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Krise im Iran: Wütende Studenten, geschockte Führer: Wie ist die Lage im Iran?

Krise im Iran

Wütende Studenten, geschockte Führer: Wie ist die Lage im Iran?

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    Konfrontation – protestierende Studenten und Polizeieinheiten stehen sich in diesen Tagen unversöhnlich gegenüber. Das Regime setzt auf Repression.
    Konfrontation – protestierende Studenten und Polizeieinheiten stehen sich in diesen Tagen unversöhnlich gegenüber. Das Regime setzt auf Repression. Foto: AP/dpa

    Sie lassen nichts durchgehen, dulden keine Überschreitung der Regeln. Die Mullahs, die Revolutionsgarden – also der harte Kern fanatischer Islamisten und Machstrategen an der Spitze des Irans sind fest entschlossen, ihre Positionen um jeden Preis zu verteidigen. Auch und ganz bewusst gegen eine wachsende Mehrheit der Bevölkerung. Gerade jetzt. Nachdem klar wurde, dass die ukrainische Passagiermaschine von der eigenen, iranischen Raketenabwehr abgeschossen wurde. Und – aus Sicht des Regimes noch schmerzhafter – nachdem das Regime zugeben musste, dass es die Welt und die Iraner über diesen Abschuss tagelang belogen hat.

    Die Reaktion im Iran changiert wischen zwischen Wut bei den Gegnern und grenzenloser Enttäuschung bei vielen Anhängern des Regimes. Seit Tagen protestieren Hunderte von Studenten gegen die Regierung, trotz der harten Reaktion der Polizei auf die spontanen Demonstrationen. Wie eine „einzige Kaserne“ wirke Teheran, sagte der bekannte iranische Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan dem ZDF direkt aus der iranischen Hauptstadt. Die „Stimmung“ sei auf dem „Tiefpunkt“, die Leute fühlten sich „erniedrigt“, erklärte der Künstler, der seine Bücher seit vielen Jahren nicht mehr in seiner Heimat publizieren darf.

    Iran: Auch loyale Unterstützer der Regierung sind entsetzt über Lüge

    Als langfristig ebenso gefährlich für die Führung um Staatsoberhaupt Ayatollah Ali Chamenei könnte sich erwiesen, dass auch loyale Unterstützer des Regimes entsetzt sind über die glatte Lüge nach dem Abschuss mit über 170 Opfern – darunter fast nur Iraner und iranischstämmige Ausländer. Immer mehr Perser behalten diese Enttäuschung nicht mehr für sich, wie der leitende Redakteur des deutschen Onlinemagazins Iran Journal, Farhad Payar, an einem Beispiel belegt: „Ich habe ein Video von einer religiösen iranische Kabarettistin aus der Pilgerstadt Ghom gesehen. Die verschleierte Frau weint Minuten vor der Kamera. Dann sagt sie voller Verzweiflung, dass sie jetzt daran zweifle, was die Regierung in den letzten Jahren gesagt habe und ihr Vertrauen zerstört worden sei.“ Ein iranischer Reformer habe es im Internet treffend formuliert: „Der Abschuss der Passagiermaschine war eine seelische Verletzung für die Iraner, die Lügen der Regierung das Salz in dieser Wunde.“

    Die Hoffnung des Regimes über eine Atempause sind zerstoben

    Damit sei auch die Hoffnung des Regimes auf eine Atempause wieder zerstoben, sagt der deutsch-iranische Journalist unserer Redaktion. Schließlich hatten noch vor wenigen Tagen Hunderttausende von dem populären General Soleimani Abschied genommen, der am 3. Januar bei einem Anschlag der US-Luftwaffe getötet worden war. Das Regime wertete die Trauerzüge voreilig als Vertrauensbeweis.

