Nach der Reform ist vor der Reform. Als Parteipolitiker hat Alexander Dobrindt mit der Pkw-Maut sein Meisterstück gemacht und das Prestigeprojekt der CSU gegen große Widerstände durchgeboxt. Für den Verkehrsminister Dobrindt aber sind die jährlich 500 Millionen Euro, die der Staat mit ihrer Hilfe zusätzlich einnehmen will, nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Das in die Jahre gekommene Straßen- und Schienennetz in Deutschland hält er damit nicht in Schuss.
Die Infrastruktur ist die Schlagader unserer Wirtschaft: Sie darf nicht verstopfen, weil sonst das Risiko eines ökonomischen Infarkts steigt. Erste Symptome dafür diagnostiziert eine Umfrage unter Spitzenmanagern aus aller Welt: Danach sind selbst in einem Krisenland wie Portugal die Straßen heute in einem besseren Zustand als in Deutschland – eine niederschmetternde Diagnose für Europas stärkste Volkswirtschaft und in einer arbeitsteiligen Ökonomie ein echter Standortnachteil.
Bis zum Jahr 2030 soll der Personenverkehr in der Bundesrepublik überdies um zwölf und der Güterverkehr um 38 Prozent zulegen: Steuert die Politik jetzt nicht gegen, wird der Stau spätestens dann die Regel sein und nicht nur eine ärgerliche Ausnahme.
Gestiegene Baupreise fordern höhere Investitionen in die Infrastruktur
Der Streit um die Maut hat viele andere Probleme der Verkehrspolitik eine Wahlperiode lang in den Hintergrund gedrängt: Den Mangel an Ingenieuren in den Planungsabteilungen etwa, der in vielen Bundesländern zu dem grotesken Ergebnis führt, dass vorhandene Mittel nicht abgerufen werden, weil es nicht genug baureife Projekte gibt. Oder die gestiegenen Baupreise, die unterm Strich dazu führen, dass die öffentliche Hand zwar mehr Geld ins Verkehrsnetz steckt, deswegen aber nicht mehr gebaut und saniert bekommt als bisher auch.
In den Jahren 2005 bis 2015, das nur als Beispiel, hat der Staat seine Investitionen in Straßen, Brücken, Schienen- und Wasserwege um annähernd 20 Prozent gesteigert, in der gleichen Zeit aber haben die Bauunternehmen ihre Preise nach Berechnungen der Commerzbank um ein Drittel angehoben. De facto sind die Bauinvestitionen also gefallen und nicht gestiegen. Deutschland fährt weiter auf Verschleiß.
Mehr Geld für die Straßensanierung ist nötig
Nach dem Kraftakt um die Pkw-Maut ist die Zeit nun reif für einen zweiten, ungleich größeren Kraftakt: Mit Sonderprogrammen für marode Brücken oder drei, vier Milliarden Euro mehr an jährlichen Ausgaben wird sich der Investitionsstau nicht auflösen und der rasant zunehmende Verkehr nicht in geordnete Bahnen lenken lassen.
Das heißt: Die nächste Bundesregierung, wer immer sie stellt, wird deutlich mehr Geld in die Hand nehmen oder sich neue Einnahmequellen erschließen müssen. Das kann privates Kapital sein, das in die geplante Autobahngesellschaft fließt, oder die Rückbesinnung auf eine alte, 1989 abgeschaffte Regelung: Bis dahin flossen die Einnahmen aus der Mineralölsteuer direkt in den Straßenbau. Heute versickern annähernd 40 Milliarden Euro in der Anonymität des Bundeshaushaltes – eine Summe, gegen die sich die erhofften Erlöse aus der Pkw-Maut wie ein Taschengeld ausnehmen, und mit der sich nicht nur das Verkehrsnetz, sondern auch die digitale Infrastruktur rasch auf Vordermann bringen ließe.
Auf gut 260 Milliarden Euro schätzt Dobrindt alleine den Investitionsbedarf für Straßen, Schienen und Wasserstraßen des Bundes in den nächsten 15 Jahren. Er selbst kann sich zugutehalten, dass in seiner Regierungszeit die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit nicht größer geworden ist. Solange im internationalen Vergleich aber Portugal, die Niederlande und Taiwan vor Deutschland liegen, kann auch der couragierteste Verkehrsminister nicht zufrieden sein.