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Kreis Augsburg: Daniel braucht ein Herz: Das zermürbende Warten auf ein Spenderorgan

Kreis Augsburg

Daniel braucht ein Herz: Das zermürbende Warten auf ein Spenderorgan

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    Am 19. August werden es genau 1000 Tage sein – so lange schon wird Daniel dann auf ein Spenderherz gewartet haben.
    Am 19. August werden es genau 1000 Tage sein – so lange schon wird Daniel dann auf ein Spenderherz gewartet haben. Foto: Diana Dietrich

    Es wird ein Donnerstag sein. Ein ganz gewöhnlicher Donnerstag. Für Diana Dietrich ist dieser 19. August aber ein besonderes Datum. Ein Datum, das sie am liebsten aus dem Kalender streichen würde. Weil es sie so unbarmherzig daran erinnert, wie lange sie schon kämpft. Gegen das Schicksal. Und für Daniel, ihren schwerkranken Sohn. Am 19. August werden es genau 1000 Tage sein. 1000 Tage, die Daniel dann in einem Zimmer im Klinikum Großhadern verbracht haben wird. An jedem einzelnen Tag bislang hat seine Mutter gehofft und gebetet, dass endlich der erlösende Anruf kommt. Denn Daniel braucht dringend ein Spenderherz. Derzeit hängt sein Leben an einem Herzunterstützungssystem, in seinem kleinen Körper stecken Kanülen und Schläuche.

    „Die Ärzte können mir nicht sagen, wann es so weit ist. Sie können ja auch nicht in die Zukunft schauen“, sagt Diana Dietrich am Telefon. Eben war sie eine Runde joggen, ein bisschen den Kopf frei bekommen vom Klinikalltag, vom Leben an einem Ort, an dem eben auch oft gestorben wird. „Ein Spenderherz zu bekommen, ist wie ein Sechser im Lotto“, sagt Diana Dietrich, die aus Schwabmünchen im Landkreis Augsburg kommt.

    Nur ein Drittel der Deutschen hat einen Spenderausweis

    Mehr als 700 Menschen in Deutschland geht es wie dem kleinen Daniel. Sie warten auf ein neues Herz, das ihnen das Leben retten soll. Insgesamt brauchen mehr als 9000 Menschen ein neues Organ. Das ganz große Problem dabei: Es gibt einfach nicht genügend. Nur ein Drittel der Deutschen besitzt einen Spenderausweis. Und so warten viele Patienten lange. Sehr lange. Oft vergebens.

    Nur ein Drittel der Deutschen hat einen solchen Ausweis.
    Nur ein Drittel der Deutschen hat einen solchen Ausweis. Foto: Daniel Maurer, dpa

    Was das Dilemma für die Menschen auf den Wartelisten verschärft: In Deutschland ist nach wie vor eine aktive Zustimmung zur Organspende nötig. 2020 gab es im Deutschen Bundestag zwar einen Aufschlag, das zu ändern – er scheiterte aber krachend. Die Idee war: Statt einer Zustimmung sollte eine aktive Ablehnung, ein Widerspruch eingerichtet werden, in der Hoffnung, dass so viel mehr Organe gespendet werden. Doch die ethischen Zweifel an der Lösung überwogen.

    Derzeit ist eine Organspende grundsätzlich nur dann möglich, wenn der mögliche Organspender zu Lebzeiten eingewilligt oder sein nächster Angehöriger zugestimmt hat. Man einigte sich lediglich auf die Einrichtung eines bundesweiten Onlineregisters. Bürger sollen darüber aufgeklärt werden, Hausärzte ihre Patienten dazu ermutigen, sich zu registrieren. Die minimalen Änderungen gelten voraussichtlich ab 2022. Und dann? War’s das?

