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Landtagswahl: In der CSU wächst die Kritik an Horst Seehofer

Landtagswahl

In der CSU wächst die Kritik an Horst Seehofer

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    Seine Asylpolitik sorgt für Ärger, auch in der eigenen Partei. "Keiner weiß was er als nächstes macht", sagt ein CSU-Politiker über Parteichef Seehofer.
    Seine Asylpolitik sorgt für Ärger, auch in der eigenen Partei. "Keiner weiß was er als nächstes macht", sagt ein CSU-Politiker über Parteichef Seehofer. Foto: Kay Nietfeld (dpa)

    Drei Monate vor der Landtagswahl in Bayern ist die Stimmung in der CSU so schlecht wie lange nicht mehr. Nicht offiziell, versteht sich. In ihren Reden mühen sich die Parteioberen wie Ministerpräsident Markus Söder um gute Mienen und motivierende Worte. Doch hinter den Kulissen der einst stolzen Partei geht schon lange ein Gespenst um - das Gespenst der Angst vor dem Verlust der absoluten Mehrheit im Freistaat und dem dann drohenden Gang in die (bundes)politische Bedeutungslosigkeit. Und wer ein wenig weiter bohrt, erfährt auch schnell, wen die Partei derzeit alleine für die ungemütliche Gemütslage verantwortlich macht: ihren eigenen Chef, den auch außerhalb der

    "Horst Seehofer hat die CSU in den vergangenen Wochen lächerlich gemacht", sagt ein CSU-Vorstand. Ein anderer spricht von Fremdschämen und unverzeihlichen Fehlern eines verbitterten Mannes. Wie so viele in der CSU wollen auch diese beiden ihre Namen nicht in den Medien lesen. "Spätestens mit seiner Aussage zu den 69 abgeschobenen Afghanen an seinem 69. Geburtstag hat er jedes Maß verloren. Er ist unkontrollierbar, ein freies Radikal, isoliert und unberechenbar."

    Petition fordert Seehofers Rücktritt

    Seehofers Charakterisierung aus den eigenen Reihen ist eine Bankrotterklärung, die schon länger bei Politikern anderer Parteien, in den Medien und in immer größer werdenden Teilen der Gesellschaft existiert. Mehr als 100 000 Menschen unterzeichneten eine Petition im Internet, die seinen Rücktritt fordert. "Ihr Handeln zeugt nicht nur von schlechtem Stil sondern auch vom Verfall moralischer Werte. Darüber hinaus treten Sie den Rechtsstaat mit Füßen", heißt es dort.

    "Er ist spätestens seit dem Asylstreit mit der Kanzlerin (Angela Merkel, CDU) außer Kontrolle", betont ein CSU-Abgeordneter aus dem Bundestag. Auch wenn er in der Sache Rückendeckung der Partei habe, "hat sein Stil alles kaputt gemacht - Merkel beleidigen, dann der Rücktritt von seiner übereilten Rücktrittsforderung und jetzt dieser geschmacklose Scherz zu den Abschiebungen". Seehofer hatte gesagt: "Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 - das war von mir nicht so bestellt - Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden." 

    CSU uneins über die Erklärung für Seehofers Verhalten

    So einig sich die CSU-Politiker bei der Wertung Seehofers sind, so vielfältig fallen die Erklärungsmuster aus: "Er ist innerlich ausgebrannt und erschöpft", sagt ein einflussreicher CSU-Kopf, der Seehofer schon lange kennt. Andere sehen es als Retourkutsche für den Verlust seines Ministerpräsidentenamtes nach der Bundestagswahl.

    "Ich bin ein freier Mensch und als solcher agiere ich auch. Ohne Ängste oder Alpträume", beschrieb Seehofer schon vor Jahren seine innere Balance. Sein Antrieb sei dabei der Spaß an der Arbeit und die Möglichkeit, etwas zu bewegen. Lange Jahre hat die CSU von Seehofers Unberechenbarkeit und seinem politischen Gespür profitiert. Doch die CSU hat jenen Trumpf des 69-Jährigen längst selbst fürchten gelernt. Die Situation sei noch dramatischer, da Seehofer längst für seine eigene Partei kaum noch erreichbar sei, heißt es unisono.