    „Im Iran herrscht schon die ganze Zeit eine sehr große Unzufriedenheit“, sagt Nouripour unserer Redaktion.
    „Im Iran herrscht schon die ganze Zeit eine sehr große Unzufriedenheit“, sagt Nouripour unserer Redaktion. Foto: Britta Pedersen, dpa

    Omid Nouripour ist ein gefragter Mann in diesen Tagen. Der grüne Bundestagsabgeordnete beantwortet Fragen im Laufen, ein wenig atemlos spricht er in sein Telefon. Der 44-Jährige ist im Iran geboren. 13 Jahre war er alt, als seine Eltern das Heimatland verließen. Es war in den 80er Jahren, damals verwandelte sich das Land in einen islamischen Gottesstaat, der Andersdenkende bedrohte. Nouripours Onkel wurde hingerichtet, ein anderer im Krieg durch Giftgas verletzt, seine Schwester verhaftet und vom Studium ausgeschlossen. Wie er die Stimmung im Nahen Osten sieht? „Im Iran herrscht schon die ganze Zeit eine sehr große Unzufriedenheit“, sagt Nouripour unserer Redaktion. Er erinnert an die Proteste im November. Damals kam es landesweit zu Ausschreitungen, Anlass war die Erhöhung der Benzinpreise. Über 1000 Menschen wurden getötet, noch mehr festgenommen. „Die Staatsgewalt hat brutal zugeschlagen“, sagt Omid Nouripour. „Trotzdem fallen die Gründe für die Unzufriedenheit ja nicht weg.“ Repressionen, Korruption, die missliche wirtschaftliche Lage: „Nach 40 Jahren Islamischer Republik herrscht großer Verdruss.“

    Der Wiederstand im Iran wird von verschiedenen Gruppen getragen

    Farhad Payar teilt den Widerstand gegen die Regierung in verschiedene Gruppen auf. Im November seien diejenigen auf der Straße gewesen, die nicht viel zu verlieren haben und bereit sind, „bei Protesten ihr Leben zu riskieren“. Darunter seien viele junge Leute ohne Job. Die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen schätze Payar auf rund 40 Prozent.

    Auch in der Mittelschicht hat die Regierung viele Gegner, sagt der 62-Jährige, der über das Internet ein enges Netz von Kontakten in seine Heimat pflegt. „Noch fürchten sie sich davor, auf die Straße zu gehen. Aber sie leisten passiven Widerstand. Sie halten zum Beispiel ihre Haustüren auf, wenn in ihrem Viertel protestiert wird, damit sich Demonstranten vor der Polizei verstecken können.“ Die meisten Iraner würden die gleichgeschalteten Medien umgehen, indem sie sich über Blogs, Soziale Netzwerke und ausländische Sender im Internet informieren. Payar: „Der Mittelschicht geht es um wirtschaftliche Dinge, aber auch um die Freiheit, Demokratie und Frauenrechte. Die wollen sich nicht mehr vorschreiben lassen, was sie anziehen oder denken sollen.“ Nach der offen zutrage getretenen Desinformation über den Abschuss des Jets entzündeten sich die Proteste in und um die Universitäten. „Dass Studenten Kritik an der Regierung üben und für Grundrechte demonstrieren, hat im Iran eine lange Tradition, die bis in die Schah-Zeit zurückreicht. Hinter ihnen stehen ihre Eltern und Familien und Nachbarn, die genauso denken“, sagt Payar.

    Regimegegner weiten ihre Kontakte untereinander aus

    Die Gegner der Mullahs – Payer geht von mindestens 80 Prozent der Bevölkerung aus – sind alles andere als eine homogene Gruppe. Aber Payar beobachtet, dass sie ihre Kontakte untereinander ausweiten. Auch die eher konservative Bevölkerung auf dem Land begnügt sich nicht mit den drögen Staatsmedien. Payar erzählt von Hirten mit Smartphone und Headset, von einfachen Hütten in Belutschistan mit Satellitenschüsseln auf dem Dach.

    Hat die Opposition diesmal eine Chance? Der Schriftsteller Cheheltan ist skeptisch. Er sei sicher, dass der Widerstand, sollte er sich ausweiten, mit „eiserner Faust“ niedergeschlagen werde. Ob das auch in Zukunft so sein werde, sei ungewiss.

    Kann es Hilfe von außen geben? Muss Deutschland auf einen Wechsel an der Spitze des Irans hinarbeiten? „Ich glaube, dass man die Iraner in Ruhe lassen sollte“, sagt Nouripour. Der Wandel müsse in den Händen der Menschen dort liegen. „Es gab so viele Chancen auf Wandel in den vergangenen Jahrzehnten, aber die Zeitfenster sind stets zugemacht worden durch unüberlegtes Handeln aus dem Ausland - unter anderem den USA.“

    Lesen Sie dazu auch: Grüne kritisieren Außenminister Maas in Iran-Konflikt als zu passiv 

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