Die beiden Parteien von den Rändern sind die Wahlgewinner in Thüringen. Die etablierten Parteien der Mitte bringen hingegen keine Mehrheit zustande. Das sind die fünf wichtigsten Lehren aus der Landtagswahl in Thüringen.
1. Nach der Thüringen-Wahl: Die Regierungsbildung wird immer komplizierter
Oft ist davon die Rede, dass der Osten Deutschlands ein politisches Labor für die gesamte Republik ist. Wenn dem so ist, dann ist die Ära der überschaubaren und stabilen Regierungskoalitionen endgültig vorbei. In Brandenburg und Sachsen schicken sich Dreierbündnisse an, die Landesregierung zu übernehmen. Thüringen steht entweder vor völlig neuen Konstellationen oder vor einer Minderheitsregierung, die sich für ihre Projekte wechselnde Mehrheiten suchen muss.
Absolutes Neuland wäre zum Beispiel ein Bündnis zwischen Linken und CDU. Die Wähler beider Parteien sagen zu je zwei Dritteln, dass das Dogma der gegenseitigen Ablehnung überdacht werden sollte. Das gleiche gälte für ein Bündnis unter Beteiligung der AfD, was die anderen aber kategorisch ausschließen. Wahrscheinlicher ist deshalb eine Minderheitsregierung unter Ministerpräsident Bodo Ramelow. Der amtierende Regierungschef machte schon kurz nach Bekanntgabe der ersten Zahlen, wenn auch noch verklausuliert, ein entsprechendes Angebot an die anderen Parteien - mit Ausnahme der AfD.
2. Die AfD-Wähler schrecken selbst Extremisten nicht ab
Der Thüringer AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke steht innerhalb seiner rechten Partei weit rechts. Er ist Chef des sogenannten Flügels seiner Partei und träumt von einer nationalen Revolution. Das Verwaltungsgericht Meiningen sieht es in einem jüngsten Urteil als erwiesen an, dass der frühere Geschichtslehrer eine faschistische Agenda verfolgt. Die AfD-Wähler scheint das nicht abzuhalten, ihr Kreuz bei der Alternative für Deutschland machen. Durch seinen Erfolg werden Höcke und seine Verbündeten innerhalb der Partei gestärkt. Für die moderateren Kräfte wird es schwieriger, extreme Positionen im Zaum zu halten. Trotz der starken Ergebnisse in Thüringen und vor einigen Wochen in Sachsen und Brandenburg könnten die Fliehkräfte in der AfD größer werden.
3. SPD und CDU werden gerupft
Die Große Koalition im Bund hat die SPD in die schwerste Krise seit dem Krieg gestürzt. Bisher wird durch das Elend der Sozialdemokratie verdeckt, dass sich die CDU ebenfalls in schwerer See befindet. Den Sozialdemokraten laufen die Wähler in Scharen weg. Sie ist keine Volkspartei mehr und sucht gerade ein neues Führungsduo, nachdem die Genossen die erfolglose Parteichefin Andrea Nahles demontierten. In der Partei hat niemand ein Rezept, wie der Abstieg gestoppt werden kann. Einen Hoffnungsträger gibt es auch nicht.
Gleiches gilt auch für die CDU. Seit Jahren geht es bei den Wahlen bergab. Kanzlerin Angela Merkel ist immer noch sehr beliebt bei vielen Wählern im Lande, doch hinter ihr hat sich ein Loch aufgetan. Merkels Wunsch-Nachfolgerin im Kanzleramt, Annegret Kramp-Karrenbauer, patzt seit Monaten und befindet sich in einer Abwärtsspirale. Zuletzt ging sie mit dem Vorstoß baden, in Nord-Syrien eine internationale Schutzzone einzurichten. Die CDU weiß nicht, ob sie auf Merkels Kurs der Mitte bleiben oder weiter nach rechts rücken soll, um der AfD Einhalt zu gebieten.
4. Der Aufstieg der Grünen hat in Thüringen einen Dämpfer erhalten
Waren die Ergebnisse für die Grünen bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg gut, aber nicht berauschend, wurden sie in Thüringen auf den harten Boden der Realität zurückgeholt. Es reichte gerade knapp für den Einzug in den Landtag. Fehlt ein alternatives Milieu wie es sich in den Großstädten herausbilden kann, hat es die Partei schwer. Die Große Koalition hat auf Bundesebene außerdem ein großes Klimapaket auf den Weg gebracht und das lange vernachlässigte Politikfeld besetzt. Es wird interessant sein zu sehen, ob das die Grünen auch bundesweit Unterstützer kostet.
5. FDP und Linke hängen fest
Selbst wenn die Linke in Thüringen wegen ihres ungemein beliebten Ministerpräsidenten Bodo Ramelow ein Rekordergebnis eingefahren hat, steckt die Partei in einer schwierigen Lage. Selbst durch den angekündigten Rückzug von Sahra Wagenknecht als Fraktionschefin ist der Flügelkampf zwischen Orthodoxen und Realos nicht entschieden. Ihren Nimbus als Stimme des Ostens hat die Partei an die AfD verloren. Ein rot-rot-grünes Projekt im Bund würde scheitern, weil ein Teil der Partei Nato und EU ablehnt. Bis auf Ramelow ist derzeit keiner in Sicht, der die zerstrittene Partei einen könnte.
In der FDP stellt sich die Frage nach der Nummer eins derzeit nicht. Parteichef Christian Lindner führt die Liberalen unbestritten an. In den Umfragen auf Bundesebene dümpeln sie hingegen unter der Marke von zehn Prozent. Durch den Abbruch der Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition mit Grünen und der Union hat Lindner seine Partei ins Abseits manövriert. Im Falle einer Neuauflage nach den nächsten Wahlen wird die FDP als Mehrheitsbeschaffer gebraucht. Derzeit sieht es aber so aus, dass sie der deutlich schwächere Koalitions-Partner würde.
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