    Um die Asylkrise in der Union geht es auch in unserem Podcast. Jetzt hier reinhören:

    Kein Parteichef-Wechsel vor der Landtagswahl

    "Keiner weiß, was er als nächstes macht. Es scheint, als nehme er auch einen Schaden an seiner CSU billigend in Kauf", betont ein führendes Vorstandsmitglied, das aber auch die Partei in der Verantwortung sieht: "Wir hätten letztes Jahr nach der Bundestagswahl einen sauberen Schnitt machen müssen und Seehofer nicht wieder zum Parteichef wählen dürfen." Doch trotz der historischen Pleite von 38,8 Prozent durfte Seehofer weitermachen. Als CSU-Trumpf für die Bundesregierung und Vorkämpfer für die Koalitionsverhandlungen wurde er für zwei weitere Jahre zum Parteichef gewählt.

    Drei Monate vor der "Mutter aller Wahlen", wie die CSU die Landtagswahl gerne nennt, ist ein Wechsel an der Parteispitze undenkbar. Alle fürchten, dass ein sicherlich schmutziger Machtkampf die CSU vor der Landtagswahl am 14. Oktober endgültig zerreißen könnte. Und genau deshalb, da sind sich die CSU-Politiker einig, gibt es bisher keine Revolte, hält die Partei still, arbeitet mit geballter Faust in der Tasche weiter.

    Chronologie: Der Asyl-Streit zwischen CSU und CDU

    31. August 2015: "Wir schaffen das", sagt Merkel über die Bewältigung der Flüchtlingszahlen. Kurz darauf schließt sie nicht die Grenzen, als Schutzsuchende massenweise von Ungarn über Österreich nach Deutschland einreisen. Seehofer nennt das einen Fehler.

    9. Oktober 2015: Der CSU-Chef droht mit einer Verfassungsklage, falls der Bund den Flüchtlingszuzug nicht eindämmen sollte. Nach einer Aussprache mit der CDU legt er das Vorhaben kurz darauf ad acta.

    20. November 2015: Auf dem CSU-Parteitag in München kritisiert Seehofer die Kanzlerin auf offener Bühne, während sie neben ihm steht.

    3. Januar 2016: Seehofer fordert erstmals eine konkrete Obergrenze: maximal 200.000 neue Flüchtlinge pro Jahr. Merkel ist strikt dagegen.

    9. Februar 2016: Seehofer nennt die offenen Grenzen für Flüchtlinge im Herbst 2015 "eine Herrschaft des Unrechts".

    4./5. November 2016: Merkel nimmt erstmals nicht an einem CSU-Parteitag teil.

    20. November 2016: Merkel kündigt ihre vierte Kanzlerkandidatur an.

    24. November 2016: Der CSU-Chef macht eine Begrenzung der Zuwanderung zur Bedingung für eine erneute Regierungsbeteiligung.

    6. Februar 2017: Seehofer erklärt offiziell, die CSU unterstütze Merkel bei der Bundestagswahl. Zuvor war lange ein eigener Kanzlerkandidat nicht ausgeschlossen.

    1. April 2017: In einem Interview bezeichnet Seehofer Merkel als "unser größter Trumpf". Nur mit ihr sei die Wahl zu gewinnen.

    3. Juli 2017: Eine Obergrenze für Flüchtlinge kommt im Wahlprogramm der Union nicht vor. Im gesonderten CSU-Programm "Bayernplan" wird sie aber festgehalten. Seehofer macht sie erneut zur Koalitionsbedingung.

    20. August 2017: In einem Interview nennt Seehofer eine Obergrenze nicht mehr ausdrücklich als Bedingung für eine Koalition nach der Wahl.

    24. September 2017: Trotz Verlusten gewinnt die Union die Bundestagswahl, doch die CSU stürzt auf für ihre Verhältnisse katastrophale 38,8 Prozent ab. Fehler der Union im Wahlkampf sieht Merkel nicht.

    8. Oktober 2017: Vor anstehenden Gesprächen mit anderen Parteien über mögliche Koalitionen verständigen sich CDU und CSU auf das Ziel, maximal 200.000 Flüchtlinge pro Jahr aufzunehmen. Ausnahmen sind möglich. Das Wort "Obergrenze" taucht in der Einigung nicht auf.

    15. Dezember 2017: Merkel ist wieder auf dem CSU-Parteitag zu Gast. Die Schwesterparteien demonstrieren Geschlossenheit.

    12. März 2018: Union und SPD unterschreiben ihren Koalitionsvertrag. Seehofer wird als Innenminister in Merkels viertem Kabinett zuständig für Migration und Flüchtlinge. Er kündigt einen "Masterplan für schnellere Asylverfahren und konsequentere Abschiebungen" an.

    15. März 2018: Seehofer sagt: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland." Die Kanzlerin grenzt sich von ihm ab.