    Jeder soll einer Organspende aktiv widersprechen müssen

    Bei unseren Nachbarn in der Schweiz tut sich derweil etwas. Organe sind auch dort immer gefragt – und auch dort gibt es zu wenige Menschen, die vor ihrem Ableben eingewilligt haben, dass ihre Organe nach ihrem klinischen Tod entnommen werden dürfen. Das soll sich nun ändern. Die Schweiz hat im Nationalrat ein Gesetz beschlossen, das die aktive Zustimmung zur Organspende obsolet machen soll. Stattdessen müssten Menschen, die das nicht wollen, aktiven Widerspruch einlegen – vor ihrem Tod also schriftlich festlegen, dass sie keine Organe spenden möchten. Lediglich Angehörige könnten dagegen noch Widerspruch einlegen. Das Gesetz muss im Herbst noch durch den Ständerat, die Vertretung der Kantone. Ob es zu einem Referendum kommen wird, ist offen.

    Diana Dietrich hat eine Online-Petition ins Leben gerufen. Ihr Ziel: Eine Volksabstimmung über die Organspende.
    Diana Dietrich hat eine Online-Petition ins Leben gerufen. Ihr Ziel: Eine Volksabstimmung über die Organspende. Foto: Diana Dietrich

    So eine Widerspruchsregelung würde sich auch Diana Dietrich wünschen. Damit es mehr Organe für schwerkranke Menschen wie ihren Sohn gibt. Dass sie einmal in so eine Situation geraten würde, ahnt damals, als Daniel geboren wird, niemand. In den ersten Monaten geht es dem Baby gut, plötzlich schlechter. Dass sich dahinter etwas Schlimmes verbergen würde, daran denkt keiner. Dann kommt der 23. Oktober 2018. Die Schwabmünchnerin ist mit ihrem Sohn Daniel, damals gerade einmal zehn Monate alt, im Krankenhaus, weil er in den Wochen zuvor oft gehustet hat. An diesem Tag erfährt sie, dass Daniel an dilatativer Kardiomyopathie leidet. Eine extrem seltene Krankheit, bei der eine Herzkammer massiv vergrößert ist.

    Seither kämpft seine Mutter, trägt das Thema Organspende in die Öffentlichkeit. Allein auf Instagram folgen der jungen Frau auf ihrem Kanal „herzbubedaniel“ fast 100.000 Menschen und nehmen Anteil am tragischen Schicksal der Familie. „Momentan geht es Daniel den Umständen entsprechend gut“, sagt Diana Dietrich. „Er hat keine Schmerzen und kann laufen. Er ist so ein fröhliches Kind, er wächst und lacht und hat einen großen Entdeckerdrang.“ Diana Dietrich hält kurz inne und fügt hinzu: „Aber das macht es auch so schwer, ihn so gefangen zu sehen. Er kann eben nicht rutschen oder schaukeln.“

    Daniels Mutter kämpft für die Widerspruchslösung

    Die Situation in Deutschland macht sie wütend. Seit Jahren sei die Bundesrepublik das einzige Land, das über die Stiftung Eurotransplant mehr Organspenden aus dem Ausland bekommt, als es anbietet. Deswegen, sagt Dietrich, müsse sich endlich etwas ändern. Die Widerspruchslösung könnte so vielen schwer kranken Menschen helfen, fährt sie fort. Aber: Ob es jemals dazu kommt?

    Auch in der Schweiz gilt bislang, dass die Organspende vor dem Ableben dokumentiert sein muss – andernfalls entscheiden die Angehörigen. Doch jedes Jahr gehen so gesunde Organe verloren, auf die Menschen, die eine Transplantation brauchen, dringend warten. Swisstransplant, die Schweizerische Nationale Stiftung für Organspende und Transplantation, erklärt auf Anfrage unserer Redaktion, dass bislang nur etwa 115.000 Menschen über 16 Jahre im Nationalen Organspenderegister registriert sind. Davon geben demnach aber 90 Prozent an, dass sie ihre Organe nach dem Tod spenden möchten.

