Es sind Szenen wie aus einem Gangsterfilm, die sich im Schatten des Berliner Fernsehturms abspielen: Mehrere maskierte und bewaffnete Täter überfallen nahe des Alexanderplatzes einen Geldtransporter, erbeuten zunächst mehrere Kisten mit Barem. Auf der Flucht liefern sich die Gangster eine halsbrecherische Verfolgungsjagd mit der Polizei, schießen mehrfach auf einen Streifenwagen, bauen mehrere Unfälle, verlieren die Beute. Dass niemand verletzt wird, grenzt an ein Wunder.
Schon kurz nach der spektakulären Tat vor sechs Wochen heißt es in Sicherheitskreisen: Der brutale Überfall auf den Geldtransporter trägt die Handschrift der berüchtigten kriminellen arabischen Familienclans, die seit Jahrzehnten die Unterwelt der Hauptstadt beherrschen. Jetzt scheint sich der Verdacht zu bestätigen. Die Polizei hat einen der mutmaßlichen Täter gefasst. Der 38-Jährige mit ungeklärter Staatsangehörigkeit soll kurdisch-libanesischer Herkunft sein und in Beziehung zu einem der polizeibekannten Clans stehen. Er sitzt in Untersuchungshaft; wie es heißt, ist die Polizei auch seinen Komplizen auf der Spur. In einem anderen Kriminalfall mit Clan-Bezug warten die Ermittler dagegen weiter auf den Durchbruch: Noch immer sind die Täter nicht gefasst, die Anfang September den Serienverbrecher Nidal R. mit Pistolenschüssen tödlich verletzten.
Clans in Berlin: Die Liste der Verbrechen ist lang
Mord, Raub, Diebstahl, Schutzgelderpressung, Drogenhandel, Zuhälterei – die Liste der Verbrechen, die Mitgliedern der bis zu 20 arabischstämmigen Familienclans mit mehreren tausend Mitgliedern in Berlin angelastet wird, ist so umfangreich wie spektakulär. Lange, so räumt inzwischen auch die örtliche Politik ein, sind die Behörden dem Phänomen der Clan-Kriminalität zu nachsichtig begegnet.
Damit soll Schluss sein. Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) hat einen Fünf-Punkte-Plan zur besseren Bekämpfung der organisierten Kriminalität vorgestellt. Kern des Vorhabens: Das Landeskriminalamt richtet eine ressortübergreifende Koordinierungsstelle der verschiedenen Behörden ein. Polizei und Staatsanwaltschaft, Finanzbehörden, Jobcenter, Ordnungs-und Jugendämter wollen künftig regelmäßig ihre jeweiligen Informationen zu den Machenschaften der Clan-Mitglieder austauschen. Außerdem wollen die Behörden bei dubiosen Bars oder Scheingeschäften von Clan-Mitgliedern genauer hinsehen.
Die Behörden wollen die Clans da treffen, wo es weh tut: beim Geld
Alle Hinweise auf mögliche Geldwäsche sollen zentral bei der Steuerfahndung und der Finanzverwaltung landen. So wollen die Behörden die Clans künftig vor allem dort treffen, wo es ihnen am meisten weh tut: beim Geld. Illegales Vermögen soll eingezogen werden. Die gesetzlichen Voraussetzungen dazu bestehen seit kurzem. In Berlin wird nun eigens eine Spezialabteilung der Generalstaatsanwaltschaft zur Abschöpfung schmutzigen Geldes gegründet.
Welche riesigen Werte manche Clans anhäufen, zeigte sich im Sommer bei einer Razzia gegen Mitglieder der berüchtigten R.-Familie. Insgesamt 77 Immobilien wurden eingezogen: Wohnungen, Häuser, sogar eine ganze Kleingartenanlage, die wohl zu wertvollem Bauland werden sollte. Der Gesamtwert der Liegenschaften beträgt rund zehn Millionen Euro. Gekauft worden sind die Immobilien mutmaßlich mit der Beute aus Einbrüchen, unter anderem in eine Sparkassenfiliale.
Den Ermittlern war aufgefallen, dass Verwandte von Tatverdächtigen plötzlich im großen Stil Häuser kauften, obwohl sie offiziell von Hartz-IV leben. Bald aber wird sich vor Gericht zeigen, ob die Beschlagnahme der Clan-Immobilien rechtens war. Würden sich die neuen Gesetze angesichts komplizierter Konstrukte mit Strohleuten als wirkungslos erweisen, wäre dies ein schwerer Rückschlag im Kampf gegen die Clan-Strukturen.
Es sind aufsehenerregende Kriminalfälle wie der Diebstahl einer 100-Kilo-Goldmünze aus dem Bode-Museum, mit denen die arabischen Großfamilien immer wieder für Schlagzeilen sorgen. Drei Mitglieder des R-Clans stehen deswegen demnächst vor dem Richter.
Die Polizei will in Zukunft auch kleinere Delikte konsequent ahnden
Doch im Alltag von Problembezirken wie Neukölln macht sich die Verachtung gegen staatliche Autorität in einer Vielzahl scheinbarer Bagatelldelikte bemerkbar. Wollen Streifenwagenbesatzungen etwa wegen Ordnungswidrigkeiten einschreiten, werden sie oft innerhalb kürzester Zeit von mehreren Dutzend aggressiver Männer bedrängt und bedroht. Das will die Polizei nicht mehr hinnehmen und im Kampf gegen die ausufernde Clan-Kriminalität auch kleinere Verstöße verfolgen. Wer mit dem getunten Mercedes in zweiter Reihe vor der Shisha-Bar parkt oder an illegalen Rennen teilnimmt, soll die ganze Härte des Gesetzes zu spüren bekommen. Und schließlich wollen die Behörden neue Konzepte entwickeln, mit denen junge Männer vom Einstieg in eine kriminelle Karriere abgehalten werden können. Ebenso soll ein „Aussteigerprogramm“ für Clanmitglieder erarbeitet werden.
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