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Kurdenkonflikt: In diesem Krieg gibt es keinen militärischen Sieg

Kurdenkonflikt

In diesem Krieg gibt es keinen militärischen Sieg

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    Demonstration gegen die PKK in Istanbul.
    Demonstration gegen die PKK in Istanbul. Foto: Tolga Bozoglu (dpa)

    Viele Türken haben es kommen sehen und sich davor gefürchtet. Aus dem seit Juli eskalierenden Kurdenkonflikt ist ein neuer Krieg geworden, mit blutigen Anschlägen der PKK-Kurdenrebellen, Luftangriffen, einem Bodentruppeneinsatz im Nordirak und nationalistischen Lynchmobs auf den Straßen. Mehr als 30 Tote sind allein seit Sonntag zu beklagen. Türkische Eltern müssen wieder um das Leben ihrer Söhne fürchten, wenn diese zum Wehrdienst eingezogen werden. Gleichzeitig verbreiten militante Nationalisten Angst und Schrecken mit Angriffen auf unschuldige Kurden und auf Einrichtungen der prokurdisch-linken Demokratischen Partei der Völker (HDP).

    Die großen Hoffnungen auf ein dauerhaft friedliches Zusammenleben zwischen Türken und Kurden, die der Waffenstillstand der vergangenen zwei Jahre weckte, sind dahin. Erschreckend ist besonders, dass manche Türken offenbar nur allzu bereit sind, auf kurdische Mitbürger loszugehen. Dabei macht sich eine aggressive Herdenmentalität bemerkbar, die für die Zukunft nichts Gutes erwarten lässt.

    Die PKK verübt wieder Anschläge

    Ähnliches gilt für die militärische Lage in Südostanatolien. Die PKK sprengt Polizei- und Militärfahrzeuge in die Luft, Ankara antwortet mit Kampfjets und der Abriegelung ganzer Gebiete. Nach Regierungsangaben nutzte die PKK die ruhige Zeit des Waffenstillstandes, um Waffenlager anzulegen.

    Deprimierend ist, dass alle Beteiligten sehr genau wissen, dass der Kurdenkonflikt nicht mit Waffengewalt beizulegen ist. Seit mehr als 30 Jahren versprechen Regierungen und Generäle in Ankara die angeblich unmittelbar bevorstehende endgültige Niederlage der PKK. Auf der anderen Seite gibt die PKK seit mehr als 30 Jahren vor, im Namen der Kurden zu bomben und zu morden.

    Dabei steht längst fest: Es wird keinen militärischen Sieg in diesem Krieg geben. Doch obwohl das allen in der Türkei klar ist, geben sich alle Seiten im Land große Mühe, die Gräben immer weiter zu vertiefen. Brückenbauer dagegen sind rar in Ankara.

    Das sind die Kurden

    Die Kurden sind ein Volk von rund 25 bis 30 Millionen Menschen ohne eigenen Staat. Ihr Siedlungsgebiet im Nahen Osten ist mit rund 500.000 Quadratkilometern etwa so groß wie Frankreich und erstreckt sich über mehrere Staaten.

    Die meisten Kurden leben in der Türkei (mindestens 12 Millionen), im Irak (knapp 5 Millionen, im Iran (rund 5,5 Millionen) und in Syrien (bis zu 1,3 Millionen). Weitere Kurden siedeln in Armenien und Aserbaidschan.

    In der Türkei kämpft die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) seit 1984 mit blutigen Angriffen und Bombenanschlägen für einen eigenen Staat oder zumindest für Autonomie. In dem Konflikt starben bislang bis zu 40.000 Menschen.

    Die EU stuft die PKK als Terrorgruppen ein. Im Zuge der EU-Beitrittsgespräche gab Ankara den Kurden mehr kulturelle Rechte, Zugeständnisse für mehr Autonomie blieben aber aus. Immer wieder kommt es zu Angriffen kurdischer Extremisten auf türkische Sicherheitskräfte.

    Der Nordirak gilt als PKK-Rückzugsgebiet. Mehrfach griff die türkische Armee dort vermutete Kurdenstellungen an. Seit 1991 ist die Region weitgehend autonom. Nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein 2003 wurde offiziell der Zusammenschluss der drei Nordprovinzen zur "Autonomen Region Kurdistan" erklärt.

    Der Präsident und die Regierung der Autonomen Region Kurdistan" haben ihren Sitz in der Stadt Erbil. In den Schulen wird auf kurdisch unterrichtet, die Region hat eine eigene Flagge und eigene Streitkräfte. Die Truppen der Peschmerga sollen etwa 130.000 bis 200.000 Mann zählen.

    Die syrischen Kurden leben überwiegend im Norden des Landes entlang der Grenze zur Türkei. Teile der Kurden schlossen sich dem Widerstand gegen Präsident Baschar al-Assad an, andere halten zu ihm. Seit 2014 kämpfen kurdische Volksschutzeinheiten (YPG) vorrangig gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS).

    Die Volksschutzeinheiten sind mit der syrisch-kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) verbunden. Beide stehen wiederum der kurdischen PKK nahe.

    Präsident Erdogan muss sich vorwerfen lassen, zumindest zum Teil für die Lage verantwortlich zu sein. Seine Taktik, den Druck auf die PKK und die HDP in der Hoffnung auf politische Zugewinne bei den Neuwahlen im November zu erhöhen, hat die Spannungen im Land erheblich verschärft. Wegen Erdogans eindeutiger Parteinahme gegen die HDP und für seine eigene, konservativ-islamische Partei AKP fehlt dem Land zudem eine über der Tagespolitik stehende Instanz, die zur gegenseitigen Verständigung aufrufen könnte.

    Die Welle der Gewalt in der Türkei rollt

    Erdogan trägt aber nicht die alleinige Schuld. Die neue Gewaltwelle begann Ende Juli mit Anschlägen der PKK, die auch den Ruf der Kurdenpolitiker in der HDP nach einem neuen Waffenstillstand ignoriert.

    Die Rebellen tun den Kurden in der Türkei damit keinen Gefallen, sondern kochen ihr eigenes Süppchen.Offenbar ist ihnen nicht an einem endgültigen Friedensschluss gelegen. Möglicherweise fürchten die Rebellen wegen des Prestigegewinns der zivilen und zuletzt erfolgreichen HDP, die seit Juni mit 80 Abgeordneten im Parlament von Ankara sitzt, um ihren Einfluss auf die Kurdenbewegung.

    Die allermeisten Türken und Kurden wollen keinen neuen Krieg. Sie wollen nach mehr als 30 Jahren der Gewalt endlich Frieden. Darin liegt in diesen dunklen Tagen ein kleiner Hoffnungsschimmer. Die Regierung in Ankara und die HDP tragen in dieser Phase der Auseinandersetzungen eine große Verantwortung. Beide müssen einen Weg finden, zum Dialog zurückzukehren.

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