    1479 Patienten sind es derzeit in der Alpenrepublik, die auf eines oder mehrere Organe warten. Davon steht jedoch nur die Hälfte auf der aktiven Warteliste. 50 Prozent der Patienten sind aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend von der Liste genommen: Sie kommen für eine Transplantation nicht in Frage, sagt ein Sprecher des Bundesamts für Gesundheit. Im Durchschnitt sterben pro Woche zwei Menschen, weil sie nicht rechtzeitig ein lebensrettendes Organ bekommen haben. 2020 waren es nach Angaben der Organisation Swisstransplant 72 Menschen, die auf der Warteliste standen, aber nicht rechtzeitig an ein rettendes Organ kamen. Die Zahlen beziehen sich auf das erste Quartal des Jahres.

    Diana Dietrich hat sich schon oft überlegt, wie sich der Tag, an dem sie den erlösenden Anruf erhält, wohl anfühlen wird. „Ich glaube, das wird der schönste Tag in meinem Leben. Und der Schlimmste. Denn wenn Daniel ein Herz bekommt, dann heißt das natürlich, dass ein anderes Kind gestorben ist“, sagt sie, macht eine kleine Pause und fügt hinzu: „Jedes Kind, das stirbt, ist eines zu viel. Aber vielleicht kann man mit seinen Organen ja ein anderes retten.“ Deswegen will sie weiterkämpfen. Für eine Widerspruchsregelung.

    Im Herbst stimmen die Deutschen über die Organspende ab

    Vor einigen Monaten hat sie eine Online-Petition ins Leben gerufen, die bereits zehntausende Menschen unterschrieben haben. Ein Etappensieg. Der nächste Schritt: eine bundesweite Volksabstimmung über das Thema – ein absolutes Novum in Deutschland.

    In diesem Jahr findet nach Angaben des zivilgesellschaftlichen Bündnisses „Abstimmung 21“ die erste, selbst organisierte bundesweite Volksabstimmung in der Geschichte der Bundesrepublik statt. Die Menschen werden zur Bundestagswahl über vier gesellschaftlich relevante Themen abstimmen können – eines ist die Widerspruchsregelung bei der Organspende. „Ich hoffe so sehr, dass sich im Herbst etwas bewegt. Wir müssen jetzt die Menschen dazu bewegen, sich die Unterlagen für die Abstimmung zu besorgen“, sagt Diana Dietrich.

    In der Schweiz wurde 2017 die Volksinitiative „Organspende fördern – Leben retten“ gestartet. Sie sieht den aktiven Widerspruch vor, der andernfalls die Organspende automatisch erlaubt. Das demokratische Instrument ist in der Schweizer Verfassung verankert und erlaubt dem Volk, eine Abstimmung über eine Verfassungsänderung anzustoßen. Der Bundesrat hat dazu einen Gegenvorschlag gemacht: Die Organspende soll grundsätzlich zulässig sein, wenn kein aktiver Widerspruch vorliegt, allerdings sollen die Angehörigen ein Veto einlegen können. Die Initiative gilt als angenommen, wenn Volk und Ständerat zugestimmt haben.

    Laut DSO warten etwa 9000 Menschen in Deutschland auf ein neues Organ.
    Laut DSO warten etwa 9000 Menschen in Deutschland auf ein neues Organ. Foto: Soeren Stache, dpa

    Die Nationale Ethikkommission ist gegen die Initiative: Sie würde die Persönlichkeitsrechte der Patienten zu stark einschränken. Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung werde so nicht ausreichend geschützt, kritisierte die Kommission und schlug stattdessen vor, die Bürger regelmäßig dazu aufzurufen, eine Entscheidung zur Organspende zu treffen – etwa, wenn ein neuer Personalausweis oder ein Führerschein beantragt wird. Die Organisation Swisstransplant moniert dagegen, dass genau diese Appelle bislang wenig Erfolg zeigten. Ein Großteil der Bevölkerung befasse sich einfach nicht mit dem Thema. Die fehlende Willensäußerung sei der häufigste Grund für eine Ablehnung der Organspende durch die Angehörigen.

