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Leitartikel: Deutschland darf vor Erdogan nicht kuschen

Leitartikel

Deutschland darf vor Erdogan nicht kuschen

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    Die deutsche Kanzlerin und der türkische Staatspräsident Erdogan in Istanbul im Mai 2016.
    Die deutsche Kanzlerin und der türkische Staatspräsident Erdogan in Istanbul im Mai 2016. Foto: Michael Kappeler (dpa)

    Wie tief steht die Bundesrepublik eigentlich in der Schuld der Türkei? So tief, dass Deutschland seine eigenen Interessen hintanstellen muss? Das ist nicht der Fall, und so weit darf es auch nicht kommen. Der Flüchtlings-Deal zwischen der

    Das gilt für das Thema Wahlkampf auf deutschem Boden. Erdogan hat in der Vergangenheit mehrfach vor Anhängern in Deutschland gesprochen und sich feiern lassen. In „normalen“ Zeiten ist das zu tolerieren. In einer aufgeladenen Situation, wie sie derzeit herrscht, muss dies aber anders beurteilt werden. Die Lage in der Türkei ist heute geprägt vom wieder aufgeflammten Konflikt zwischen Türken und Kurden, vom Ausnahmezustand, der nach dem gescheiterten Putsch im vergangenen Juli verhängt wurde, und vom Versuch Erdogans, sich eine neue, autoritäre Verfassung am 16. April vom Volk absegnen zu lassen. Dieses Ansinnen ist heftig umkämpft und spaltet die Gesellschaft in der Türkei.

    Wenn der Präsident oder Vertreter der türkischen Regierungspartei AKP mit Blick auf das Referendum auf deutschem Boden Wahlkampf machen, besteht die Gefahr, dass dies zu Konflikten in der hiesigen „türkischen Gemeinde“ führt. Deswegen sollte den Auftritten ein Riegel vorgeschoben werden. Natürlich kann Vertretern eines befreundeten Staates nicht die Einreise verwehrt werden. Aber man kann Ankara vorsorglich darauf hinweisen, dass Wahlkampfauftritte derzeit nicht erwünscht sind, wie das der österreichische Außenminister Sebastian Kurz getan hat. Und wenn sich konkrete Probleme abzeichnen, sollten Veranstaltungen verboten werden. Die Stadt Gaggenau ist dafür zu loben.

    Erdogans Kalkül kann nicht aufgehen

    Mit dem umstrittenen Verfassungsentwurf möchte Erdogan das politische System der Türkei umkrempeln. Statt des Parlaments soll der Präsident zum Machtzentrum werden: Er soll die Minister berufen, Verordnungen erlassen und die Justiz kontrollieren. Das Prinzip der Gewaltenteilung wird unterminiert, der Weg in ein autoritäres Regime geebnet. Erdogan hatte seine Verdienste. Er hat die türkische Wirtschaft vorangebracht und Reformen begonnen. Das war einmal. Heute geht es wirtschaftlich bergab, der EU-Beitritt wird unmöglich, sobald die Todesstrafe eingeführt wird, und die Demokratie droht demontiert zu werden.

    Erdogans Kalkül, als starker Führer die Türkei aus der Krise zu führen, kann nicht aufgehen. Er selbst möchte an die Glanzzeit der Sultane des Osmanischen Reiches anknüpfen. Aber ihm folgt nicht die ganze Nation. Er hat sich zu viele Feinde geschaffen: durch seine Politik der Islamisierung des Alltagslebens, durch die Aufkündigung der Versöhnungsgespräche mit den Kurden und durch die Polizeigewalt, mit der er auf die Demonstrationen einer selbstbewusster werdenden Zivilgesellschaft reagiert hat. Seit dem Putschversuch ist die Eskalation sogar dramatisch fortgeschritten: Jetzt werden im Namen eines angeblichen Kampfes gegen den Terrorismus die Grundrechte geschliffen. Auch der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel leidet darunter.

    Erdogan müssen Grenzen gesetzt werden. Die Bundesregierung und die anderen Nato-Staaten sollten dem Präsidenten klarmachen, dass eine von einem Autokraten beherrschte Türkei keinen Platz in einem Bündnis demokratischer Staaten haben kann.

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