    10. Juni 2018: In der ARD-Sendung "Anne Will" spricht sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegen die CSU-Forderung nach einer Zurückweisung bestimmter Asylbewerber an der deutschen Grenze aus. Sie wolle, dass Deutschland "nicht einseitig national" handle.

    11. Juni 2018: Seehofer verschiebt überraschend die für den Folgetag geplante Vorstellung seines Masterplans. Hintergrund sind Differenzen mit Merkel über die Zurückweisung von Flüchtlinge an der Grenze, einem wichtigen Punkt des Masterplans.

    12. Juni 2018: Die CSU beharrt auf ihrer Forderung – und setzt auf eine Konfrontation mit der Kanzlerin: "Wir setzen den Punkt durch", sagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Unterstützung bekommt Seehofer derweil auch aus den Reihen der CDU. Das wird auch in einer gemeinsamen Sitzung der Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU deutlich.

    13. Juni 2018: Ein abendliches Krisentreffen zwischen Merkel und Seehofer endet ohne Annäherung. Merkel will zwei Wochen Zeit gewinnen und bis zum EU-Gipfel Ende Juni bilaterale Vereinbarungen mit anderen Staaten treffen. Die CSU lehnt das ab: Sie will umgehend auf nationaler Ebene handeln, bevor es mögliche europäische Schritte gibt.

    14. Juni 2018: Der Konflikt eskaliert: Eine laufende Bundestagsdebatte muss unterbrochen werden, die Abgeordneten von CDU und CSU beraten in getrennten Sitzungen mehr als vier Stunden lang über den Asylstreit. Seehofer droht Merkel mit einem "Alleingang". Eine Entlassung des Innenministers, ein Bruch der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU oder gar der Regierungskoalition – zwischenzeitlich erscheinen viele Szenarien möglich.

    15. Juni 2018: Der Bundestag befasst sich in einer aktuellen Stunde mit der Flüchtlingspolitik. Die Opposition kritisiert die Union dabei wegen des Asylstreits scharf. Derweil beharren CDU und CSU auf ihren Positionen.

    16. Juni 2018: CDU-Politiker warnen die CSU eindringlich vor einem Bruch der Union und fordern Kompromissbereitschaft.

    17. Juni 2018: Eine Annäherung zeichnet sich über das Wochenende nicht ab – die Fronten bleiben verhärtet.

    18. Juni 2018: Der Streit wird vertagt. CDU und CSU einigen sich darauf, dass Merkel zwei Wochen Zeit bekommt, um in der Flüchtlingsfrage bilaterale Abmachungen mit anderen EU-Staaten zu erreichen. Erst dann soll über mögliche Zurückweisungen an der Grenze entschieden werden, es gebe keinen "Automatismus", hob Merkel hervor. Umgehend zurückgewiesen werden sollen aber Flüchtlinge mit Einreise- oder Aufenthaltsverbot. Zugleich droht Merkel Seehofer am Montag mit ihrer "Richtlinienkompetenz" als Kanzlerin. (dpa/AFP)

    Söder schweigt zum Dilemma der CSU

    So wie am Mittwoch, als die Landtagsfraktion einen Großteil der politischen Schwerpunkte aus Söders Regierungserklärung beschloss. Doch statt des erhofften Rückenwindes für die Wahl musste die CSU ernüchtert feststellen: Medial beherrschte am Ende fast nur Seehofers Abschiebe-Fauxpas die Schlagzeilen.

    Söder will sich nicht zum aktuellen Dilemma äußern. Doch seine Meinung und Strategie dürften sich aus seinen sehr grundsätzlichen Worten zum politischen Diskurs im Landtag ablesen lassen: Ohne Seehofer direkt zu erwähnen, forderte er eine kritische Selbstreflexion des eigenen Politikstils, parteiübergreifend. Nachdem Söder im Asylstreit anfangs zu den treibenden Kräften neben Seehofer und Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zählte, hat er längst eine Vollbremsung hingelegt und müht sich um ruhige Töne.

    Wie lange der CSU-Burgfrieden hält, kann niemand sagen. "Alles ist möglich, jetzt und nach der Wahl", heißt es aus der CSU. Spätestens am 15. September auf dem CSU-Parteitag dürften sich Seehofer und seine Partei wieder auf großer Bühne in die Augen schauen. Bis dato bleibe nur die Hoffnung, immerhin habe Seehofer auch schon immer gesagt: "Ich will nicht vom Hof gejagt werden."

     (dpa/lby)

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