    Auch die Schweizer sind bei Organspende zwiegespalten

    Mit dem neuen Gesetz müssten Patienten schriftlich hinterlegen, dass sie ihre Organe nach ihrem Tod nicht spenden wollen. Ansonsten dürfen Ärzte bei einem klinisch festgestellten Hirntod Organe entnehmen. „Der Widerspruch wird in einem Register eingetragen werden können, kann aber auch sonst hinterlegt werden“, erklärt Sprecherin Grégoire Gogniat vom Bundesamt für Gesundheit. Das Register werde dann „zwingend abgefragt und wird deshalb die zuverlässigste Art der Willensäußerung sein“.

    Umfragen der Schweizerischen Gesundheitsbefragung zufolge ist die Bevölkerung bei diesem Thema offenbar eher zwiegespalten. Bei der jüngsten Erhebung von 2017 sprachen sich 26,9 Prozent der Befragten strikt gegen diese Möglichkeit aus, 26,5 Prozent waren absolut dafür. Ein großer Teil der Eidgenossen scheint bei dem Thema aber unentschlossen: 25,6 Prozent waren eher dagegen, 21,1 Prozent eher dafür.

    Obliegt die Entscheidung allerdings den Angehörigen, zeigt sich ein anderes Bild: 43,1 Prozent lehnten die Spende der Organe ihres verstorbenen Familienmitglieds ab, 36,9 Prozent würden zustimmen. Andere Umfragen sprechen sogar von über 60 Prozent Ablehnung, wenn die Angehörigen entscheiden müssen.

    Das bestätigt auch Swisstransplant: „Wir wissen aus Erfahrung, dass sich die Angehörigen sehr schwer tun, in die Organspende einzuwilligen, wenn kein Wille bekannt ist. In der Mehrheit der Todesfälle, bei denen eine Organspende möglich wäre in der Schweiz, ist der Wille nicht bekannt“, sagt Franz Immer, Arzt und Sprecher der Stiftung. Immer sagt auch: „Da drei von vier Personen in der Schweiz der Organspende offen gegenüberstehen, würde mit einem solchen System öfter im Sinne der verstorbenen Person gehandelt, als dies heute der Fall ist. Die vorgeschlagene Lösung mit der erweiterten vermuteten Zustimmung entlastet die Angehörigen und gibt ihnen zugleich das maximale Mitspracherecht.“ Er hofft deshalb darauf, dass auch der Ständerat zustimmt. Die Vertretung der Kantone wird nach aktuellem Stand aber frühestens im September über das Gesetz entscheiden. Es könnte dann 2023 in Kraft treten – es sei denn, es kommt zu einem Referendum dagegen.

    Bei der Bundestagswahl ist auch die Organspende Thema.
    Bei der Bundestagswahl ist auch die Organspende Thema. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Während die Mühlen in der Schweiz wie in Deutschland langsam mahlen, geht Diana Dietrich die Zeit aus. Eigentlich sei so ein Berlin Heart, das Herzunterstützungssystem, nur eine Übergangslösung für etwa neun Monate. Daniel ist schon seit 28 Monaten an das Gerät angeschlossen. „Jeder Tag ist ein Risiko. Ich habe schon von Kindern gehört, die trotzdem gestorben sind.“

    Einmal pro Woche werden bei dem Dreieinhalbjährigen ein Herzultraschall und ein EKG gemacht, er bekommt Antibiotika, damit sich an den Kanülen keine Keime festsetzen. Seine Mutter geht oft mit ihm hinaus an die frische Luft, weiter als einen Kilometer können sie sich aber nicht von der Klinik entfernen. Seit vielen Monaten geht das nun schon so. Bald werden es 1000 Tage sein. Für viele Menschen wird der 19. August ein ganz normaler Donnerstag sein. Für Diana Dietrich nicht.

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