ehe vollzogen. SPD, Grüne und Linkspartei haben Angela Merkels wahltaktisches Manöver, die Abstimmung im Bundestag zur „Gewissensentscheidung“ zu erklären, entschlossen genutzt, um ihrem gesellschaftspolitischen Lieblingsprojekt zum Durchbruch zu verhelfen. Das konservative, am Althergebrachten hängende Lager ist besiegt und nimmt den Triumph des Zeitgeistes und seiner Herolde teils resignativ, teils achselzuckend, teils empört zur Kenntnis.
Der Protest gegen diese gesellschaftspolitische Umwälzung fällt eher leise aus. CDU und CSU, die Bannerträger der traditionellen Ehe, nehmen den Kurswechsel ihrer Führungen hin – sei es aus Gefolgschaftstreue, sei es aus Erleichterung über ein abgeräumtes brisantes Thema. Und die großen Kirchen mit ihren fast 50 Millionen Mitgliedern? Die evangelische, die gerne an der Spitze des Fortschritts marschiert, findet die „Ehe für alle“ gut.
Die katholische Kirche, deren deutscher Papst Benedikt die Homo-Ehe als „Zerstörung von Gottes Werk“ geißelte, bekräftigt zwar – wie die Union – ihr grundsätzliches Nein, reagiert jedoch sehr moderat. In Frankreich und Spanien haben Bischöfe Großdemonstrationen organisiert. In Deutschland sagt Kardinal Marx, dass die „christliche Auffassung von Ehe und das staatliche Konzept weiter auseinandergehen“. In diesen wohldosierten Worten steckt das Eingeständnis, den Wandel der Gesellschaft und ihrer Wertvorstellungen nicht aufhalten zu können.
Ehe laut Verfassung unter "besonderem Schutz" des Staates
Nun ist es ja so, dass durch die Öffnung der Ehe weder das Abendland noch Gottes Schöpfung untergehen werden. Den "normalen" Ehen (es gibt rund 17 Millionen) wird nichts genommen, wenn einige zehntausend homosexuelle Paare heiraten und damit vollends gleichgestellt werden. Die Mehrheit der Bevölkerung nimmt daran keinen Anstoß mehr. Auch die Ehe unterliegt dem Wandel der Zeiten. Der liberale Staat regelt den Rechtsrahmen, befindet aber nicht darüber, was "natürlich" oder moralisch ist. Auf einem anderen Blatt steht, dass Ehe und Familie zu Recht als Fundament der Gesellschaft gelten und jeder Eingriff in dieses bewährte Gefüge gut bedacht sein muss.
Welcher Abgeordnete aus der Region stimmte wie ab? Hier erfahren Sie es:
Dies umso mehr, als die Ehe laut Verfassung unter dem "besonderen Schutz" des Staates steht und nach bisheriger Rechtsprechung die Verbindung von Mann und Frau ist – weil nur die Ehe darauf ausgerichtet ist, Kinder hervorzubringen. Die Neudefinition per einfachem Gesetz geht also ans Eingemachte. Es ist daher zwingend erforderlich, eine Entscheidung in Karlsruhe herbeizuführen und zu klären, ob die "Ehe für alle" einer Grundgesetzänderung bedarf. Dies wäre nicht nur im Sinne der Rechtssicherheit. Es diente auch jenem "gesellschaftlichen Frieden" (Merkel), der auch die Bereitschaft voraussetzt, die Einwände einer starken, traditionell denkenden und empfindenden Minderheit sorgfältig zu prüfen und nicht als "homophob" oder reaktionär abzutun.
So oder so ist die politische Mehrheit klug beraten, wenn sie Reformen von solcher Tragweite mit einem möglichst breiten Konsens abzufedern versucht. Dazu gehört auch eine Antwort auf die Frage, was genau es mit dem Begriff "Ehe für alle" auf sich hat. Bleibt es bei der Begrenzung auf eine Zweierbeziehung, oder ist künftig – im Namen des Fortschritts – vielfältigsten "Ehe"-Formen mitsamt der Leihmutterschaft Tür und Tor geöffnet? Käme es so, stünde tatsächlich ein Fundament unserer Gesellschaft auf dem Spiel. Ein Karlsruher Urteil böte auch Gelegenheit, hier beizeiten eine rote Linie einzuziehen.
In unserer interaktiven Karte sehen Sie, welche Rechte Homosexuelle in verschiedenen Ländern haben: